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Helga Maria Wolf
Kreuzweg: Passion und Emotion (1)

Kreuzigungsgruppe Raggendorf, Foto: Alfred Wolf width=

--> Siehe auch: Essays Passion und Emotion:
2 Kalvarienberge
3 Heiliges Grab


Tod und Auferstehung von Jesus Christus sind die zentralen Inhalte des christlichen Glaubens. Das Neue Testament (NT) enthält Passions- und Osterberichte von den drei Synoptikern (Mt 26-28, Mk 14-16, Lk 22-24) und Johannes (Joh 13-20). Auch apokryphe Schriften, wie das Petrus- und das Nikodemus-Evangelium erzählen davon.


Mit Jesus auf dem (Kreuz-)weg

Seit dem 4. Jahrhundert versuchten Gläubige, die Evangelienstoffe mit den Traditionen der heiligen Stätten, wie der Via Dolorosa in Jerusalem, in Übereinstimmung zu bringen. Für jene, die keine Pilgerfahrt nach Jerusalem antreten konnten, schuf man Nachbildungen in der Heimat. Plastische und bildliche Darstellungen sollten zur Vergegenwärtigung und zum Mitleiden anregen. Besonders der Jesuitenorden, der eine Mission für alle Sinne betrieb und dabei den Emotionen hohen Wert beimaß, förderte den Bau von Kalvarienbergen und Heiligen Gräbern.

Sein Gründer, Ignatius von Loyola (1491-1556), schrieb in seinem Exerzitienbuch, einem Klassiker des geistlichen Lebens: "Nicht das Vielwissen sättigt die Seele, sondern das Verkosten der Dinge von innen her." Als Vorbereitung zum Gebet nannte er die compositio loci (Zusammenstellung des Raumes, Zurichtung/Aufbau des Schauplatzes). Die Meditierenden sollten sich den Text konkret vorstellen und in diesen einfühlen. "Hier ist zu bemerken: bei der 'sichtbaren' Betrachtung oder Besinnung etwa wenn man Christus, unseren Herrn, betrachtet, der sichtbar ist, wird die Zusammenstellung darin bestehen, mit der Sicht der Vorstellungskraft den körperlichen Raum zu sehen, wo sich die Sache befindet, die ich betrachten will … etwa der Tempel oder Berg, wo sich Jesus Christus … befindet. "

Nach den Überlieferungen der Synoptiker begann die Leidensgeschichte mit dem Beschluss des Hohen Rates zwei Tage vor dem Paschafest, ehe der Verrat durch Judas Iskariot, die Vorbereitung des Paschamahls und das Letzte Abendmahl erfolgten. (Mt 26,1-5; Mk 14,1-2; Lk 22,1-2). Der Apostel Judas Iskariot, dessen Verrat zur Festnahme von Jesus führte, fand in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts Eingang in den christlichen Bilderkreis. Schon früh wurde der "Judaskuss" zum Motiv - er diente als Erkennungszeichen, wen die bewaffneten Häscher der Hohenpriester festnehmen sollten. Judas, der für seine Dienste 30 Silberstücke erhielt, bereute und erhängte sich. In der altchristlichen Kunst galt der Apostel als abschreckendes Beispiel. Später wurde er zur tragischen Gestalt in der Leidensgeschichte. Als "Werkzeug" habe er seinen Auftrag ausführen "müssen". Dies geschah nach dem Gebet Jesu in Getsemani. (Mt 26, 14-16 und 47-50; Mk 14, 10-11 und 43-46; Lk 22,3-6 und 47-48; Joh 18, 2-5)

Zuvor ließ Jesus die Jünger das traditionelle Paschamahl vorbereiten. Beim Mahl sprach er über seine bevorstehende Auslieferung, betete den Lobpreis und teilte mit den Aposteln Brot und Wein (Mt 26, 17-19; Mk 14, 12-25; Lk 22,7-23). Darstellungen des Letzten Abendmahls finden sich auf Patenen und Kelchen und zur Ausschmückung von Kloster-Refektorien. Das wohl berühmteste Wandgemälde der Welt mit diesem Motiv (Abendmahl, Il Cenacolo bzw. L'Ultima Cena) schuf Leonardo da Vinci in den Jahren 1494 bis 1498 für den Speisesaal des Dominikanerklosters Santa Maria delle Grazie in Mailand (Italien).

