Mörderin mit Engelsgesicht#
Vor 60 Jahren ereignete sich in Wien einer der Aufsehen erregendsten Mordfälle der Nachkriegszeit: Johann Arthold wurde bestialisch umgebracht. Aber von wem?#
Von der Wiener Zeitung (Samstag, 24. November 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Otto Hausmann
In der Nacht zum 22. November 1952 bemerkte ein Polizist, dass der Rollbalken eines Geschäftslokals in der Alserstraße 7, direkt neben dem Landesgericht für Strafsachen, zum Teil hinaufgeschoben war, was ihm verdächtig vorkam. Er betrat das Geschäft durch die unverschlossene Eingangstüre, wo er mit einem grauenhaften Bild konfrontiert wurde. Der Geschäftsinhaber Johann Arthold lag mit eingeschlagenem Schädel und durchtrenntem Hals in einer riesigen Blutlache.
Johann Arthold wurde im Jahre 1908 als Sohn eines Kleinbauern in Prinzendorf geboren. Der nur 165 cm große Mann konnte nicht gerade durch sein Äußeres bestechen. Er verstand es jedoch, die Nachkriegsjahre für sich zu nützen und mit Schleichhandelsgeschäften binnen kurzer Zeit zu Reichtum zu gelangen. Schokolade war besonders gefragt. Diese Lücke nützte er mit großen Importen aus, weshalb er den Spitznamen "Cadbury-König" bekam, benannt nach der englischen Schokoladenmarke. Das schnell verdiente Geld legte Arthold in einem eleganten Auto, einem Rennstall, einem livrierten Diener und zahlreichen Freundinnen an. Sparen für schlechtere Zeiten war für ihn ein Fremdwort. Und so kam es, wie es kommen musste. Der finanzielle Abstieg war nicht aufzuhalten. Was blieb, war die kleine Gemischtwarenhandlung in der Alserstraße. Und jetzt das gewaltsame Lebensende!
Das legendäre Sicherheitsbüro hatte schon bei seiner ersten Erhebung Glück. In der Manteltasche des Toten wurden zwei Straßenbahnfahrscheine gefunden, auf denen die gefahrene Strecke von Grinzing um zirka 23 Uhr markiert war. Als nächster kriminalistischer Schritt wurde die Schaffnerin jenes Wagens ausfindig gemacht werden, mit dem Arthold gefahren ist. Weil zu so später Stunde fast keine Fahrgäste mehr anwesend waren, konnte sie sich gut an Arthold und seine Begleiterin, eine blonde Dame in einem Panofixmantel, erinnern.
Die Tatverdächtige#
Die Polizei hatte größtes Interesse an der Mitfahrerin, vorerst einmal nur als Zeugin, denn man traute dieses hohe Maß an Gewaltanwendung (rund 40 Hiebe mit einem harten Gegenstand) einer Frau nicht zu. In kurzer Zeit wurde eruiert, dass es sich bei der Gesuchten um Adrienne Eckhardt handelte. Ein Kriminalbeamter holte sie aus ihrer Wohnung ab, um sie als Zeugin ins Sicherheitsbüro zu bringen. Auf einem Kleiderhaken ihrer Untermietwohnung im 7. Bezirk hing jener Mantel, welcher der Schaffnerin aufgefallen war. Das geübte Auge des Beamten entdeckte darauf Schmutzspuren, daneben hing ein Rock mit Flecken, die abzuwaschen versucht worden waren. Bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung stellte sich heraus, dass es sich um Blutspuren der Blutgruppe Artholds handelte. Eckhard gab an, mit diesem beim Heurigen in Grinzing gewesen und mit ihm zurück zu seinem Geschäft in die Alserstraße gefahren zu sein. Vor der Eingangstür habe sie von Arthold ein Lebensmittelpaket übernommen und sei dann nach Hause gegangen.
Diese Darstellung ließ sich auf Grund des gerichtsmedizinischen Blutbefundes nicht aufrechterhalten, weshalb Eckhardt dann mit einer neuen Variante aufwartete. Sie sei mit Arthold im Geschäft gewesen und habe mit ihm noch ein Bier getrunken, als ein ihr unbekannter, großer Mann, mit einem Dufflecoat bekleidet, eintrat und Arthold mit den Worten "Servus alter Gauner" begrüßte.
Das Interesse der Bevölkerung an diesem Kriminalfall war immens, nicht zuletzt wegen des Dufflecoats, einem damals sehr modernen Kleidungsstück, das durch den Film "Der dritte Mann" - mit Orson Welles in der Hauptrolle - bekannt geworden ist. Adrienne Eckhardt sagte, nach einer Auseinandersetzung der beiden Männer habe der ihr Unbekannte einen Gegenstand aus seiner Manteltasche genommen, wiederholt mit diesem auf Artholds Kopf eingeschlagen. Dann forderte er sie auf, ein Messer zu bringen, mit dem er dem röchelnden Opfer die Kehle durchgeschnitten hat.
