Der Himmel über Indonesien#
Hommage an Max Dauthendey zu seinem 100. Todestag#
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Die Fotos wurden vom Verfasser in den Jahren 1976, 1980, 1987 und 1990 auf den Inseln Sumatra, Java, Bali, Lombok, Sumba, Komodo und Sulawesi/Celebes und auf Flügen zwischen den Inseln aufgenommen. Sie sind Teil des Archives „Bilderflut Jontes“
Tausende Inselchen und Inseln in warmen Meeren, hunderte Völker mit Sprachen und Göttern ohne Zahl, hingestreut dort, wo der Äquator die Welt in ein Oben und Unten teilt, das ist der Raum zwischen Himmel und Erde, den man heute Indonesien nennt, wenn man in ihm einen Staat sieht. Kaum kennt dieser Teil der Welt das Auf und Nieder gemäßigter Jahreszeiten. Was wir Sommer und Winter nennen, ist dort Zeit des Regens und Zeit der Stürme. Tropen und Subtropen fließen hier zusammen und formen eine Schüssel, die man die Reisschale Asiens nennt. Und auf unserer Zunge schmecken wir auch die Gewürze, die dort geknospt und geblüht haben.
Und über den Himmel ziehen Wolken in einer Vielfalt, die ihren Gipfel zu der Zeit erreicht, da der Monsun sich in Regengüssen entleert, wie sie Europa kaum kennt. Und in allen Wolken, die sich langsam zusammenballen, kann alle Phantasie das erblicken, was die Mächte des Wetters uns an Formen und Gestalten zuspielen. Und wir denken dabei: „Ach könnten wir dort oben auf diesen weichen Polstern ruhen und auf die Welt hinunterblicken, der wir so oft zu entfliehen wünschen.“ Max Dauthendey hat seine Sehnsüchte nach Heimkehr und Freiheit in seinen Gedichten immer wieder in Worte gekleidet, in denen Wolken zu Bildern werden.
Gesichter verbannter Zeit.
Die Wolken, die weißen, die milden,
Wandern wie Heimweh so weit.
Wolken, mit euch muss ich fliehen.
Die Wolken hält keiner fest.
Solange Wolken noch ziehen,
Mein Heimweh nicht von mir lässt.
Bewegte Welt der Berge
Auf Wolken hingebaut!
Das Frühlicht, das erregte,
Nur schmal zum Tale schaut,
Darin die Nacht noch blaut.
Die Wolkenschar zuerst erwacht.
Der Himmel klingt von Geistern laut,
Und ihre Stimme durch die Täler lacht,
Die jedem Klumpen Berg das Herz auftaut.
Steigt in den breiten Fensterrahmen.
Gestalten, die verhext wie aus Gehirnen kamen,
Und keine Hand kann sie mehr halten,
Sie wachsen über Berge sich zusammen.
Wie ein dämonisch Schauspiel ist ihr Wandern,
Sie hängen wie auf blauer Bühne oben,
Sind Puppen, in den Händen eines andern
An Schnüren unsichtbar zum Spiel geschoben.
Sind Masken, die Gesichter wild verkappen.
Sind Blinde, die im blauen Dunkel tappen.
Gewänder, deren Falten mit Grimassen
Verborgne Leidenschaften ahnen lassen,
Mit weiten Gesten durch die Lüfte streichen.
Sind Komödianten, die im Liebesspiel erglühen
Und sind Tragödien, welche zäh erbleichen.
Als baut das Menschenherz sich Allgewalten
Ins Blau hinaus, sind Fäuste, die sich ballten.
Als sind da Flüche, die nicht mehr zu zähmen,
Heere von Wünschen, die Gestalten gern bekämen.
Wolken durch die Wände gehen;
Heut’ vor Wolken, weltengroßen,
Ist der Himmel nicht zu sehen.
Wolken drücken stumm verdrossen.
Wolken sich zusammenschlossen,
Wolken, die sich nicht bewegen,
Wolken ohne Flug und Regen,
Wolken, die ans Herz grob stoßen.
Wie Königreiche, die droben thronen;
Sie wälzen sich fort im Ungestüme,
Als ob die Riesen dahinter wohnen
War, als fänden sich im Himmel weiße Wälder,
Von der Ewigkeit gebleicht und umblaut.