Nach dem Mahl ging Jesus mit den Aposteln zum Ölberg und richtete prophetische Worte an sie. Am Fuß des Berges, auf einem Grundstück, das man Getsemani nannte, rastete die Gruppe. Jesus nahm Petrus und die beiden Zebedäus-Söhne Jakobus und Johannes mit sich. Er betete und sie sollten warten, doch die Jünger schliefen ein. Während er sie weckte, kam Judas mit den Häschern (26,30-47; Mk 14, 26-42; Lk 22,39-46). Die Jünger flohen. Obwohl die Synoptiker die Todesangst schilderten, lag es der frühchristlichen Kunst fern, den Herrn in seiner Schwäche darzustellen. Seit dem 14. Jahrhundert umfasst das Bildschema Christus, meist vor einem Felsen im Mittelgrund kniend, im Vordergrund die drei schlafenden Jünger, über dem Felsen die Hand Gottes, später ein Engel mit Kelch (wie bei Dürers Kupferstichpassion von 1508). An der Außenseite der Wiener Michaelerkirche befindet sich das bemalte Steinrelief "Christus am Ölberg", das der Wiener Bürger und Landschreiber Hans Hueber 1494 stiftete.

Ölberg Klosterneuburg, Foto: Doris Wolf width=

Ein - rund 3 ½ km vom Stift entfernter - Teil der Stadtgemeinde Klosterneuburg trägt den Namen "Am Ölberg". Er war das Ziel des "Klosterneuburger Kreuzwegs", zu dem Bittprozessionen führten. Um 1720 entstanden, hatte er drei Stationen. Die erste, eine Abschiedskapelle, steht wohl im Zusammenhang mit dem Langstögerschen Benefizium. Diese Müllerfamilie, die zu den best situierten der Stadt zählte, machte 1721 eine Armen- und eine Schulstiftung zur Ehre Gottes und zu Gunsten der Klosterneuburger. Wegen Regulierungsarbeiten wurde die Kapelle versetzt und 1904 in die Gartenstützmauer des Hauses Am Ölberg 32 eingebaut. Seit einer Renovierung, 2001, befinden sich darin Nachbildungen von Brettfiguren aus Kunststoff, die aber nach 15 Jahren schon wieder desolat wirken.

Die zweite Station (Am Ölberg, Ecke Käferkreuzgasse) besteht aus Sandsteinfiguren, die Jesus, Jakobus, Johannes und Petrus darstellen. Auf einem Sockel steht ein Engel mit dem Kelch und einem Kreuz. Der Künstler war vermutlich Jakob Jabinger. Als Stifter traten die Bürger der Unteren Stadt auf. Die letzte Station bildet die ca. 250 m entfernte Kreuzkapelle (Käferkreuzgasse). Das kleine Bauwerk von Matthias Gerl d. Ä. enthielt Figuren und eine Pieta. Seit diese 1920 in das Stiftsmuseum kamen, befindet sich nur noch ein Kruzifix darin. Als Spender fungierte die Rosenkranzbruderschaft, die viele Prozessionen abhielt (z. B. zum nahe gelegenen Käferkreuz).

Nach der Verhaftung führte man Jesus zum Hohenpriester Kajaphas (Kaiphas), falsche Zeugen traten auf. Petrus wartete im Hof des Palastes, dreimal verleugnete er seinen Herrn. Am nächsten Morgen lieferten die Hohenpriester und die Ältesten Jesus gefesselt dem römischen Statthalter Pontius Pilatus aus. Sie überredeten den Präfekten, ihn kreuzigen zu lassen. Soldaten führten Jesus in das Amtsgebäude (Praetorium) und misshandelten ihn. Sie gaben ihm ein Spott-Szepter, setzten ihm eine Krone aus Dornenzweigen auf und legten ihm einen roten Mantel an (Mt 26,57-27,31a; Mk 14, 53-15,20a; Lk 22,66-23,25; Joh 18,12-19, 16a).

