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Fester Stand auf dem Band#

Der Tiroler Christian Waldner ist einer der Stars der österreichischen "Slackline"-Szene. Nach wagemutigen Touren im Hochgebirge überquert er nun am 24. Mai den Wiener Stephansdom in rund 60 Metern Höhe.#


Mit freundlicher Genehmigung der Wiener Zeitung, Samstag/Sonntag 11./12. Mai 2013

Von

Irene Prugger


Highlinen
Das "Highlinen" in gebirgigen Höhen ist die Königsdisziplin des "Slacklinens": Hier Christian Waldner unterwegs zur Innsbrucker "Frau Hitt", 2012.
Foto: © Slackliner.at

Es begann vor ungefähr zehn Jahren im Kletterparadies von Arco im Trentino, nahe dem Gardasee. Der junge Tiroler Sport- und BWL-Student Christian Waldner, geboren 1979, war mit Freunden von einer fordernden Klettertour zurückgekommen, und alle lagen matt und ausgelaugt in den Zelten. Aber wie das bei jungen Menschen so ist, erholten sie sich rasch und sannen nach weiterem Zeitvertreib. Und so nahm Christian das Abschleppseil aus seinem Auto, befestigte es zwischen Anhängerkupplung und einem Olivenbaum und begann zu balancieren.

Das gefiel ihm so gut, dass er zu Hause gleich in den nächsten Baumarkt eilte und sich einen 15 Meter langen, 25 Millimeter breiten Gurt besorgte, um das Slacklinen zu trainieren, das damals in Österreich noch kaum jemand kannte und beherrschte, außer ein paar Freaks und Bergsportprofis wie Heinz Zak, der bereits Ende der 1970er Jahre die Welt des Balancierens im Camp 4 im Yosemite in Kalifornien kennen gelernt hatte und schon bald mit spektakulären Begehungen auf sich aufmerksam machte.

Christian Waldner war begeistert, weil das Slacklinen mit seinen körperlichen und mentalen Anforderungen eine gute Ergänzung zum Klettersport darstellte und ruhige Konzentration mit Artistik verband. Allerdings kannte er niemanden, der ihm gute Tipps hätte geben können. Und so übte er für sich allein, zuerst aus Unkenntnis auf zu langen und zu straff gespannten Seilen, ließ aber nicht locker und schreckte auch nicht davor zurück, die Lines in der Öffentlichkeit aufzubauen, etwa im Sommer an einem Baggersee. "Die Leute standen staunend um mich herum und meinten, ich sei vom Zirkus!"

Christian-Waldner
Christian Waldner.
Foto: © Chris Huber

Überspannt? Nein, im Gegenteil. Die Übersetzung für slack lautet: schlaff, locker, lose, flau, lasch, nachlässig, lustlos, schlampig, verbummelt. Für die Slackliner empfehlen sich zwar andere Eigenschaften bei einem Act oder Stunt, aber im Fall des Slacklinens gilt der Begriff ohnedies nur für die Line und kann mit "durchhängend, locker" übersetzt werden. Die Line ist elastisch, vorwiegend aus Polyester, und hängt tatsächlich ein bisschen durch - egal, ob sie zwischen Baumstämmen, Kirchtürmen, Berggipfeln oder Felswänden aufgespannt ist.

Besser schmales Band#

Christian Waldner war entschlossen, sich nicht abwerfen zu lassen, und trainierte weiter. Zeitgleich begannen sich in Deutschland und Österreich kleine Szenen herauszubilden: Man organisierte Treffen, tauschte Erfahrungen aus und lernte voneinander. Zum Beispiel, dass ein breiteres Band keineswegs leichter zu begehen ist als ein schmales, im Gegenteil: Da es beim Slacklinen vor allem auf das zentrierte Belasten der Leine ankommt, sind schmale Bänder besser geeignet, breitere Leinen kippen gern unter der Belastung seitlich weg.

Christian war bei den Treffen immer einer der Besten und seine Line-Begehungen wurden zusehends wagemutiger. Er spannte die Line u.a. auf der Innsbrucker "Frau Hitt" (siehe Bild oben) und öffentlichkeitswirksam in großen Hallen und über Stadtplätze. Auch die Engagements bei öffentlichen Events wurden häufiger und ließen in ihm den Wunsch aufkeimen, vom Sport leben zu können und sich dabei vor allem aufs Highlinen zu konzentrieren, denn das ist für die Zuseher und Akteure am spektakulärsten.

