Kumari – Nepals lebende Göttinnen#
VonGünther Jontes, 2016
Der Himalayastaat Nepal Nepal, Indien , seit 2008 Republik, zuvor Königreich langer Traditionen, ist etwa doppelt so groß wie Österreich, hat jedoch mit etwa 31 Millionen Einwohnern eine Besiedlungsdichte, die mehr als das Doppelte der Alpenrepublik ausmacht. Zahlreiche Ethnien – etwa 75 an der Zahl! - finden sich sowohl in den Bergregionen als auch in den breiten Flussebenen oder Beckenlandschaften der südlich gegen Indien hin gelegenen Regionen. Es sind dies sprachlich geordnet Gruppen von Angehörigen der tibeto-burmanischen Stammesvölker, unter denen das kulturell prägende Volk der Newar im Becken von Kathmandu besonders hervorragt. Bis zur Machtübernahme durch die nordindische Gorkha-Dynastie im Jahre 1768 gab es hier im Kathmandutal die drei kleinen Königreiche Kathmandu Kathmandu, Nepal , Lalitpur/Patan Patan, Nepal und Bhaktapur/Bhadgaon Nepal, Bhaktapur . Die überragenden architektonischen und künstlerischen Leistungen der Newar manifestieren sich noch heute: Alle drei Städte zählen zum Weltkulturerbe der Menschheit.
In Nepal herrschen die beiden Weltreligionen Hinduismus und Buddhismus vor, letzterer vor allem in den Sonderwegen Mahayana und Vajrayana, wobei letzterer vor allem durch die starken tibetischen Gruppen mit ihrer wachsenden Zahl an Klöstern und anderen Kultstätten getragen wird. Der buddhistische Anteil ist älter als der hinduistische, der im Laufe des Mittelalters mit seinen Vorstellungen des indischen Kastenwesens, seinen Kulten und seinem Götterhimmel sich entwickelte, heute etwa 80 % der Bevölkerung ausmacht, jedoch in spirituellen Vorstellungen zahlreiche Elemente aufnahm, die sich auf vorbuddhistische und vorhinduistische Kulte und Gottheiten zurückführen lassen.
Zu diesen Besonderheiten zählt auch die Verehrung von kindlichen „lebenden Göttinnen“ in einigen Städten des Kathmandutales. Man nennt ein solches Mädchen Kumari. Das ist die weibliche Form des altindischen Sanskritwortes Kumara, das als „Prinz, junger Mann“ übersetzt werden kann. In Südindien verehrt man unter diesem Namen auch den als Kriegsgott Karttikeya verehrten Sohn des Götterpaares Shiva und Parvati. In Nepal ist eine Kumari eine durch einige Zeit lang vergöttlichte Junfrau, ein Mädchen, das noch nicht die Pubertät erreicht hat und diese Würde solange bewahrt, bis der erste Tropfen Blut fließt.
Als vergöttlichte Person wird sie in der Zeit ihrer Wirksamkeit für die irdische Personifikation der Stadtgöttin Taleju angesehen, die wiederum den vorhinduistischen Substrat angehört, jedoch im Hinduismus als eine der Gattin des Gottes Shiva, die amazonenhafte Durga, interpretiert wird.
Der Kult um diese für göttlich gehaltenen weiblichen Wesen ist hinduistisch geprägt, jedoch werden sie aus einer angesehenen buddhistischen Goldschmiedfamilie ausgewählt, wobei 32 verschiedene äußere und mentale Zeichen (Sanskrit lakshana) sowie das Geburtshoroskop beachtet werden müssen. Meist geschieht dies schon im Alter von 3 bis 4 Jahren.
Der Kult um diese für göttlich gehaltenen weiblichen Wesen ist hinduistisch geprägt, jedoch werden sie aus einer angesehenen buddhistischen Goldschmiedfamilie ausgewählt, wobei 32 verschiedene äußere und mentale Zeichen (Sanskrit lakshana) sowie das Geburtshoroskop beachtet werden müssen. Meist geschieht dies schon im Alter von 3 bis 4 Jahren.