Pilatus, der zur Hinrichtung keinen Grund sah, sagte zu ihnen: "Seht, da ist der Mensch!" (Joh. 19,5). Nach diesen Worten - "Ecce homo" - sind Darstellungen benannt, die Jesus mit Dornenkrone und Spott-Purpurmantel zeigen. Solche Bilder wurden im 9./10. Jahrhundert üblich. In den letzten Jahrzehnten des Mittelalters entfaltete sich das Bildthema als "Christus auf der Rast" (z.B. Hieronymus Bosch, Albrecht Dürer). Dabei bestanden Wechselbeziehungen zwischen bildender Kunst und geistlichem Schauspiel.

Im Zusammenhang mit der Ecce Homo-Gruppe, die man zunehmend figurenreicher gestaltete, kam die "Heilige Stiege" (Scala Santa) auf den Kalvarienberg. Kaiserin Helena (+ 330) hatte aus Jerusalem eine Treppe nach Rom bringen lassen, die als jene des Hauses von Pilatus galt. Die 28 Stufen, die man nur kniend erklimmen durfte, wurden im Lateran eingebaut. Auch der bekannte Hernalser Kalvarienberg (Wien 17) besaß eine Kopie, von der, samt einer Figur, Kupferstiche verkauft wurden: "Ein Bildtnus vorstellend Salvatorem wie er ober der hl. Stiegen zu Rom furgestellet ist und auch in Copia von Rom durch den Secretarium Generalem Mathiam Fuhrman hieher gebracht worden … ober der 10. Stiegen aufgemacht," ist 1747 bezeugt.

Kalvarienbergkirche Wien-Hernals, Foto: Doris Wolf width=

Noch heute findet man in Hernals zwei plastische Ecce-Homo-Darstellungen. Die Gruppe, die sich außen auf dem Balkon der Kalvarienbergkirche befindet, entspricht der 7. Station des ursprünglichen Kreuzwegs von 1639. Die überlebensgroßen Freiplastiken stellen Jesus zwischen Pilatus, der auf ihn weist, und einem Soldaten dar. Eine Holzfigur mit beweglichen Armen wurde 1990 bei Sanierungsarbeiten auf dem Dachboden der Kirche entdeckt und steht nun, restauriert, in einer Ecke des Kalvarienberges. Es handelt sich wohl um jene, die 1908 hinter dem Altar der Kapelle an der Nordseite der Kirche aufgestellt war und die sich ursprünglich beim barocken Heiligen Grab befand. Möglicherweise stammt auch sie vom Kreuzweg (1639) und wurde außerdem bei szenischen Darstellungen verwendet.

Der langjährige Direktor des Österreichischen Museums für Volkskunde, Leopold Schmidt (1912-1981), nannte Kreuzwege und Kalvarienberge "erstarrte Passionstheater", sie hätten die Bräuche "auf das Nachhaltigste beeinflusst". Die in der Barockzeit wieder belebten Passionsspiele florierten ein Jahrhundert hindurch, bis zu den Verboten unter Maria Theresia und Joseph II. Schmidt nennt Aufführungsdaten für Korneuburg (1652, 1660), Mödling (1671), Traismauer (1701), Brunn am Gebirge und Perchtoldsdorf (1704). "Passionsprozessionen und die Anlegung von Kalvarienbergen hatten bei uns ähnlich anregend wie in den anderen Landschaften der Gegenreformation gewirkt … Der Kalvarienberg von Bisamberg enthält auffällig passionsspielhafte Gestalten."

