Ränkereiches Städte-Duell im Ländle#
Vorarlberg ging in seiner Geschichte manchen Sonderweg#
Von der Wiener Zeitung (Freitag, 11. Juni 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Alfred Schiemer
Auf den Blickwinkel kommt es an! Hinter dem Arlberg schauen manche Dinge anders aus als vor dem alten Alpenpass (Fußnote, die sich fast erübrigt: "Hinter" und "vor" gelten aus Sicht der Bodensee- und Rhein–Region; Vorarlberg heißt ja nicht zufällig so).
Auf dieser wie auf jener Seite des trennenden Berges waren den Habsburgern, ab 1740 den Habsburg-Lothringern, viele Generationen untertan. Daseinsfreude schuf das in Maßen. Dem Herrschergeschlecht fehlte es oft an Herz fürs Volk. Für die Armeen floss (Steuer-)Geld stets, für die Armen selten.
Gemeinsame Geschichte muss nicht gemeinsame Erinnerung bedeuten. In Vorarlberg nimmt man das Tun der Dynastie offensichtlich strenger unter die Lupe als im restlichen Österreich. Östlich des Arlbergs gehen auch harte Kritiker an die k.(u.)k. Zeit ruhig heran. Im Ländle schwillt Historikern zuweilen die Zornesader – angesichts des habsburgischen Zentralismus.
Kleine laufen immer Gefahr, unter die Räder der Großen zu kommen. Die Menschen im äußersten Westen der Donaumonarchie, die eine gewisse Eigenständigkeit bewahren wollten, rangen durch Jahrhunderte mit übermächtigen kaiserlichen Instanzen.
Verständlich, dass das im kollektiven Gedächtnis nachwirkt. Wiener staunen trotzdem, wenn in Vorarlberger Geschichtswerken z.B. das gewohnte Bild von Maria Theresia als wohlwollender Landesmutter wankt.
Die Niederschlagung der 1848er-Revolution traf das Ländle schwer: Es verlor seine im politischen Frühling ausgearbeitete Verfassung und wurde mit Tirol zu einem Kronland vereinigt. 1861, nach dem Fiasko des Neoabsolutismus, gab es endlich Lockerungen. Vorarlberg bekam einen (von begüterten Männern gewählten) Landtag; Kaiser Franz Joseph ernannte Sebastian Ritter v. Froschauer (1801–1884) zum „Landeshauptmann“ bzw. de facto zum Landtagspräsidenten. Die bis zum Rhein reichende Tiroler Verwaltungseinheit blieb jedoch. Solange Österreich-Ungarn existierte, sollte jeder Vorstoß gegen die Zwitterkonstruktion, die Innsbruck die Macht sicherte, scheitern.
Erst in den Tagen des Zusammenbruchs der Monarchie gelang am 3. November 1918 per Landtagsbeschluss die Loslösung von Tirol. Wenig später, am 12. November, wurde in Wien die Republik ausgerufen. Wohl niemand bedachte damals, dass das Land Vorarlberg keine Hauptstadt besaß, da Bregenz nach dem Gesetz lediglich Versammlungsort des Landtages war. Man hatte anfangs andere Nöte. Nach der Konsolidierung der Lage wurde die Frage schließlich 1923 geregelt: Demnach erhielt der Sitz des Landesparlaments auch Landeshauptstadt-Ehren. Spät, aber doch sorgte diese Entscheidung für Klarheit und beendete eine alte Fehde zwischen Bregenz und Feldkirch.
Denn die Konkurrenten hatten einander früher heftige Scharmützel geliefert und mit alemannischem Fleiß Ränke geschmiedet. Eine Kostprobe. 1901 erblasste Bregenz ob eines Streiches des Widersachers.
Da der Landtag lediglich Untermieter im Postamt der Bodenseestadt war, sagten ihm die Feldkircher für den Umzug in ihre Stadt einen „angenehmen Platz nebst einer Bausumme von 250.000 Kronen“ (nun ca. 1,36 Mio. €) zu. Bregenz konnte das nie und nimmer bieten! Alles schien entschieden zu sein. Bis sich staatsrechtlich klärte: 1861 hatte der Kaiser per Landes-Ordnung den Landtagssitz fixiert, Änderungen bedurften der unerreichbaren Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten . . .
Gegen Druck von außen hielt man im Ländle jedoch zusammen; Reibereien blieben quasi in der Familie. Was festigte diese Haltung? In erster Linie wachsendes Selbstbewusstsein und zudem keimendes Landesbewusstsein. Beides förderten Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Dazu eine bescheidene Auswahl.
Der Patriot DR. ANTON SCHNEIDER (1777–1820) leitete 1809 den Aufstand gegen Franzosen und Bayern; in Württemberg inhaftiert, kam er später auf den berüchtigten Brünner Spielberg – auch Metternich verfolgte den Freiheitskämpfer.
KARL ULMER (1773–1846) betätigte sich bereits 1806 als Pionier der Industrie in Dornbirn; 1842/43 stand er an der Seite aufbegehrender armer Mitbürger.
KARL GANAHL (1807–1889), Gründer der Baumwollspinnerei Frastanz und Demokrat, kämpfte 1848 gemeinsam mit Arbeitern für die Volkswahl des Landtags.
Historiker JOSEF v. BERGMANN (1796–1872) lieferte u.a. „Beiträge zu einer kritischen Geschichte Vorarlbergs in älterer Zeit“.
Am Dienstag, den 11. Juni 1850 würdigte das "Abendblatt der Wiener Zeitung" seine Vorträge in der Akademie der Wissenschaften in Wien. Thema: Das Ländle-Gebiet in der Antike, nicht zuletzt eine Römerstraße nach Brigantium (= Bregenz).