Weltreise mit dem Gaumen#
"Fluthen eines wahren Schlaraffenlebens" erwarteten die Besucher auf dem Gelände der Wiener Weltausstellung 1873 und machten sie mit exotischen Gerichten bekannt - ein Vorläufer der Erlebnis-Gastronomie.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Sa./So., 10./11. Mai 2014)
Von
Susanne Breuss
Am 1. Mai 1873 eröffnete auf einem riesigen Gelände im Prater die Wiener Weltausstellung - es war die nach dem Start 1851 in London bereits fünfte und die erste im deutschsprachigen Raum. Geplant als ein Projekt der Superlative und begleitet von dem Bestreben Wiens, sich als eine moderne und weltgewandte Metropole zu positionieren, verfolgte sie das Ziel, die Fortschritte der einzelnen Länder, Betriebe, Gewerbe- und Industriebranchen sowie der Kunstproduktion zu zeigen und weiter zu fördern.
Eng verknüpft mit Fortschrittsoptimismus und Modernisierungswillen spielten Wissenschaft und Bildung eine zentrale Rolle. Wie bereits ihre Vorgängerinnen in London und Paris war aber auch die Wiener Weltausstellung gleichzeitig ein Ort der Unterhaltung und des Spektakels, von einigen Besuchern wurde sie sogar in erster Linie als solcher wahrgenommen, wie manch zeitgenössischer Beobachter kritisch anmerkte.
"Frivole" Erwartungen, Sorge um Leibeswohl#
Entsprang schon die Schaulust des Publikums nicht ausschließlich dem Bedürfnis nach Belehrung und Erkenntnis, so war für viele ein Besuch der Weltausstellung mit weiteren "frivolen" Erwartungshaltungen verbunden - der Wunsch nach musikalischer Unterhaltung zählte ebenso dazu wie die Sorge um das leibliche Wohl. Besonders dem Wiener Publikum sagte man derartige Prioritäten nach, wobei das traditionsreiche und seit dem "tanzenden" Wiener Kongress von 1814/15 international präsente Phäaken-Klischee dieser Sichtweise sehr entgegen kam.
Speziell an den Tagen mit reduzierter Eintrittsgebühr geriet das Weltausstellungsgelände zur Konkurrentin von Volksgarten und Stadtpark, denn auch hier konnte man auf höchst angenehme Art und Weise die Zeit verbummeln.
Zudem - und das war für die als genusssüchtig verschrienen Wienerinnen und Wiener kein unwesentlicher Faktor - präsentierte sich die Ausstellung in kulinarischer Hinsicht als ein äußerst vielversprechender Ort, ja es erwarteten sie "Fluthen eines wahren Schlaraffenlebens", wie der Autor eines Zeitungsberichts versprach und ironisch anmerkte: "Selbstverständlich meidet der Ausstellungsbummler sorgfältig die lärmende Maschinenhalle, er geht den Agrikultur-, Forst- und Industriepavillons aus dem Wege und läßt den Industriepalast abseits liegen (. . .), er kümmert sich nur um eine Gruppe: um die der Nahrungs- und Genußmittel (. . .); von allen Zahlen und Daten interessiren ihn nur die in den Speisekarten enthaltenen und wenn er mit dem Besuche der Ausstellung irgend ein ernsteres Studium verbindet, so ist dies höchstens die vergleichende Statistik der Bier- und Kalbsschnitzelpreise in den verschiedenen Restaurationen."
Das gastronomische Angebot auf dem Ausstellungsgelände war in der Tat beachtlich, bei den riesigen Ausmaßen der Veranstaltung allerdings notwendig, denn selbst eine oberflächliche Besichtigung der zahlreichen Abteilungen nahm viele Stunden in Anspruch und man benötigte daher ausreichend Gelegenheiten zum Ausruhen und zur Stärkung. Böse journalistische Zungen behaupteten allerdings, viele Wiener Besucherinnen und Besucher würden die Reihenfolge umdrehen und zunächst einmal nach einem Wirtshaus Ausschau halten, bevor sie sich dem mehr oder weniger ernsthaften Studium der Exponate widmen.