Urlaubergruppe Retz, Foto: Alfred Wolf width=

Ein Motiv, das sich in Passionsspielen - und als plastische Darstellung - in Niederösterreich häufig findet, ist der Abschied Jesu von seiner Mutter. Diese "Urlaubergruppen" sind besonders in der Gegend von Eggenburg anzutreffen. Seit 1629 bestand die "Eggenburger Bruderschaft" als von Wien unabhängige Zunftvereinigung der Steinmetze und Bildhauer. Schon im Mittelalter gab es hier bekannte Steinbrüche, die zur Entwicklung der Region als Zentrum der Steinmetzkunst beitrugen. Besonders geeignet war der "Weiße Stein", ein Kalksandstein aus Zogelsdorf. Im bewegten Stil des Hochbarock gestalteten die Eggenburger Steinmetze Urlaubergruppen und Passionsszenen. Beim Retzer Kalvarienberg (1727) schließen sich an die Zweifigurengruppe Darstellungen von fünf Gesätzen des schmerzhaften Rosenkranzes an. Die abschließende Kreuzigungsgruppe besteht aus Jesus, Maria Magdalena, Maria und Johannes sowie den beiden Schächern.

Die beiden mit Jesus hingerichteten Diebe werden bei Lukas (Lk 23, 39 ff) und Markus (Mk 15,32) erwähnt. Das apokryphe Nikodemusevangelium aus dem 4. Jahrhundert nennt sie Gestas und Dismas. Während der "linke Schächer" Gestas Jesus verhöhnte, bat Dismas um seinen Beistand und zeigte Reue. Jesus antwortete ihm: "Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein." (Lk 23,43). Der "gute Verbrecher" wurde schon in der alten Kirche wie ein Heiliger verehrt - aber nie kanonisiert. Seit dem Mittelalter förderten die franziskanischen Orden den Kult des reuigen Sünders als Patron der zum Tod Verurteilten, Gefangenen und Totengräber. In der Barockzeit sprachen sich Adelige für die Dismas-Verehrung in Bruderschaften aus. Der Eisenstädter Kalvarienberg enthält eine eigene Dismas-Kapelle. In Retz stellte man seine Sandsteinstatue auf dem Weg zur Richtstätte auf.

Zu den ältesten Quellen vom Gehen eines Kreuzwegs zählt der Bericht der spätantiken Schriftstellerin Egeria, die von 381 bis 384 das Heilige Land bereiste. Sie erwähnte bei der Beschreibung der Karwochen-Liturgie, dass die Gläubigen unter Gesang und Gebet zu den Orten der Passion zogen, wo der Bischof die entsprechenden Bibelstellen vorlas. Christen versammelten sich am Gründonnerstag am Ölberg, um der Todesangst Jesu zu gedenken. Um Mitternacht besuchten sie die Stelle der Gefangenname. Im Mittelalter spielte man in Europa Ölbergandachten nach, wobei auch bewegliche Figuren zum Einsatz kamen.

Kalvarienberg Bisamberg, Foto: Alfred Wolf width=

Bildliche Darstellungen von Passionsszenen an der Via Dolorosa waren seit den Kreuzzügen (11.-13. Jahrhundert) bekannt. Nach der Vertreibung der Kreuzritter ließen sich die Franziskaner als erste Vertreter der katholischen Kirche wieder im Heiligen Land nieder. Sie erhielten die Erlaubnis zur Betreuung der christlichen Stätten, darunter (seit 1342) der Grabeskirche in Jerusalem. Bis 1847 blieben sie der einzige katholische Orden in der Region und übernahmen dort praktisch alle kirchlichen Aufgaben. Die Franziskaner erfanden die Kreuzwegandacht als pietätvolles Abschreiten und Betrachten des Leidensweges. Sie führten die Pilger vom Praetorium zur Grabeskirche, dazwischen befanden sich 14 Gedächtnisstätten. Diese "Stationen" waren aber nur zum Teil mit den heute üblichen identisch. Um die Passionsfrömmigkeit zu fördern, gründeten Franziskaner und Kapuziner "Todesangst-Christi-Bruderschaften", die ihre Andachten bei den Kreuzwegen bei oder in den Kirchen hielten. Zahlreiche Kalvarienberge und Heiliggrabkapellen gehen auf den Franziskanerorden zurück.