Und mein Auge hat sie froh erreicht.
Meine Füße wandern durch der Erde Felder,
Aber meine Seele gern der Welt entweicht.
Wie Königreiche, die droben thronen;
Sie wälzen sich fort im Ungestüme,
Als ob die Riesen dahinter wohnen.
Jetzt stehen die Bäume mit leeren Kronen,
Mit Bürsten und Borsten gleich Lanzen und Speeren,
Als müssten sie gegen die Riesen sich wehren
Im Kampf mit den frostigen Heeren.
Jetzt kommt ein Kahn herunter den Fluss,
Es brennt eine Feuer an seinem Bug.
Mein Blick ihn lange geleiten muss,
Als ob er den letzten Funken forttrug.
Auf gelblichem Grunde.
Es ist Dämmerstunde,
Die Nacht kommt geschlichen.
Wieder ist ein Tag ohne dich entwichen
Und ließ mir im Herzen die Wunde.
Als schliefen darinnen viel weiche Mädchen;
Es sehen die Augen mir über die Erde,
Als wären sie Ritter auf prunkem Pferde.
Mir ist, als müßt’ ich zum Kirchhof gehen
Und rufen dem Tod: lass die Toten aufstehen!
So breit wandern Männer heut durch die Stadt,
Als ob jeder ein Weib unterm Herzen hat.
Schwanger sind die Fenster an jedem Haus,
Neugeboren schauen die Mädchen heraus.
Das Pflaster der Straße hat keinen Sinn,
Wie Wolken schwimmen die Menschen dahin,
Und trunken ein jeder wie in Dämmerung steht;
Es wird ein seliges Dunkel, wenn der Abend aufgeht.
Max Dautendey (1867 Würzburg – 1918 Malang/Java) war ein expressionistischer deutscher Dichter, der zu den international bekanntesten seiner Epoche zählte. Von der Gedanken- und Naturlyrik bis zum Drama, von der Novelle bis zum Roman reicht sein Werk, von welchem bis heute nur mehr seine „Acht Gesichter am Biwasee“ gelesen werden. Die Literarhistorikerin Friederike Kremplin sagte über ihn: „In impressionistischer Manier erschafft er wunderbare Naturstimmungen und farbige Landschaften vor dem inneren Auge.“
Dauthendey war in der ganzen Welt unterwegs und 1905 reiste er über Ägypten, Indien, China, Japan bis Amerika und schilderte seine Begegnungen mit Völkern und Kulturen in dieser damals den meisten Menschen fremden Welt in fast epischen Erzählgedichten. Auf seiner zweiten Weltreise geriet er 1914 fernab seiner Heimat in den Strudel des Ersten Weltkriegs. Er hielt sich damals gerade in Niederländisch Indien, dem heutigen Indonesien auf und wurde von den Holländern als deutscher Staatsangehöriger interniert. Es gelang selbst Romain Rolland und George Bernard Shaw nicht, ihn durch Interventionen freizubekommen. Der Briefverkehr mit seiner Frau und seine sehnsuchtsvollen Dichtungen aus dieser Zeit geben ein Bild von der zivilen Seite des Krieges.
Dein letztes Licht mich heute glücklich preist.
Ein heiliger Gruß kam mir im Tag gereist
Von ihr, die ferne, süße Liebe heißt.
Ein dunkelblauer Berg im Westen schwebt.
Breit in die Ewigkeit er sich erhebt
Zum Abendfunken, der im Äther bebt.
Der Berg ist wie die Brust, die sehnend lebt.
Am Fenster lehne ich und danke Dir,
Dein Geist kam segnend heute her zu mir,
Geliebte. Wie das Fenster vor dem Abend hier,
So warten wir, so warten beide wir.
Dauthendey wurde innerhalb Insulindes mehrmals verlegt, war zuerst auf Sumatra, erkrankte schließlich auf Java und starb dort am 29. August 1918 an Malaria. Nach dem Krieg wurde sein Leichnam 1930 in seine Vaterstadt Würzburg zurückgebracht und dort bestattet. Diese Bilder widme ich Dauthendey zu seinem 100. Todestag. Ich erfreue mich immer wieder an seinem Werk.
Die Wolken-Gedichte stammen aus Max Dauthendey, Gesammelte Werke in sechs Bänden. Vierter Band. München 1925: Albert Langen.