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Wiener Wahrzeichen: Wäschermädel und Spinnerin#

Nicht nur die gängigen Touristenattraktionen formen das Image einer Stadt. Eine Spurensuche.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 21. September 2019

Von

Thomas Hofmann


Die Wiener Rotunde im Jahr 1873
Die Wiener Rotunde im Jahr 1873.
Foto: © Wiener Photographen-Association

Die Frage nach Wiener Wahrzeichen scheint schnell beantwortet: Stephansdom, Riesenrad, Schloss Schönbrunn, Donauturm. . . Doch je länger die Liste, desto breiter gefächert sind die Antworten. Blickt man zurück, taucht Überraschendes wie auch Verschwundenes auf.

Emil Hofmann (1864-1927), Wiener Schriftsteller, Heimatforscher, Autor des Buches "Wiener Wahrzeichen" (und mit dem Verfasser dieses Artikels nicht verwandt), meint dazu: "Die Wahrzeichen. Sie erzählen von Leid und Freude, von Scherz und Laune, von Kunst und Wissenschaft, von Sitte und Brauch und oft klettert an ihnen die schöne Sagenranke hinan und spinnt ihre duftenden Blüten." Dieser Klassiker mit dem Untertitel "Ein Beitrag zur Sage und Geschichte der Kaiserstadt am Donaustrand" wurde 1914 an die Schuljugend verteilt und war als Stadtführer quer durch die damals 21 Bezirke angelegt.

Der Schwerpunkt lag auf Gebäuden, Denkmälern, Bildsäulen, Hauszeichen (Stichwort Basiliskenhaus) etc. Der Autor verfolgte einen sehr breiten Ansatz. So finden wir auch den Brigittakirtag, der 1848 zum letzten Mal stattfand. Mit dem Wäschermädel oder der Frau Sopherl vom Naschmarkt erhob Hofmann auch Wiener Typen zum Wahrzeichen. Mit dem Bäckerschupfen oder der legendären Burgmusik listete er lieb gewordene Bräuche auf - heute würden sie als immaterielles Erbe firmieren. Am Ende des Buches würdigt er die Donau mit pathetischen Worten: "Du bist das vollendetste Wahrzeichen echt österreichischer Treue und Beständigkeit."

Größe reicht nicht#

Manche Wahrzeichen sind derart bedeutend, dass sie über Wien hinaus als solche wahrgenommen werden, das gilt nicht nur für den Lauf der Donau auf ihrem Weg ins Schwarze Meer. Auch Schönbrunn, heute UNESCO-Weltkulturerbe, ist so ein Beispiel. "Ja, Schönbrunn ist nicht österreichischer, sondern österreichischester Boden, ist nicht ein Wahrzeichen von Wien, sondern Oesterreichs", schrieb "Das kleine Volksblatt" am 30. Mai 1948, als Wien unter den vier Besatzungsmächten aufgeteilt war. Auslöser des Artikels war der bevorstehende Rückzug Großbritanniens, das sein Hauptquartier im kaiserlichen Schloss aufgeschlagen hatte, wo einst schon Napoleon residierte.

Bleiben wir aber beim Thema Wiener Wahrzeichen von weltweiter Bedeutung. Die "Wiener Zeitung" würdigt in ihrer Reihe "100 Jahre Republik - Chronik" am 23. August 2018 unter dem Titel "Ein Wiener Wahrzeichen für die Welt: Die Uno-City wird eröffnet" den Wiener Standort der UNO. Zusammen mit New York, Genf und Nairobi gehört Wien zu den vier weltweiten Standorten der Vereinten Nationen. Eröffnet wurde der Bau am 23. August 1979, also vor 40 Jahren.

Prägten die markanten Türme der UNO-City mit ihrem Y-förmigen Grundriss zunächst die Skyline Transdanubiens, entstanden in den nächsten Dekaden weitere Hochhäuser, die sowohl einzeln - erwähnt sei der 2014 eröffnete, 250 Meter hohe DC Tower - wie auch als Ensemble das Zeug zum Wahrzeichen haben. An dieser Stelle sei der 1964 vollendete Donauturm nicht vergessen - mit 252 Metern das höchste Gebäude Österreichs. Eine Ehre, die über Jahrhunderte der Stephansdom innehatte. Doch Höhe oder Größe alleine machen ein Wahrzeichen nicht aus.