Hierauf forderte der Unbekannte Adrienne E. auf, das Messer zu reinigen und das blutige Handtuch verschwinden zu lassen, während er selbst das Hiebwerkzeug, ein rund 30 cm langes Eisenstück, bei der Wasserleitung reinigte. Sie habe dann das Geschäft verlassen und der geheimnisvolle Unbekannte sei zurückgeblieben.
Der unvergessene Hofrat Franz Heger, damals Leiter der Mordkommission im Sicherheitsbüro, stellte der Verdächtigen mit einer nebensächlichen Frage eine Falle, in die sie prompt hineinfiel. Er fragte sie sinngemäß: Haben Sie das Licht abgedreht, als sie gingen? Sie bejahte das. Der erfahrene Kriminalist traf dann nur noch die Feststellung: Der große Unbekannte ist also in der Finsternis zurückgeblieben. Jetzt merkte Adrienne Eckhardt, dass ihr Spiel verloren war. Gleich darauf legte sie ihr Mordgeständnis ab. Als Motiv gab sie Hass an seit dem Tag, als der Kaufmann "widernatürlichen Sex" von ihr haben wollte, doch als zweites Motiv kam die Not dazu. Sie war zum Zeitpunkt der Tat völlig mittellos.
Der Tathergang spielte sich nach ihrer neuen Darstellung folgendermaßen ab: Eckhardt hatte mit einer Fleischmaschine ungefähr 40 Mal auf den Schädel von Arthold eingeschlagen und ihm dann noch den Hals durchgeschnitten. Zusätzlich zum Geständnis gab es aber auch kriminalistische Sachbeweise und zwar die Blutspuren (Blutgruppe des Opfers) auf ihrem Mantel, ihrem Rock und vor allem das in ihrer Wohnung sichergestellte Corpus delicti, die Fleischmaschine. Ferner verfügte die Täterin plötzlich über Bargeld. Sie hat damit zum Beispiel ihre Uhr im Dorotheum ausgelöst.
Der mysteriöse Bertini#
Das im Sicherheitsbüro abgelegte Geständnis wiederholte sie auch vor dem Untersuchungsrichter. Doch bald trat bei ihr ein Sinneswandel ein und sie gab eine neue Variante zum Besten. Nicht sie selbst und auch kein unbekannter Mann habe Johann Arthold umgebracht, sondern Konstantin Ber- tini, den sie vor einigen Monaten im Wiener Nachtlokal "Moulin Rouge" kennen gelernt habe. Dieser Bertini war Rauschgifthändler und Adrienne Eckhardt sollte ihn bei seinen Geschäften unterstützen. Ihr erster Kunde sei Arthold gewesen, der allerdings bald mit seinen Zahlungen in Schwierigkeiten geriet. Bertini erschien an besagtem Abend im Geschäftslokal des Johann Arthold und forderte ihn auf, seine Schulden zu begleichen, doch weigerte sich dieser mit der Begründung, dass er kein Geld besitze. Hierauf hat Bertini aus seiner Tasche eine Fleischmaschine genommen und damit auf Artholds Kopf eingeschlagen, worauf der zu Boden gesunken sei. Dann schnitt er mit einem Messer dem Schwerverletzten die Kehle durch. Nach vollbrachter Tat forderte Bertini Adrienne Eckhard auf, dem Getöteten den Ring vom Finger zu ziehen und Geld mitzunehmen.
Der Untersuchungsrichter, der ihr diese neueste Version nicht glaubte, fragte sie, warum sie den jetzt ins Spiel gebrachten Mann vorher nie namentlich genannt hatte. Sie gab die unlogische Antwort, dass sie damit das Verfahren nicht verzögern wollte. Bis jetzt sei ihr alles egal gewesen, aber jetzt, da sie schwanger sei, wolle sie die Wahrheit sagen, damit ihr Kind nicht später einmal mit Verachtung auf sie schauen wird. Der im Stadium der Voruntersuchung engagierte Rechtsanwalt Michael Stern ließ nichts unversucht, auf die Spur des ominösen Rauschgifthändlers zu kommen, doch ohne Erfolg.
Die Angeklagte kam am 26. Juli 1929 als einzige Tochter des Ehepaares Oskar und Paula Eckhardt zur Welt. In dieser äußerst schlechten Zeit verlor der Vater seinen Posten als Bankbeamter und die kleine Adrienne kam in das Internat des Klosters "Vom armen Kinde Jesu" in Stadlau. Mit dem Einmarsch der Hitlertruppen wurde die Klosterschule geschlossen und die Familie übersiedelte nach Wiener Neustadt. Der Vater bekam einen Posten bei den dort ansässigen Flugzeugwerken, die Mutter wurde in diesem Rüstungsbetrieb kriegsdienstverpflichtet und Adrienne besuchte die Hauptschule in Reichenau.