Seit dem 15. Jahrhundert gibt es Nachbildungen der Heiligen Stätten im Abendland (Cordoba, 1423) Sie bestanden zunächst nur aus Anfangs- und Endpunkt (Burg Antonia/Praetorium - Calvaria), dann fügte man weitere Stationen ein. Im deutschen Sprachraum waren es - analog zu den römischen Stationskirchen - die "Sieben Fälle", in Spanien mehr als 40 Stationen. Die Festlegung auf 14 erfolgte nach dem 1518 erschienenen Andachtsbuch des Priesters Bethlem. Weltweite Verbreitung fanden die 14 Stationen im 18. Jahrhundert. Damals legte der Vatikan die Bedingungen für die mit den Kreuzwegandachten verbundenen Ablässe fest.


Die 14 Stationen sind:

1 Jesus wird zum Tod verurteilt. Mt 27,22-23,26
Vgl. Mk 15,1-15 ; Lk 23,13-25 ; Joh 18,28 EU-19,16
2 Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern. Mt 27,27-31
Vgl. Mk 15,16-20, Joh 19,16-17
3 Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz. Nicht im NT
Vgl. Jes 53,4-6
4 Jesus begegnet seiner Mutter. Nicht im NT
Vgl. Lk 2,34-35,51
5 Simon von Zyrene hilft Jesus das Kreuz tragen. Mt 27,32
Vgl. Mk 15,21; Lk 23,26; Mt 16,24; Mt 5,41
6 Veronika reicht Jesus das Schweißtuch. Nicht im NT
Vgl. Jes 53,2-3; Ps 27,8-9
7 Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz. Nicht im NT
Vgl. Klgl 3,1-2,9,16
8 Jesus begegnet den weinenden Frauen. Lk 23,28-31
9 Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz. Nicht im NT
Vgl. Klgl 3,27-32
10 Jesus wird seiner Kleider beraubt. Mt 27,33-36
Vgl. Mk 15,24; Lk 23,34 ; Joh 19,23-24
11 Jesus wird ans Kreuz genagelt. Mt 27,37-42
Vgl. Mk 15,22-27 ; Lk 23,33 ; Joh 19,18-19
12 Jesus stirbt am Kreuz. Mt 27,45-50,54
Vgl. Mk 15,33-41 ; Lk 23,44-49 ; Joh 19,25-30
13 Jesus wird vom Kreuz genommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt. Joh 19,38
Vgl. Mt 27,57-5; Mk 15,42-46 ; Lk 23,50-53
14 Der heilige Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt. Mt 27,59-61
Vgl. Mk 15,46-47 ; Lk 23,53-56 ; Joh 19,39-42

Auch unabhängig von Kreuzwegstationen fanden am Karfreitag Prozessionen statt. Aus Klosterneuburg liegt aus dem Jahr 1706 eine gedruckte Ordnung für einen solchen Umgang vor. Er begann um 13 Uhr bei der Pfarrkirche St. Martin und führte zum Stift, wo eine Predigt gehalten wurde. Bei der Prozession wurde "der leidende und zum Tod verurtheilte Heiland durch Figuren vorgestellet." Sie bestand aus 20 Gruppen, darunter Geißler, Ecce Homo, Veronika und die Frauen. Ihnen folgten büßende Kreuzzieher, die Geistlichkeit, Musikanten, Magistrat und Bürger.