Auch Komponenten wie die Tradition als solche oder Alleinstellungsmerkmale kommen hinzu. Wikipedia etwa weist darauf hin, dass der Terminus Wahrzeichen kein "offizieller Titel" ist und führt hier typische Merkmale und Erkennungszeichen ins Treffen. In diesem Kontext sind auch fiktive Figuren (Bremer Stadtmusikanten), Landschaften (Tafelberg in Kapstadt) und Pflanzen (Tulpe in den Niederlanden) gelistet.

Historische Ansicht einer Wiener Landmarke
Historische Ansicht einer Wiener Landmarke.
Foto: © Archiv Thomas Hofmann

Doch bleiben wir in Wien. Unter den alten Wahrzeichen taucht neben dem Stephansdom auch immer wieder die Spinnerin am Kreuz, die gotische Landmarke am Rücken des Wienerbergs, auf. Auch Emil Hofmann hat sie als Titelvignette seiner "Wiener Wahrzeichen" gewählt. Dazu als besonderes Attribut deren Alter. Glaubt man dem "Kleinen Volksblatt" (19. Februar 1941), ist es "eines der ältesten Wahrzeichen Wiens".

Rechnet man nicht in historischen, sondern in geologischen Zeitmaßstäben, so ist der Kahlenberg der unbestrittene Methusalem. Ein Feuilletonist des "Feldkircher Anzeigers" (20. Juni 1893) beginnt seine Erinnerungen an Beethoven mit der Beethovenpromenade, die er "zwischen den prangenden Weingärten hinan, gegen den treuen alten Kahlenberg, das Wahrzeichen Wiens" lokalisiert.

Ein Blick zu den Künstlern#

Dass der Kahlenberg (484 m) mit der Stephaniewarte und dem Sender zwei weitere Wahrzeichen trägt, mag uns nicht verwundern. Die landschaftsprägende Wirkung mit der wunderbaren Aussicht, Stichwort Grillparzer ("Hast du vom Kahlenberg das Land dir rings beseh’n . . . "), und die historische Bedeutung (Stichwort Schlacht des Entsatzheeres unter Jan Sobieski gegen die Türken im September 1683) machen ihn selber zum Wahrzeichen.

Überhaupt lohnt sich ein Blick zu den Künstlern. Als etwa der letzte Spross der Straußdynastie, Eduard (Bruder des legendären Walzerkönigs Johann, "Schani") am 28. Dezember 1916 als 82-Jähriger starb, war die Trauer groß. "Eduard Strauß war ein lebendes Wahrzeichen Wiens und der Wiener Musik und seine schlanke, elegante Figur bildete durch ein Menschenalter hindurch den Typus des Wiener Kapellmeisters voll Schwung und Temperament." ("Wiener Bilder", 7. Jänner 1917).

Dass sein Vater zusammen mit Joseph Lanner den Wiener Walzer salonfähig machte, ist unbestritten. Das meint auch der empörte Leser R. G. im "Neuigkeits-Welt Blatt" (12. April 1929), der in einem Leserbrief die Pflege der Strauß-Gräber vernachlässigt sah: "Durch Johann Strauß Vater wurde der Walzer eigentlich zum Wahrzeichen Wiens."

Einen Sonderstatus nimmt hier natürlich der "Donauwalzer" ein, die inoffizielle Hymne Österreichs, ein Werk von Johann Strauß Sohn ("Schani"), das im Februar 1867 erstmals aufgeführt wurde. 50 Jahre später lesen wir in einer Würdigung: "Und wie der Stephansturm ein Wahrzeichen Wiens, so ist der Donauwalzer ein Wahrzeichen der wienerischen Musik geworden." ("Neue Freie Presse", 11. Februar 1917).

Das Café Central in der Wiener Innenstadt
Das Café Central in der Wiener Innenstadt.
Foto: © Thomas Ledl

Ebenso typisch wie der Walzer ist das Kaffeehaus; dessen zunehmendes Verschwinden beklagten die "Wiener Caricaturen" schon in den 1920er Jahren. "Eine ganz namhafte Anzahl der, geradezu ein Wahrzeichen bildenden Wiener Kaffeehäuser mußten ihre weltbekannt eleganten Räume räumen, zu Ehren Merkurs, des Gottes des Handels und der Banken . . . " Das Fazit? Alles schon einmal da gewesen, auch das Kaffeehaussterben. Als Wahrzeichen unter den Wahrzeichen, "ein Wahrzeichen der Branche", findet schon 1890 das legendäre Café Central Erwähnung als ein "von der besseren Welt frequentierter Moccatempel" ("Montags Zeitung", 24. November 1890).