Auch beim Slacklinen gibt es mehrere Disziplinen: Die Jumpline ist straffer gespannt und eignet sich fürs akrobatische Springen, die Longline spannt sich über weite Distanzen (meistens zwischen 50 und 200 Meter), die Waterline, die auch eine Long- oder Highline sein kann, führt übers Wasser, und von einer Highline spricht man, wenn die Line in einer Höhe gespannt wird, aus der man nicht mehr ohne Weiteres abspringen kann und die Sicherung des Slackliners erforderlich wird. Sie ist die Königsdisziplin und erfordert am meisten Mut und Selbstüberwindung. In gebirgigen Höhen muss man dabei auch den oft böenartig auftretenden Wind mit einberechnen.

Slacklinen
Auf einen Fels mit Strukturen zuzugehen sei leichter, als etwa auf eine schwarze Granitwand, sagt Christian Waldner.
Foto: © Slackliner.at

Nichts für schwache Nerven, aber beim Highlinen, sagt Christian Waldner, sei der Aufbau der Line oft gefährlicher als der Balanceakt selbst. Wenn man die Line zwischen hohen Gebäuden oder Felsen spannt, braucht es schon beim Anstieg gute alpine Kenntnisse - und man muss genau auskundschaften, wo das Mauerwerk oder der Fels Risse aufweist und eventuell bröckeln könnte.

Mit Sicherungsleine#

Die Line schnurgerade von einer Felswand zur anderen zu spannen, ist eine weitere Herausforderung und kann bei größeren Distanzen nicht mit freiem Auge bewerkstelligt werden. Gute Planung und akkurates Arbeiten sind dabei vonnöten. Routinierte Slackliner wie Christian Waldner sind deshalb beim Highlinen mit einem Distanzmessgerät, das auch die Winkelgrade anzeigt, ausgerüstet. Letztlich ist auch die Gehrichtung entscheidend: "Leicht aufwärts geht es sich einfacher als leicht abwärts; auf eine eintönig schwarze Granitwand zuzugehen ist schwieriger, als einen Fels vor sich zu haben, der Strukturen aufweist und optische Anhaltspunkte bietet."

Im Notfall - und das ist vor allem bei der Highline wichtig, die über tödlich-klaffende Abgründe führt - übernimmt die Leash, die Sicherungsleine, die Lebensrettung. Aber die Profis brauchen sie selten. Christian Waldner: "Bei einem Sturz kann ich mich meistens selber abfangen. Aber ohne Sicherung geht man psychisch nicht so frei und in vielen Fällen wäre es auch unverantwortlich. Die meisten Slackliner befolgen das Gebot: Safety first!"

Christian Waldner hat sich mit seinen großartigen Leistungen in der Szene einen Namen geschaffen - und mittlerweile auch mit seinen beliebten Slackline-Kursen und Shows einen festen Stand auf dem Band. Ein staunendes Publikum wirkt dabei durchaus anspornend. "Das schönste Gefühl ist es, wenn rundherum alles verschwimmt, man sich trotzdem sicher und selbstbewusst fühlt, den Flow genießt und mit dem, was man tut, im Einklang ist."

Halten Slackliner auch im täglichen Leben die Balance? Selbstverständlich nicht immer. Auch bei Christian gab es Krisen: Er musste wegen einer Verletzung, die allerdings nicht vom Slacklinen herrührte, einmal längere Zeit pausieren und auf seinen geliebten Sport verzichten. "Aber was ich beim Slacklinen gelernt hatte, half mir auch beim Überwinden der Krise: Den Schwerpunkt richtig setzen, mich auf das Wesentliche fokussieren, mich nicht durch kontraproduktive Gedanken ablenken lassen, zu heftige Schwingungen durch Gegenbewegungen ausgleichen, ganz bei mir sein - und entschlossen aufs Ziel zugehen."

--> www.slackliner.at

Wiener Zeitung, Samstag/Sonntag 11./12. Mai 2013