Lange suchen mussten sie dabei nicht, schon beim Eintritt in den Ausstellungsrayon erwarteten sie zwei Pilsener Bierhallen. Und weiter ging es mit einer Vielzahl an Wirtshäusern, Restaurants, Cafés, Trinkhallen, Konditoreien, Bäckereien, Buffets, Ausschänken und Verkostungsmöglichkeiten. Allein die Rotunde, der zentrale und mit seiner gewaltigen Kuppel Aufsehen erregendste Ausstellungsbau, beherbergte "Buffets wie der Sand am Meere".
Rentierzungen aus Sibirien#
Nicht nur den Augen, auch dem Geschmackssinn wurde also einiges geboten, und die Auswahl entsprach ganz der internationalen Ausrichtung der Ausstellung - insofern war es durchaus möglich, mit Gaumen und Magen eine Weltreise zu unternehmen. Im Angebot waren Rentierzungen aus Sibirien, Bärenschinken aus dem Ural, Schokolade aus der Schweiz, Knäckebrot aus Schweden, Risotto und Polenta aus Ita-lien, Pariser Küche, norddeutsche Spezialitäten, Sterz aus der Steiermark, Tee aus China, Reiswein aus Japan, American Mixed Drinks, Türkischer Mokka, ungarische Weine, Bier aus Österreich und Milch aus den Alpen, um nur einige Beispiele zu nennen.
In der Presse - sie widmete der Weltausstellung generell große Aufmerksamkeit und berichtete auch gerne über die Gastronomie auf dem Ausstellungsplatz - herrschte die Auffassung, dass der Besuch eines ausländischen Lokals einen lehrreichen Einblick in Land, Leute und Lebensgewohnheiten gewähre und sich zu mancherlei ethnographischen Studien eigne. Vieles sei "von anfremdelndstem Charakter und Geschmack" und gehe weit über den gewohnten "Thurybrückel-Horizont" hinaus. Je exotischer, desto aufregender - von dieser Maxime war nicht nur das Besucherinteresse häufig geleitet, sondern auch jenes der Journalisten, und sie betraf die Speisen und Getränke ebenso wie das pittoreske und folkloristische Ambiente, in dem diese dargeboten wurden.
Ganz im Sinne einer "Erlebnisgastronomie" bemühten sich die Wirte um eine mehr oder weniger authentische Ausstaffierung ihrer Lokale und ihres Personals. Manchem Berichterstatter erschienen die teilweise "theatralisch aufgeputzten" Kellner eher einer Ausstattungsoper entsprungen, und ethnologisch Gebildete erkannten hinter einer vermeintlichen Original-Kulisse die auf Effekt und Spektakel abzielenden Dekorationsphantasien einheimischer Gewerbetreibender.
Inszenierungen des Exotischen#
Inwieweit die Lokale jener Betreiber, die selbst aus den jeweiligen Ländern stammten, "echter" waren, ist schwer einzuschätzen, am Massengeschmack orientierte Vermarktungsstrategien dürften aber auch bei ihnen eine Rolle gespielt haben. So allgegenwärtig Inszenierungen des Exotischen und Fremden auf den Weltausstellungen (und auf verschiedenen "Völkerschauen") des 19. Jahrhunderts waren, so wenig trennscharf lassen sich seriösere von lediglich sensationslüsternen Formaten unterscheiden.
Zu den Aufsehen erregendsten "Labstellen" auf dem Weltausstellungsgelände zählte zweifellos der amerikanische Wigwam, vulgo "Indianerzelt". Eingerichtet nach den kulturhistorisch nicht ganz stimmigen Vorstellungen seines Wiener Betreibers, wartete er nämlich mit "wirklichen, kohlrabenschwarzen Mohren-Kellnern aus dem Nubierland" auf. Diese heftig angestaunten und von den Kindern zunächst gefürchteten "Negergarçons" ersetzten die "Rothäute", denn diese erschienen den Zeitgenossen für derartige Arbeiten ungeeignet, da zu "wild", zu "unzivilisiert" und den Weißen gegenüber zu feindlich gesinnt, während die Sklaventradition der Schwarzen zu "einer Gewöhnung an dienende Tätigkeiten" geführt habe.
