Sadhus – Heilige Männer Indiens und Nepals#
Von
Günther Jontes, 2016
Die Fotos wurden vom Verfasser im Zeitraum von 1974 bis 2015 in Indien und Nepal aufgenommen und sind im Archiv „Bilderflut Jontes“ verankert.
Im Straßenbild Indiens und Nepals, dieser beiden vom Hinduismus dominierten Länder Südasiens, fallen unter den Menschen der Stadt- und Dorfbevölkerung Gestalten unterschiedlichen Aussehens und Verhaltens auf, die von den Indern respektiert bis gefürchtet werden, stehen sie doch außerhalb der gesellschaftlichen Normen. Es sind die sogenannten Sadhus, die oft in orangerote Gewänder gehüllt, mit langen gedrehten, verfilzten Locken des Haupthaares (jata) auftretend, mit auffälligen Stirnbemalungen versehen, mit Asche am ganzen Körper beschmiert bettelnd oder meditierend sich in Tempeln und dessen Nähe aufhaltend zu beobachten sind. Shiva-Sadhus tragen auch Gebetsketten aus Rudraksha-Kernen.
Sadhu bedeutet im Altindischen „gut“ und „guter oder heiliger Mann“. Das sind Menschen, die im Idealfall ein asketisches Leben auf steter Wanderschaft führen und deshalb auch Sannyasin „Entsagende“ genannt werden. Die Laien sprechen sie als Baba „Onkel“ an. Man nennt sie auch Svami „Meister, Herr“. Es gibt auch weibliche Vertreter. Dieseheißen Sadhvi. Die Hindus betrachten diese Lebensart als einen der vielen Wege zu Gott. Um ihre Meditation wirksamer zu gestalten, rauchen viele von ihnen mit Billigung der Obrigkeit auch Haschisch (ganja)
Der Hinduismus kennt vier Stufen des idealen menschlichen Lebens, die die einzelnen Abschnitte von Kindheit, Berufsleben, Familiengründung und Weitergabe der Geschaffenen an die nächste Generation bis zur letzten Phase umfasst, in welcher man sich von der Gesellschaft trennt, alles hinter sich lässt und als Sadhu sich auf die Suche nach Erkenntnis und Erlösung vom ewigen Kreislauf der Wiedergeburten macht, moksha anstrebt.
Heute gibt es in Indien und Nepal etwa 4 bis 5 Millionen solcher Menschen. Ihr Dasein kann von strengster Weltabkehr und härtester Askese bis zu forderndem Betteln oder freundlicher Zuwendung von Segenssprüchen reichen. Viel von ihnen beherrschen auch Techniken des Yoga und verblüffen als Yogis mit unglaublich körperlichen Leistungen. Sie bilden auch feste bis lose Gemeinschaften, monastische Formen gibt es relativ selten. Dann lebt man in Ashrams oder wie in Varanasi / Benares in Tempeln. Das größte Fest für alle Sadhus ist das Kumbh Mela in Allahabad, dort wo die beiden heiligen Ströme Ganges und Yamuna zusammenfließen. Da sich einer der bedeutendsten Pilgerstätten des Shivaismus, der Tempel von Pashupatinath in Nepal in der Nähe von Kathmandu befindet, wird auch dieser von sehr vielen Sadhus aufgesucht.
Der Hinduismus ist nicht nur eine Religion unzähliger Götter, ein Polytheismus. Die Religionswissenschaft nennt die praktizierten Verehrungsformen auch Henotheismus. Das heißt, dass man eine der Hochgottheiten für die persönlich höchste hält und dementsprechend verehrt. In der Hauptsache sind dies die Verehrer Vishnus, des Erhalters, die Vaishnava, bzw. Shivas, des Zerstörers und Neuschöpfers, die Shaiva. Man erkennt auch Laien durch ihr aufgemaltes Stirnsymbol als Bekenner der einen oder der anderen Richtung. Auch die Sadhus lassen sich jeweils einer dieser beiden Gruppen zuordnen.