"Der Kanzler mit der Virginia"#

An dieser Stelle sei nicht nur an die Kaffeehausliteraten erinnert, sondern auch an den Tabakgenuss, der dort gepflegt wurde. Wir treffen die legendäre Virginia, die - wie könnte es anders sein - auch zu den Wahrzeichen gezählt wurde. "Diese lange, schmale Zigarre ist gewissermaßen auch ein Wahrzeichen der Wiener Art geworden."

Und: "Die Virginia ist insoferne eine Königin der Zigarren, als ihr alle Raucher ohne Unterschied des Ranges und Standes huldigen. Bekanntlich hat auch Kaiser Franz Joseph jahrzehntelang die Virginia jeder anderen Zigarre vorgezogen." Nachzulesen im "Fremden Blatt" vom 31. Juli 1918.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte der virginiarauchende Bundeskanzler Julius Raab als Verhandler beim Staatsvertrag in die Geschichte eingehen. Anlässlich des Jubiläums 60 Jahre Staatsvertrag widmete ihm Ernst Trost 2015 eine Fernsehsendung mit passendem Titel: "Julius Raab - Der Kanzler mit der Virginia".

Unter den Wahrzeichen, die man wohl kaum als solche identifizieren würde, befindet sich auch der "Eiserne Wehrmann". Das ist jene überdimensionale Holzstatute eines Ritters, die heute über und über mit Nägeln bedeckt in den Arkaden des Hauses Felderstraße 6-8 / Ecke Rathausstraße steht. 1915 war die Lindenholzstatue als "Wiener Wahrzeichen aus der Kriegszeit" ("Deutsches Volksblatt", 6. April 1915) am Schwarzenbergplatz aufgestellt worden. Jeder Nagel, der dort gegen bare Münze (eine Krone) in der Manier des alten Wahrzeichens ("Stock im Eisen") eingeschlagen wurde, kam dem Witwen- und Waisenhilfsfonds als "Waisenglücksnagel" zugute. Crowdfunding würde man heute dazu sagen.

Überragende Wahrzeichen mit Monumentalcharakter finden oft Erwähnung; zunächst bei der Planung, dann beim Bau, bei der Einweihung u.s.w. ". . . wir sehen in der Rotunde, dem prachtvollsten Ausstellungsraum der Welt, ein Wahrzeichen, daß Wien seiner Aufgabe, Mittelpunkt der Cultur Osteuropas zu sein, gerecht zu werden beginnt, und wie der altehrwürdige Stephansthurm das Symbol des alten historischen Wiens ist, so ist die Rotunde das Symbol der mächtig aufstrebenden Welt- und Handelsstadt an der Donau, des Wiens der Zukunft." ("Wiener Weltaustellungs-Zeitung", 8. Februar 1873).

Buchcover, 'Wiener Vergnügungen'
"Wiener Vergnügungen"

Dass dieser Monumentalbau je verschwinden würde, war undenkbar. Als er am 17. September 1937 abbrannte, war die Trauer groß. "Wien ist um ein Wahrzeichen ärmer." ("Das interessante Blatt", 23. September 1937).

Ähnlich mag es im Herbst 2019 manchem Wiener und mancher Wienerin angesichts des Abrisses des 1980 errichteten Rinter-Mistzeltes in Wien Donaustadt gehen. Dass das 68 Meter hohe transdanubische Wahrzeichen, das in seiner äußeren Gestalt an die Rotunde erinnerte, nicht mehr sein wird, bedarf der Gewöhnung. Irgendwann werden nur mehr die Geschichtsbücher davon berichten, ganz so wie beim einst weithin sichtbaren Gasometer Leopoldau, "ein industrielles Wahrzeichen Wiens" ("Das kleine Volksblatt", 27. Juli 194), der heute schon längst Geschichte ist.

Bei Wahrzeichen muss man wohl mit allem rechnen. Sie sind auch für Überraschungen gut, vor allem, wenn man in Satire-Zeitschriften danach sucht. Zum Schmunzeln ist etwa die Antwort im "Kikeriki" vom 28. Dezember 1893 auf die Frage, welches "Wiener Wahrzeichen" als Motiv für die Damenspende auf dem Ball der Stadt Wien in Fragekäme:

- "Da wüßt’ ich gleich ein prächtiges Motiv!
- Na, g’wiß den alten Steffel.
- Ka Spur! Den alten - Schlendrian!"

Thomas Hofmann, geboren 1964, ist Bibliothekar und Autor. Am 23. September erscheint von ihm und Beppo Beyerl das Buch "Wiener Vergnügungen" (Styria Verlag, 224 Seiten, 27,– Euro). www.thomashofmann.at

Wiener Zeitung, 21. September 2019

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