Der lauschig gelegene Wigwam erfreute sich trotz hoher Preise großer Beliebtheit, ihm ist unter anderem zu verdanken, dass der Sherry-Cobbler, das internationale Modegetränk des späten 19. Jahrhunderts, auch in Wien populär wurde - wobei die Tatsache, dass er aus den noch ungewohnten Strohröhrchen geschlürft wurde, seinen Reiz zusätzlich erhöhte.
Eine Hetz machte sich das Wiener Publikum nicht nur mit den afrikanischen Kellnern, auch die weiblichen Gastronomieangestellten dienten vielfach dem Gaudium der Gäste, in diesem Fall der männlichen. So war die Beliebtheit des steirischen Weinhauses seinen guten Weinen und der stets fidelen Atmosphäre ebenso geschuldet wie seinen drallen Kellnerinnen - "Originalwaare aus dem Alpenländchen" - in kurzen Röcken und keck drapierten Hütchen. Einen ähnlichen binnenexotischen Reiz übten die "feschen Kärntner Diarndeln" in der Kärntner Restauration aus - ungeachtet der Tatsache, dass diese von ihrem Chef derart schlecht behandelt wurden, dass in der Presse von Sklaverei die Rede war und das Lokal unter Aufsicht gestellt werden musste.
Wenn das Weltausstellungsgelände als ein Schlaraffenland beschrieben wurde, so war das nur die eine Seite der Medaille. Im Vorfeld der Ausstellung hatten zunächst ganz andere Phantasien die Gemüter erregt, nämlich die Angst, dass angesichts vieler Millionen erwarteter Gäste Versorgungsengpässe auftreten könnten - eine Befürchtung, die angesichts der damals ohnehin nicht unproblematischen Ernährungssituation eine gewisse Berechtigung hatte. Eine eigene Approvisionierungskommission der Gemeinde Wien sollte die Lebensmittelversorgung sicherstellen, zudem senkten einige Eisenbahnunternehmen vorübergehend die Gebühren für Lebensmitteltransporte nach Wien.
Selbst mitgebrachte "Mundvorräthe"#
Ein anderes Problem waren die teils enorm hohen Preise im Lebensmittelhandel und in der Gas-tronomie, da die Weltausstellung generell das Spekulationsfieber geschürt hatte. Auf dem Ausstellungsgelände resultierten diese Preissteigerungen freilich auch aus den je nach Standort recht hohen Platzgebühren. In Relation zu den Preisen war das dafür Gebotene ebenfalls ein häufiger Anlass zur Klage: schlechte Qualität, zu kleine Portionen, mangelhafte Hygiene, schlechter Service oder Schwindeleien bei der Abrechnung.
Einige dieser Mängel wurden während der Ausstellungslaufzeit behoben, dennoch wurde bis zum Schluss immer wieder kritisiert, dass einem zwar ungeniert das Geld aus der Tasche gezogen, aber nicht immer eine adäquate Leistung dafür erbracht werde. Vor allem die finanziell schwächer gestellten Besucherinnen und Besucher behalfen sich daher mit selbst mitgebrachten "Mundvorräthen", zumal ein Ausweichen auf die zahlreichen - und anlässlich der Weltausstellung renovierten - Praterwirtshäuser keine echte Alternative darstellte, weil dort das Preisniveau ebenfalls gestiegen war.
Susanne Breuss, geboren 1963, ist Kulturwissenschafterin, Kuratorin im Wien Museum und ständige Glossistin im "extra" (Rubrik "schwarz/weiß").