Eine Kumari trägt ein ornathaftes rotes Gewand und prunkvollen Schmuck, ist auf bestimmte Weise auf der Stirn und um die Augen geschminkt und sitzt auf einem Thron. Ihre Füße dürfen den Boden nicht berühren, deshalb ruhen diese auf einer kunstvollen Messingplatte. Auch im Haus wird sie nur getragen. Sie darf sprachlich nur mit ihrer Familie kommunizieren
Kumaris gibt es seit dem 16. Jahrhundert in Kathmandu, Patan, Bhaktapur und Bungamati, wobei die von Kathmandu auch eine wichtige politische Funktion innehatte. Sie segnete und bestätigte damit den neuen König, der eben den Thron bestiegen hatte. Selbst nach dem Ende des Königtums holte sich der neue kommunistische Premierminister ihren „Segen“. Sie bewohnt in der Altstadt von Kathmandu ein prächtiges Haus in der Nähe des alten Königspalastes, zeigt sich selten Besuchern und wenn, dann nur für wenige Sekunden in einem Fenster ihres Domizils. Nur bei seltenen Anlässen wie Kultprozessionen oder Tempelfesten erscheint sie in einer Sänfte getragen unter gewaltigen Zulauf des Volkes oder wird beim Indra Jatra Fest auf einem Kultwagen durch die Stadt gefahren.
Das Haus der Kumari von Kathmandu ist ein landesüblicher Ziegelbau mit prächtigen geschnitzten Portalen und Fensterrahmen. Das Dach bekrönen drei Gefäße des Unsterblichkeitstrankes (Sanskrit kalasha). Der Anbau zur Rechten beherbergt den zerlegten Festwagen, auf dem die Kumari an Prozessionen teilnimmt. Der Innenhof ist in gleicher Weise kunstreich gestaltet.
Der Kumari von Patan hingegen kann man frei begegnen, indem man sie in ihrem Haus besucht. Ihre frühere Residenz war ein eher bescheidenes mehrstöckiges Wohnhaus nahe der Altstadt von Patan. Die neue Kumari aber ist seit einigen Jahren in einem alten buddhistischen Tempel schräg gegenüber untergebracht. Man wird freundlich empfangen, entledigt sich wie üblich beim Betreten eines Hauses seines Schuhwerks, hält einige Geldscheine bereit und wird nach Erklimmen einer steilen Holztreppe in den „Thron“raum geführt, wo sie die Besucher ganz unbeweglich sitzend mit steinerner Miene „segnet“. Angeblich lachen Kumaris niemals. Der ernste Blick ist aber sicher der Würde wegen aufgesetzt und unbeobachtet sieht man zuweilen wohl auch ein leises, neugieriges oder sogar verschmitztes Lächeln auf dem Gesicht des kleinen Mädchens, dessen Lebensweg so streng vorgezeichnet ist. Heute erhalten die Kumaris zu Hause Schulunterricht, aber früher hielt man einen solchen für nicht notwendig, da eine Göttin ohnehin ex offo alles wüsste und mit voller Weisheit durchtränkt sei.
Ist die Periode des Göttinseins mit der ersten Periode vorbei, so bleibt wenig von dem vorherigen Lebensstil übrig. Der Staat zahlt den Kumaris eine winzige Pension. Die Familie, die ständig um sie ist, muss in dieser Zeit dafür sorgen, dass sich die Taschen durch Spenden der Gläubigen und Besucher füllen. Früher wurden die ehemaligen einmal im Jahr vom König zum Essen eingeladen. Und ein alter Aberglaube hält sie auch vom Eheglück fern, denn man war der Meinung, dass ein Mann, der eine Kumari heirate, binnen Jahresfrist sterben müsse.
In Patan gab es auch eine Kumari, die von ihrem zweiten Lebensjahr an von 1953 bis 1985 fungierte. Ihr Name ist Dharma Dhana Bajracharya und sie ist auch später mental aus dieser Rolle nie ausgestiegen, wohnte früher im selben Haus wie ihre Nachfolgerinnen und empfing bis vor wenigen Jahren Pilger und Besucher wie sie es gewohnt war.