Im Warendorfer Gebetbuch von 1795 liest man über Wesen und Aufgabe eines Kreuzwegs: "Diese Andacht heißt 'Kreuzweg', weil sie uns den Weg vorstellet, den der leidende Heiland von dem Gerichtshofe des Pilatus nach der Schädelstätte mit seinem Kreuze gemacht hat. Sie besteht aus 14 Stationen oder Stillständen, weil wir auf diesem Leidenswege Jesu an 14 Orten mit unsern Gedanken stehen bleiben und das, was allda geschehen ist und uns in einem Bild vorgestellt wird, betrachten." Die Kreisstadt Warendorf liegt im Norden von Nordrhein-Westfalen (Deutschland). 1534 war sie kurzfristig ein Zentrum der radikal reformatorischen Täuferbewegung, ehe der Münsteraner Bischof Franz von Waldeck deren Anführer öffentlich hinrichten ließ. Die Bevölkerung blieb aber dem evangelisch-reformierten Glauben zugetan, was dazu führte, dass 1628 die Jesuiten und danach die Franziskaner im Zuge der Rekatholisierung in die Stadt kamen. Letztlich hatten ihre Bemühungen Erfolg, Warendorf ist überwiegend katholisch.

Historisches Signet der Gesellschaft Jesu

Mit der Rolle der Orden für die Kunst und in der Folge für die so genannte Volksfrömmigkeit hat sich der Würzburger Ethnologe Christoph Daxelmüller (1948-2013) eingehend beschäftigt. Über Tradition und Innovation bei den jesuitischen Bildkünsten schrieb er: "Mit dem Konzil zu Trient (1542-1563) setzte Rom neue Standards, die für die Rekatholisierung umzusetzen waren. Die Konzilsteilnehmer formulierten u. a. Überlegungen zum gezielten Einsatz der bildenden Künste im Dienste der Glaubensverkündigung … Hier aber war ein noch junger Orden gefragt, die Societas Jesu. Ignatius von Loyola hatte erkannt, dass die abstrakte Kontemplation intellektuelle Mühe habe, wenn sie nicht durch Bilder unterstützt werde. Bildung hat damit viel mit dem Bild gemeinsam, vor allem dann, wenn der Mensch, auf den sich die Bildungsabsicht bezieht, bildungsfern, ungebildet ist. Ignatius betonte daher die Bedeutung von Bildern, deren Verwendung als Hilfsmittel z. B. bei der Kontemplation er ausdrücklich empfahl, um mit ihrer Hilfe das Vorstellungsvermögen zu steigern und zu unterstützen. … Sie begriffen Religion als ein Handlungselement, das den Körper ebenso betraf, wie die Sinne und Gefühle. … Die Jesuiten hatten sofort nach der Gründung der Ordensprovinzen diese Emotionalisierung als Teil ihrer Missionsarbeit zum Programm gemacht. Es ging … um das eindrucksvolle Spectaculum für alle Sinne." Daxelmüller betonte aber auch, dass die Jesuiten keineswegs der einzige Orden waren, der die religiöse Volksbildung beeinflusste: "Der Befund wird erweisen, dass all das, was die Jesuiten in Angriff nahmen, um die Sinne der Menschen anzusprechen, zu verwirren, zu betören oder zu reizen, auch außerhalb ihres Ordens geschah. Doch sie befanden sich stets im intellektuellen Mittelpunkt konzentrischer Kreise - als Theoretiker wie als Praktiker."

Mit ihren Überzeugungsstrategien konnten die Jesuiten an mittelalterliche Traditionen anknüpfen. Schon die alten Bettelorden wie Franziskaner, Kapuziner und Serviten unterstützten ihre Mission und Predigt durch sichtbare Hilfsmittel. Manchmal waren die Jesuiten die Initiatoren eines sinnfällig eingängigen Kultes, überließen aber die Ausführung anderen Orden. Sie selbst wirkten als einflussreiche Hof-Beichtväter, wie der gebürtige Belgier Wilhelm Lamormaini (1570-1648). Er war Universitätslehrer in Graz und übte während der Gegenreformation politischen Einfluss auf Kaiser Ferdinand II. (1578-1637) aus. In der Folge entstand der Hernalser Kalvarienberg, Ordensangehörige predigten bei den Feiern in Hernals und gaben 1710 ein Andachtsbuch für Wallfahrer heraus. Die Seelsorge übernahmen aber 1720 die Pauliner.