Ein Sadhu wird man, indem man sich für diesen Lebensweg entscheidet, sich einem spirituellen Lehrer, einem Guru anschließt und von diesem die Formen von Meditation und Verehrungspraktiken erlernt und sich dann selber auf den Weg macht, vielleicht selber einmal zum Guru wird.
Die Hindugesellschaft kennt auch eine besonders radikale Gruppe unter den Weltflüchtigem, die Agoris. Diese Bezeichnung leitet sich von einem der vielen Ehrentitel Shivas, Agora „der Furchtlose“ ab. Die Agoris lehnen alle sozialen und religiösen Konventionen ab. Ein menschlicher Schädel ist ihre Ess-, Trink- und Bettelschale. Es gibt etwa eintausend von ihnen. Die meisten davon leben in der heiligen Stadt Varanasi / Benares. Sie pflegen geheime Riten und tantrische Praktiken, mit denen sie die volle Überwindung der Welt zum Ausdruck bringen. Man sagt ihnen auch nach, dass sie Fleisch von menschlichen Leichen essen, sich in Fetzen von Totengewändern kleiden. Ihre Heimstatt sind die Leichenverbrennungsplätze ausserhalb der Siedlungen. Sie trinken auch Alkohol und haben Geschlechtsverkehr mit Yoginis, was ebenfalls jenseits aller religiös-ethischen Vorstellungen liegt. Ihre Leichen werden auch nicht verbrannt, sondern begraben oder den Flüssen überantwortet.
Eine der ältesten Darstellungen eines Sadhu in einer charakteristischen Meditationshaltung findet sich auf dem berühmten riesigen Steinrelief der Herabkunft des Ganges (Gangavatan) aus dem 7. Jahrhundert n. Chr.im südindischen Mahabalipuram. König Bhagiratha meditierte in strengster Askese so lange, bis ihm Gott Brahma eine Bitte gewährte. Die bestand darin, dass Bhagriratha um die Entsendung des heiligen Fluss Ganges aus dem Himmel auf die Erde bat. Man sieht den König mit abgezehrtem Leib auf einem Bein stehend und die Arme zum Himmel erhoben. Welchen Humor die Künstler, die dieses Meisterwerk schufen, hatten, beweist, dass neben Bhagiratha ein Katze diese Meditationshaltung nachahmt und vor ihr auch noch eine Maus dasselbe tut.
Shiva wird in seiner Form als Shiva Shankara auch als Asket inmitten wilder Natur dargestellt. Er sitzt in Meditationshaltung auf einem Leopardenfell, stützt sich mit dem rechten Arm auf eine Meditationskrücke, um seinen Hals schlingt sich eine Kobra. Aus seinem von der Mondsichel gezierten Haarknoten entspringt der heilige Fluss Ganges. Seine blaue Hautfarbe verdankt er einer Handlung, als nach der mythischen Butterung des Milchozeans ein Gift übrigblieb, das die Welt und alles Geschaffene getötet hätte, wenn der Gott es nicht unbeschadet getrunken hätte. Deshalb auch sein Name Vishpan „Gifttrinker“. Begleitet wird Shiva von seinem Reittier, dem heiligen Stier Nandi.
Diese Art von Andachtsbildern aller Formate zeigt das Pantheon der Inder in einem Stil, der im 19. Jahrhundert durch europäische christliche Missionare nach Indien verpflanzt wurde, welche lithographisch-bunte Bilder meist aus den Ateliers Bayerns mitbrachten. Seit mehr als hundert Jahren hat dieser Stil Fuß gefasst, hat bis heute seine Kraft erhalten und Bilder dieser Art werden in Nord- und Südindien in riesigen Mengen als populäre Graphik produziert. In den letzten Jahren haben sich diese chitras auch dem Stil der virtuos gemalten Filmplakate angenähert. Im Besitz des Verfassers befindet sich eine stets weiter ergänzte Sammlung von tausenden Blättern.