Gomateshvara, der riesenhafte Asket von Sravana Belgola#
Eine Bergspitze als Heiligtum der Jain-Religion#
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Die Bilder wurden vom Verfasser in den Jahren 1975, 1978 und 2004 in Sravana Belgola aufgenommen und sind Teil des Archives „Bilderflut Jontes“.
Etwa zur selben Zeit als der historische Gautama Buddha auftrat, wirkte in Nordindien ein weiterer wandernder Prediger, der eine friedvolle Erlösungsreligion lehrte. Er stammte aus königlichem Geschlecht und sein Name war Vardhamana. Da er seinen Anhängern einen Weg aus den Leiden der Wiedergeburten wies, den Strom derselben zu durchfurten und so einen Sieg zu erringen, wurde er als Tirthankara „Stromüberquerer“, Jina „Sieger“ oder Mahavira „großer Held“bezeichnet. Davon leiteten seine Anhänger für sich den Namen Jaina ab und die neu entstandene Religion heißt bis heute Jainismus. Insgesamt zählen die Jains 24 solcher Tirthankaras, von denen die westliche Religionswissenschaft aber nur Vardhamana und seinen Vorgänger Parshvanatha als historisch erwiesen betrachtet.
Heute leben in Indien an die 4,5 Millionen Jains. Da ihnen wegen ihrer strikter Gewaltlosigkeit die meisten Berufe verschlossen sind, sind sie hauptsächlich Bankiers, Juweliere und Händler und zählen zu den reichsten im Lande. Dem entsprechend zählen auch ihre Tempel zu den prächtigsten Indiens und sind Schatzhäuser der Architektur und der künstlerischen Ausstattung.
Zu den absoluten Höhepunkten der Wallfahrtsstätten der Jains gehört das Bergheiligtum von Sravana Belgola, das 150 km westlich der Hauptstadt des indischen Bundesstaates Karnataka Bangalore liegt. Der Ort hat heute etwa 6500 Einwohner. Er liegt zwischen mehreren Tempelbergen, die alle Jain-Heiligtümer tragen. Seinen Namen hat er von dem großen Kultteich (belagola). Schon aus weiter Ferne kann man an der Spitze des höheren Berges, des Indragiri, die 18 m hohe Steinskulptur erkennen, die als die größte aus einem Stein gehauene Standfigur der Welt gilt. Man gelangt zu ihr, indem man 600 Stufen, die aus dem blanken Fels geschlagen sind, erklimmt und dann überwältigt vor dem Riesen steht, der den Namen des Asketen Gomateshvara oder Bahubali trägt.
Um das Jahr 980 n.Chr. ließ der König Rachamall der Ganga-Dynastie den Koloss des Gomoteshvara aus dem gewachsenen Fels heraushauen und auf diese Weise die Spitze des Berges in ein religiöses Kunstwerk verwandeln. Der Stein hat eine absolut ebenmäßige Struktur und Farbe und man wundert sich, dass die Skulptur in keiner Weise von Vögeln beschmatzt wird. Ständig sind Tempeldiener dabei, den Riesen zu umsorgen, Opferspenden der Pilger entgegenzunehmen und zu arrangieren, Übergießungsrituale an den Füßen zu absolvieren. Da die Jains selber keinen Priesterstand haben, werden diese Dienste von hinduistischen Pujaris, meist aus der Brahmanenkaste ausgeführt.
Gomateshvara ist so tief in eine abgrundtiefe und lange Meditation versunken, dass sich Schlingpflanzen an seinen Beinen emporranken konnten. Das will auch sagen, dass er sich in die Einsamkeit der Wildnis begeben hat. Er ist vollständig nackt und deutet damit an, dass er der Digambara-Richtung der Jains angehört, den „Luftbekleideten“, die als die strengsten Asketen aller Religionen gelten. Die weniger strenge Richtung ist die der Shvetambara, der „Weißgekleideten“.
Der Legende nach soll er einer der Söhne des ersten Tirthankaras Rishabha oder Adinath gewesen sein, der nach einem Bruderzwist auf die Herrschaft über das Königreich seines Vaters verzichtete und das Los eines Asketen wählte.
In Südindien erkennt man Heiligtümer auch daran, dass die Umfassungsmauern durch senkrechte weiße und ockerfarbige Streifen gegliedert sind. In Sravana Belgola sollte man auch die unter diesen leicht zu übersehenden Reliefs näher betrachten, denn sie zeigen eine Menge origineller Glück verheißender Bilder auch pointiert witzige Szenen.