Die Jesuiten gelten als Erfinder der Weihnachtskrippen in den Kirchen. Daxelmüller zeigt, dass die bildlich-dramatische Umsetzung der Ereignisse der Kartage vom Abendmahl bis zur Grablegung Jahre vor der Weihnachtskrippe datiert. So stand das erste Heilige Grab bereits 1559 in Prag, die Weihnachtskrippe folgte 1562 - im selben Jahr spielten Personen in der Kollegskirche St. Klemens das letzte Abendmahl und die Ölbergszene. 1540 hatte Papst Paul III. den Orden anerkannt. 1773 sah sich Clemens XIV. aus politischen Gründen gezwungen, diesen abzuschaffen. 1814 setzte Papst Pius VII. die Jesuiten wieder ein. Die Aufhebung der mächtigen "Gesellschaft Jesu" entsprach dem Zeitgeist der Aufklärung. Derzeit gehören dem Orden 22.000 Mitglieder in 119 Ländern an.

Viele Bräuche, die gerne mit dem Etikett "Volksfrömmigkeit" versehen werden, sind Erfindungen der Jesuiten. Das gilt nicht nur für Krippenspiele und Weihnachtslieder, sondern auch für die berühmten Seeprozessionen zu Fronleichnam im oberösterreichischen Salzkammergut. 1622 übergab Kaiser Ferdinand II. das frühere Benediktinerinnen- bzw. Benediktinerkloster in Traunkirchen samt den Salzkammergutpfarren dem neu gegründeten Jesuitenkolleg in Passau. Zehn Jahre später führte der Orden die erste Seeprozession auf dem Traunsee durch (wie schon 1628 in Hallstatt). 1696 bauten die Jesuiten am Traunkirchener Kalvarienberg eine Kapelle mit einer großen Kreuzigungsgruppe. Nach fünf Jahren kamen auf den Weg dorthin vier Kapellen mit Darstellungen der schmerzhaften Rosenkranz-Geheimnisse dazu. Als ältester der Region diente er als Vorbild für weitere Kalvarienberge im Salzkammergut.

Theologen der Reformation (zwischen 1517 und 1648) und der Aufklärung im 18. Jahrhundert lehnten die Kreuzwegandachten mit ihren Bildern und Liedern ab, weil nicht alle Stationen biblisch begründet sind. Hingegen scheuten sich die Jesuiten nicht vor pseudo-apokryphen Konkretisierungen: "Die Einbildungskraft geht über die Realität der Bibel hinaus. Die compositio loci dient bei Heiligenliedern deutlich dazu, über das Ergriffensein im Gemüt durchzustoßen zum Engagement des Willens, selbst dann, wenn die angeführten 'Beispiele' offensichtlich erfunden sind. Ähnliches gilt für Buß- und Reuelieder: Sich klein und demütig machen vor Gott, um für die Gemeinschaft mit ihm bereitet zu sein."

Kreuizwegstation Probstdorf, Foto: Pfarre width=

Nach der Hochblüte in der Barockzeit erfuhren die Passionsdarstellungen in der Romantik erneut große Popularität. Im 19. Jahrhundert, schufen Vertreter der Nazarener Kreuzwegbilder, wie Johann Friedrich Overbeck (1789-1869) für den Vatikan, Moritz von Schwind (1804-1871) für Reichenhall, Josef von Führich (1800-1876) für Prag und Wien. Der Führich-Kreuzweg gilt international als der meistkopierte. 1844 bis 1846 malte der Künstler für die Kirche St. Johann Nepomuk in Wien 2 vierzehn 240 x 185 cm große Fresken. Die davon angefertigten Kupferstiche dienten zahlreichen Malern als Vorlage.

