Die „Spinnerin am Kreuz“, eine gotische Bildsäule in Wiener Neustadt#
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Sämtliche Illustrationen wurden 2002 vom Verfasser photographisch aufgenommen. Sie sind Teil des Archivs Bilderflut Jontes und als solche urheberrechtlich geschützt.
In einer Grünanlage etwas außerhalb des Stadtkerns gelegen und deshalb dem Kurzbesucher von Wiener Neustadt nicht direkt in den Weg gestellt, erhebt sich im Walther von der Vogelweide-Park eines der erlesensten Denkmale der Hochgotik in ganz Niederösterreich, das Flurdenkmal Spinnerin am Kreuz. Einst hieß diese leicht erhöhte Parkanlage Kaiser Franz-Joseph Volkspark, aber das Zeitgeschehen hat auch hier radikal zugegriffen und den Namen des Kaisers durch den politisch neutralen größten deutschen Dichter des Mittelalters ersetzt.
Eine Sage verbindet sich mit diesem volkstümlichen Namen Spinnerin am Kreuz. Sie erklärt die Benennung aber keinesfalls, die auffälliger Weise mit dem weitaus bekannteren Wiener Denkmal am Wiener Berg übereinstimmt. Die Wiener Neustädter „Spinnerin“ hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Eine moderne Tafel fasst sie kurz zusammen:
Lassen wir aber zuerst die Sage sprechen, wie sie Leander Petzold in seine Sammlung „Sagen aus Niederösterreich“, München 1992 aufgenommen hat.
Im Jahre 1384 sah der über Land fahrende Neustädter Bürgermeister vor dem Wiener Tor einen gelähmten Mann auf Krücken stehen, der ihn bat, ob er nicht eine kurze Strecke auf dem Wagen aufsitzen dürfe. Das wurde ihm gestattet und die beiden kamen ins Gespräch. Als sie an der wie üblich außerhalb der Stadt gelegenen Richtstätte vorüberkamen, meinte der Bürgermeister, er würde doch allzu gerne wissen, wie es wohl einem zum Tode Verurteilten zu Mute sei, wenn er unter dem Galgen stünde. Der Lahme antwortete dem Bürgermeister, dass dieser vielleicht einmal selber in diese missliche Lage kommen könne. Das war zwar eine freche Antwort, aber der seltsame Mann erweckte trotzdem Wohlgefallen und er wurde sogar in das Haus des Stadtoberhauptes eingeladen, um dort einige Zeit zu verbringen. Man unterhielt sich immer wieder köstlich, doch eines Tages war der Gast verschwunden, hatte sich nicht einmal verabschiedet, aber einen kostbaren Ring zurückgelassen. Der Bürgermeister vermeinte nun, dass sich der seltsame Mensch mit dem Kleinod nur für die erwiesene Gastfreundschaft bedanken wolle. Als er den Ring an seinen Finger steckte und damit in die Öffentlichkeit ging, wurde durch einen Ritter ruchbar, dass dies der Schmuck eines Edelfräuleins gewesen sei, die vor einiger Zeit im wilden Leithagebirge beraubt und ermordet worden war. Der Bürgermeister wurde verhaftet, konnte seine Unschuld nicht beweisen und über ihn wurde die Todesstrafe verhängt. Und unter dem Galgen musste er nun am eigenen Leibe erfahren, was er vor kurzem neugierig erfragt hatte. Wie der Henker nun seines Amtes walten wollte, tauchte aus der Menge plötzlich der Lahme auf und klärte die Unschuld des Bürgermeisters auf, denn er selber habe die ruchlose Tat begangen. Sein Gewissen aber habe ihn dazu gezwungen, die Tat nun zu gestehen. Der nun von einer angeblichen Schuld Befreite ließ dann aus Dankbarkeit an der Richtstätte das steinerne Kreuz errichten.
Die Sage hat einige logische Schwachstellen und der Name wird ebenfalls nicht erklärt, der bei der bekannten Wiener Spinnerin am Kreuz eindeutig ist.
Diese steht an der Stelle, wo man von der Straße aus erstmals einen Blick auf Wien hatte. Heute hat die Stadt längst das Wegdenkmal eingeholt und dieses steht mitten in verbautem Gebiet. Auch hier war eine Richtstätte, auf der bis ins 19. Jahrhundert öffentliche Hinrichtungen stattfanden.
