Mongolische Nomaden bauen eine Jurte#
By Günther Jontes, 2016Jurten als mobile Wohnstätten sind typisch für die nomadische Lebensweise zentralasiatischer Viehzüchter. Da Schafzucht dabei eine prominente Rolle spielt, ist die Verarbeitung der Wolle zu Filz die wohl urtümlichste Herstellung eines Textils, da es keinerlei Knüpfrahmens oder Webstuhls bedarf. Damit steht diese Kulturtechnik wohl in ursächlichem Zusammenhang mit der Entstehung des Nomadentums Zentralasiens. Das Aufeinanderpressen von Lagen der Wolle zu Filz (mong. äsgij) erfolgt noch heute, ist eine typische Winterarbeit und ergibt einen dauerhaften Stoff, der für die Eindeckung dieser mobilen Behausung unbedingt notwendig ist.
Das Wort Jurte entstammt einer Turksprache und hat seinen Weg uns Russische genommen, von welchem der Begriff dann in die westeuropäischen Sprachen gelangte. Im Türkischen bedeutet yurt „Heim, Wohnung, Besitz“. Jurten, die sich in ihrer Konstruktion von der mongolischen unterscheiden, gehören auch zum Nomadentum der Kirgisen und Kasachen, die ebenfalls der Turksprachengruppe zuzuordnen sind. Der Mongole nennt sie Ger.
Die baulichen Bestandteile der Jurte sind handlich und lassen sich leicht transportieren. Noch gibt es Familien, die ihre Jurtenteile auf dem Kamelrücken oder auf einem Karren mit Zugvieh mit sich führen. Langsam setzt sich aber auch der motorgetriebene Lastwagen durch. Die Anpassung an die moderne Zeit ist heute allenthalben festzustellen. Am Prinzip des Wanderns zu immer neuen Weideplätzen hat sich aber kaum etwas geändert. Eine mongolische Nomadenfamilie zieht mit ihren Herden auf traditionellen Routen durch das „kühle Grasland“, lebt vom Verkauf von Schaf- und der hochwertigen Ziegenwolle. Pferde- und Kamelzucht tun ein Übriges. Statistisch kommt in der Äußeren Mongolei auf jeden Einwohner ein Pferd!
Eine Jurte ist eine nicht mit dem Erdboden verbunden mobile Wohnstätte. Sie ist kein Zelt, es gibt keine Heringe und im Boden verankernde Seile. Früher war das Innere auf den bloßen Grasboden gesetzt, heute ist es meist ein Bretterboden (mong. schal), der mit Matten oder Teppichen (mong. schirteg) belegt ist. Die Größe einer Jurte wird durch die Anzahl der Scherengitter (mong. chana) bestimmt. Es gibt auch sehr große Jurten, wie es die nach der kommunistischen Repression entstandenen Jurtenklöster beweisen. Auch Jurtenhotels haben eigene große Anlagen, in denen man sich zum Essen und zu gemeinsamen Aktivitäten trifft. Die prunkvollste Jurte gehörte dem Bogd Kann, den absoluten geistlichen und weltlichen Herrscher der Mongolei bis zum Ausbruch der Revolution unter sowjetkommunistischen Vorzeichen. Der große Einiger der mongolischen Stämme Dschingis Khan hatte eine luxuriöse Jurte, die auf einem riesigen Wagen von Zugvieh gezogen stand und das Reisen zur größten Bequemlichkeit machte, wenngleich er wie alle Mongolen stets im Sattel saß.
Im Inneren steht in der Mitte ein heute metallenes Öfchen, das mit getrocknetem Viehdung, in Waldnähe auch mit Holz beheizt wird. Früher war es ein offenes Feuer auf einem Eisenrost. Darüber hängt auch der Kochkessel (mong. togoo). Von der Feuerstelle ragt ein Ofenrohr durch eine verschließbare Luke im Dachkranz empor. Von diesem hängt ein kräftiges Seil herab, an das man sich hängt, wenn ein Sturm über die Jurte fegt. Verspannte Schnüre sind auch dazu da, um Fleischstreifen zu trocknen, die als Dauerverpflegung gute Suppen ergeben. Das hat auch zu dem Mythos geführt, dass die Mongolen des Dschingis Khan einst das Fleisch unter ihren Sätteln weichgeritten hätten.
Nun kann die Jurte von der Familie bezogen werden. Sie dient nun zum Wohnen, Kochen, Arbeiten und Schlafen. Eine genaue Einteilung des Raumes wird nun eingehalten. Links ist die Männerseite, rechts die für Frauen und Kinder. Der Ehrenplatz (mong. choimor) für die Alten und Gäste liegt im hinteren Teil genau gegenüber dem Eingang. Dort steht auch eine aus leichtem Holz gebaute, zuweilen auch bunt bemalte Truhe (mong. awdar), auf welcher man heute Familienphotos, Abbilder buddhistischer Gottheiten, Nippes usw. aufstellt. In weiteren werden Küchengeräte, Geschirr, aber auch Nahrungsmittel aufbewahrt. Auf beiden Seiten werden zur Nacht Wolldecken zum Schlafen aufgebreitet. Gleich neben dem Eingang links auf der Männerseite hängt ein Fellsack, in welchem Stutenmilch gesammelt wird und durch einen bestimmten Gärungsprozess ein leicht alkoholisches Getränk entsteht, der „Stutenwein“ (mong. airag).
Bei den mongolischen Nomaden herrscht eine imponierende und ehrliche Gastfreundschaft. Will man als Ankommender eine Jurte betreten, so ruft man zuerst, um Aufmerksamkeit zu erregen, „Halt den Hund fest“ (mong. nochoi chor), denn mongolische Hirtenhunde sind keine verzogenen Spielgenossen, sondern auf Herde und Fremden wachsam zu sein abgerichtet. Nun betritt man die Jurte und achtet darauf, dies mit dem rechten Fuß zu tun, ohne damit die Schwelle zu berühren. Die Hausfrau kommt nun mit einem Tablett mit Kostproben eigener Milchwirtschaft: Käse (mong. bjaslag), gestockter Rahm (mong. öröm), Topfen (mong. aartz) und einer Schale Airag. Bevor man trinkt, verspritzt man einige Tropfen davon als Opfer an die Himmelsgottheiten. Länger stehen bleiben sollte man nicht und auch nicht zwischen den Stützpfeilern durchgehen. Man wird auf den Ehrenplatz gewiesen und setzt sich gleich nieder, beginnt ein Gespräch nach dem woher und wohin. Neugierig lauschen die Kinder und die Airag-Schale beginnt zu wandern. Auch ein Schnaps (mong. archi) hebt die Stimmung.
Meist steht in geringer Entfernung von der Wohnjurte eine solche, in welcher die Milchverarbeitung geschieht. Die moderne Technologie greift auch im nomadischen Leben ein und man kann es den Leuten nicht verdenken, dass sie ihr hartes Leben einfacher machen wollen. Kunststoff- oder Metallgefäße ersetzen die alten Holzgebinde. Schon hört man in einiger Entfernung von der Heimstatt wohl auch das leise Rattern eines kleinen Generators. Und wer solches besitzt, wird bald auch einen Satellitenspiegel vor der Jurte stehen haben. Auch das Fernsehen hat damit die endlose Steppe des mongolischen Hochlandes erreicht. Aber noch wandern die Nomaden so frei, wie es Menschen unserer Zeit selten gegönnt ist, auf Jahrhunderte alten Wegen ihrem Lebensunterhalt nach.
Zum Buch "Die Mongolei in ihrer Wahrnehmung in Östereich#