Künstler des 20. Jahrhunderts lösten sich von diesen Vorbildern, reduzierten die Figuren, griffen zu Symbolen oder fügten als 15. Station die Auferstehung dazu. Für die akademische Malerin Maria Schwarz ist die 15. Station die wichtigste. Zwischen 1982 und 1999 entwarf sie vier Zyklen (einer befindet sich in Wien-Strebersdorf, einer in Gmunden, OÖ), die sie u. a. "Kreuzweg der Hoffnung" nennt. Der akademische Bildhauer Oskar Höfinger schuf 2006 für die Pfarrkirche Probstdorf (Niederösterreich) 14 Sandsteinreliefs, die den Passionsweg mit der Geschichte des Ortes in Beziehung setzen.


Quellen:

Die Bibel. Einheitsübersetzung. Stuttgart 1980
Erich Weidinger: Die Apokryphen. Aschaffenburg 1985
Lexikon der christlichen Ikonographie (LCI). Freiburg/Br. 1968. 2/654 f.
Exerzitien im Alltag. München 1998. 17
Ignatius von Loyola: Geistliche Übungen. Übersetzt von Peter Knauer. Würzburg 1998. 48
LCI 2/444 f.
LCI 1/10 f.; Wikipedia
LCI 3/343 f.; https://www.wien.gv.at/wiki/index.php?title=Michaelerdurchgang
Dehio-Handbuch Niederösterreich südlich der Donau 1/1092
http://www.verschoener-v-klnbg.at/1/marterl-uebersicht
Albert Starzer: Geschichte der Stadt Klosterneuburg. Klosterneuburg 1900. 450 f.
Manfred Becker-Huberti: Feiern, Feste, Jahreszeiten. Freiburg 1998. 292
LCI 1/558 f. Österreichische Kunsttopographie. II/231 f.
Österreichische Kunsttopographie. Wien 1908. II/231 f.
Ernst Kratzmann: Der Kalvarienberg. In: Hernals. Ein Heimatbuch für den 17. Wiener Gemeindebezirk, hg. von den Hernalser Lehrern. Wien 1924. 109-135
Österreichische Kunsttopographie II/239
Leopold Schmidt: Volkskunde von Niederösterreich. Horn 1972. II/193 f., 563 f.
Schmidt: Volkskunde von Niederösterreich. II/114
https://de.wikipedia.org/wiki/Eggenburger_Bruderschaft
https://de.wikipedia.org/wiki/Dismas
Schmidt: Volkskunde von Niederösterreich. II/121
https://books.google.at/books?id=txMJAQAAMAAJ&q=egeria+kreuzweg&dq=egeria+kreuzweg&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwil_drGg_fLAhVDOBQKHaGRAhAQ6AEIRTAE
Becker-Huberti: Feiern … 285
https://de.wikipedia.org/wiki/Kustodie_des_Heiligen_Landes
Becker-Huberti: Feiern … 286
Beispiele: http://bhw-blog.eu/blog/passionsmotive-in-der-kleindenkmaeler-landschaft-ii/
Lexikon für Theologie und Kirche (LThK). Freiburg/Br. 1993. 6/627 f.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzweg
Starzer: Geschichte der landesfürstlichen Stadt Klosterneuburg. 447
LCI 2/654 f.
www.warendorf.de
Robert Bireley SJ: Hofbeichtväter und Politik im 17. Jahrhundert In: Michael Sievernich SJ und Günter Switek SJ (Hg.): Ignatianisch. Eigenart und Methode der Gesellschaft Jesu. Freiburg/Br. 1990. 392 f.
Christoph Daxelmüller: Illusionen, Ängste, Affekte. In: Michael Prosser-Schell: Szenische Gestaltungen christlicher Feste. Münster 2011. 125 f.
https://www.kolleg-st-blasien.de/jesuiten-wer-wir-sind
http://ooe.orf.at/news/stories/2776440/; Wikipedia
Ignatianisch.375
https://de.wikipedia.org/wiki/Führich-Kreuzweg; http://www.pfarre-nepomuk.at/nepweb/kreuzweg/kreuzweg_aktuell.htm
Maria Schwarz: Kreuzwege. Wien 2002
Helmut Schüller - Oskar Höfinger: Kreuz + Weg. Probstdorf 2006


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