Nach dem Krieg absolvierte Adrienne die Säuglingsschwesternschule in Wien-Glanzing und arbeitete nach Erhalt des Diploms in einem Wiener Kinderspital. In dieser Zeit lebte sie mit einem Griechen zusammen, wurde von ihm geschwängert, die Schwangerschaft aber wegen einer Gelbsucht abgebrochen. Als der Mann das Verhältnis mit ihr löste, erpresste sie ihn und wurde zu einer bedingten Haftstrafe von drei Monaten verurteilt.
Nach einigen anderen Arbeitsstellen, die sie wegen Diebstahl verloren hatte, versuchte sie sich als "Bardame" und "Gesellschaftsdame". Bei dieser Tätigkeit traf sie den Cadbury-König Johann Arthold. Sie kannte diesen Emporkömmling schon seit dem Jahre 1944, als er in der Nähe des Wohnhauses ihrer Eltern ein Lebensmittelgeschäft betrieben hat. Er lud sie wiederholt zu Kinobesuchen oder zum Heurigen ein. Eine Beziehung wollte Adrienne mit ihm nicht eingehen, dafür gefiel ihr der Mann zu wenig, auch störte sie sein unmoralischer Lebenswandel. Daraufhin wurde der Kontakt loser. Erst im November 1952 trafen sie sich wieder.
Am 23. März 1953 begann der Prozess, der ein großes Interesse in der Bevölkerung auslöste. Manche Leute stellten sich die ganze Nacht an, um einen Platz im großen Schwurgerichtssaal zu bekommen. Der größte Indizienprozess seit 1945 wurde von Landesgerichtspräsident Rudolf Naumann um neun Uhr eröffnet. Die Anklage vertrat der Erste Staatsanwalt Otto Hörmann, als Verteidiger fungierte Staranwalt Stern.
Adrienne Eckhardt bekannte sich nicht schuldig im Sinne der Anklage, sondern gestand lediglich, Bertini bei der Tat behilflich gewesen zu sein. Die anfängliche Abneigung gegenüber der Angeklagten schlug im Laufe des Prozesses, nicht zuletzt durch die unfaire Behandlung bei Gericht, in Sympathie um. Die Menschen schickten ihr Blumen, Lebensmittel, Geld und Liebesbriefe, wie es bei männlichen und weiblichen Mördern oft der Fall ist.
Der Beginn eines Gedichts, das von einem männlichen Verehrer stammt, illustriert dieses sozialpsychologische Phänomen: "Gedankenvoll steh ich vor Deinem Bild und schaue tief in Deine Augensterne; wie blicken sie so sehnsuchtsvoll und mild in eine trübe, unbekannte Ferne! Ein dunkles Schicksal weht daraus mich an - unselige Verstrickung, tragisch Ende - ich weiß, zerrissnen Herzen ward getan die Bluttat Deiner zarten kleinen Hände."
Das Urteil#
Nach mehrstündiger Beratung wurde das einstimmige Verdikt der Geschworenen verkündet: Adrienne Eckhardt ist des meuchlerischen Raubmordes im Sinne der Anklage schuldig. Sie wurde zu lebenslangem, schweren Kerker verurteilt. Als erschwerend nahm das Gericht die besondere Rohheit und Hartnäckigkeit bei der Ausführung der Tat an. Die von Stern eingebrachte Nichtigkeitsbeschwerde wurde verworfen, der Berufung aber Folge gegeben und die Strafe auf 20 Jahre schweren Kerker herabgesetzt. Zur Strafverbüßung kam die Verurteilte in die Justizanstalt Schwarzau am Steinfeld, der einzigen Frauenstrafanstalt Österreichs, wo sie auch ihr Kind zur Welt brachte. Rechtsanwalt Stern versuchte einige Wiederaufnahmeanträge, die mangels Gründen abgewiesen wurden.
Die Haft sollte gemäß dem Urteil im Jänner 1973 beendet sein, doch wurde Adrienne Eckhardt im November 1967 bedingt entlassen, der Strafrest von etwas mehr als fünf Jahren wurde ihr unter Setzung einer Probezeit bis zum Jahre 1973 nachgesehen. Sie bekam einen neuen Namen und übersiedelte in ein anderes Bundesland. Offen ist die Frage geblieben, ob es Konstantin Bertini wirklich gegeben hat und wenn ja, welche Rolle er in diesem makabren Kriminalfall spielte.
Otto Hausmann, geboren 1935, ist Rechts- und Staatswissenschafter und lebt als Universitätsbediensteter i.R. in Wien.