Beide Denkmäler ähneln sich sehr, das Wiener Neustädter ist aber größer, höher und reicher mit figuralem und ornamentalem Schmuck versehen. Die Wiener Sage steht in Verbindung mit den Kreuzzügen, denn hier habe eine Frau, deren Gatte als Kreuzfahrer ins Heilige Land gezogen sei, jahrelang Garn spinnend auf seine Heimkehr gewartet. An der Stelle ist bereits 1296 ein „stainern kreutz“ urkundlich genannt. Dass es aber später durch den Baumeister Michael Knab, der auch in Wiener Neustadt das dortige Kreuz erbaut hat, nach Zerstörungen neu errichtet worden sei, ist historisch nicht belegbar.
Als Stifter in Neustadt lässt sich ein Wolfhard von Schwarzensee nachweisen, der 1382-1384 als Stadtrichter und 1391/92 als Bürgermeister von Wiener Neustadt auftritt. Der Baumeister der Säule ist Meister Michael, der in seiner Familie als der Jüngere gegolten haben muss, denn er wird auch als Michael Chnab bezeichnet, „der Knabe“, geschrieben in der typisch mittelbairischen Mundartform.
Die Säule hatte schon ein halbes Jahrtausend überdauert, als 1903 ein furchtbarer Tornado sie schwer traf und das obere Drittel glatt abbrach.
Die Restaurierung dauerte vier Jahre und das Denkmal präsentierte sich wieder in makelloser Schönheit, wobei jedoch so manches Stück aufbauende Architektur mit dem reichen Maßwerk erneuert werden musste.
Wie sehr die beiden Epochen auseinanderklaffen zeigt das Relief mit Christus und den schlafenden Jüngern am Ölberg. Man kann aber auch ermessen, wie trefflich der mittelalterliche Steinmetz den zur Verfügung stehenden Platz ausfüllte, um Engel, Jesus, die in verschieden Posen Schlummernden in eine erzählerische Struktur brachte und mit dem Baum auch noch den Namen des Ölbergs bildnerisch aussprach. Außer der Ölbergszene sind auch die Geißelung und schließlich die Kreuzigung Christi als Relief gezeigt.
Es ist jedoch offensichtlich, dass Teile des figuralen Schmucks, die wie die Reliefs mehr im Hintergrund liegen, nicht neu geschaffen, sondern nur gesichert worden waren. Man erkennt dies sofort, wenn sie neben den künstlerisch und handwerklich hervorragend im neogotischen Stil erneuerten Figuren betrachtet.
Die „Spinnerin am Kreuz“, bei Petzoldts Sagenfassung „Spinnerkreuz“, ist ein 21 m hoher Turm, der sich aus fünf übereinander stehenden Registern aufbaut. Das Gerüst des Baues zeigt reiches Blendmaßwerk, Dreipässe und den ganzen übrigen Schatz gotischer abgezirkelter Baudetails.
In der Zone unter der Spitze legt eine Krönung der Gottesmutter Zeugnis von der besonderen Marienfrömmigkeit des Mittelalters ab.
Zur Sicherung der Fundamente des Baues sind auch die üblichen Wasserspeier mit ihren grotesken Fratzen und ihrer dämonischen Mimik angebracht.
Eine an der Rückseite eingeritzte Inschrift von 1492 mit Stifterwappen verweist auf den Ödenburger Stadtschreiber Konrad Ernst. In die Gründungsjahre reichen in der dritten Zone vier reliefierte Porträtbüsten zurück, die jeweils mit ihren Ehefrauen den Stifter Wolfhard und Meister Michael samt Familienwappen zeigen. Sie stehen neben den sechs als Halbfiguren gestalteten Propheten Jesaias, Jeremias, Ezechiel, Daniel, David und Salomon.
Schließlich erhöhen den Segenscharakter des Bauwerks auch noch die statuarischen Ganzkörperfiguren der Engel, und männlicher und weiblicher Heiligen.
Sie sind unter Baldachine gestellt, die aus dem baulichen Verband herauswachsen und selbst wieder mit Kreuzblumen geschmückt sind.
Die Faltenwürfe dieser nachgeschaffenen Figuren lassen erkennen, das den Bildhauern der Restaurierungsphase des beginnenden 20. Jahrhunderts die Zusammenschau von Körper und Gewand nicht mehr wie ihren mittelalterlichen Vorfahren am Herzen lag.
Die letzte Restaurierung wurde 1994 abgeschlossen. Ein eigener Verein hatte sich zu diesem Zweck gebildet und eines der hervorragendsten Kunstdenkmäler mittelalterlicher Frömmigkeit in die Realität der Gegenwart zurückgeholt.
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