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Die beiden "Sonnenkönige"#

Bruno Kreisky wurde gerne mit dem französischen König Ludwig XIV. verglichen – doch genau besehen, haben die zwei historischen Gestalten sehr wenige Gemeinsamkeiten.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 15. Jänner 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

von

Friedrich Weissensteiner


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Ludwig XIV., König von Frankreich, porträtiert von Hyacinthe Rigaud
© Wiener Zeitung / Foto: The Gallery Collection /Corbis

Wer die Idee hatte, dem zweifellos international anerkanntesten und medienwirksamsten Bundeskanzler der Zweiten Republik das Etikett "Sonnenkönig", bildlich gesprochen, auf den Revers seiner Maßanzüge zu heften, ist völlig unerheblich. Die österreichische Zeitgeschichtsforschung hat Besseres zu tun, als sich mit dieser historischen Nebensächlichkeit zu beschäftigen, wiewohl Etikettierungen solcher Art langlebig sein können.

Wer denkt in diesem Zusammenhang etwa nicht an die Verleihung des Attributes "der Große" an die verschiedensten historischen Persönlichkeiten durch eine größtenteils nationalistisch-patriotische Geschichtsschreibung, die in einer ideologisch orientierten Historiographie auch heute noch durchaus üblich ist?

Der Titel "Sonnenkönig" war in der Geschichtsschreibung bis dahin dem französischen König Ludwig XIV. vorbehalten, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts den damals reichsten und mächtigsten Staat Europas regierte. Es ist auszuschließen, dass die Historiker in Hinkunft von einem französischen und einem österreichischen "Sonnenkönig" sprechen werden. Bruno Kreisky war nicht königlichen Geblütes und wurde nicht gekrönt, zudem ist Österreich seit 1920 eine demokratische Republik.

Kreiskys Erhebung in den Status eines "Sonnenkönigs" war offenkundig ein Journalistengag, der – so hinterfotzig, hämisch oder vielleicht sogar bewundernd er gemeint sein mochte – von den meisten Medien, Karikaturisten und Kabarettisten zumeist unreflektiert, jedenfalls aber bereitwillig und dankbar übernommen wurde. Diese beiden Persönlichkeiten trennen aber nicht nur Jahrhunderte, sondern auch staatspolitische und ideologische Welten.

Der absolute Monarch#

Ludwig XIV. ist das paradigmatische Musterbeispiel eines absolut regierenden Monarchen, eines Herrschers von Gottes Gnaden, der in seiner Person die Allmacht des Staates verkörperte. Wenn auch der Satz "L’État c’est moi" (Der Staat bin ich), der ihm zugesprochen wird, nicht wörtlich gefallen ist, so charakterisiert er doch mit markanter Treffsicherheit die Regierungspraxis des Herrschers. Le roi soleil, der Sonnenkönig, traf alle wichtigen Entscheidungen lui même . Seine Omnipotenz war allumfassend und allgegenwärtig. Die Staatsgeschäfte erledigte Ludwig XIV. mit pflichtbewusster Ernsthaftigkeit.

Strahlender Ausdruck der Machtvollkommenheit des französischen Königs war Schloss Versailles, das der Autokrat in jahrzehntelanger Arbeit und mit beträchtlichem finanziellen Aufwand errichten ließ. Der Hofstaat, mit dem er sich in seiner prachtvollen, etwa 2000 Räume umfassenden Residenz umgab, bestand aus rund 20.000 Personen, darunter eine Leibwache von mehreren tausend Mann, 338 Köche, 48 Ärzte 40 Kammerherren und 8 Rasierer, um mit ein paar Zahlen die gewaltigen Dimensionen, die Versailles hatte, anzudeuten. Für jede Dienstleistung und Handreichung war (vor)gesorgt. So gab es beispielsweise einen Vorsteher der Taschentuchabteilung und sogar eine eigene Hofcharge für die Prüfung des Nachtstuhls.

Das Hofleben lief nach einer exakt festgelegten Etikette ab. Alles war bis in das kleinste Detail geregelt, jeder Schritt, jede Geste, jede Bewegung musste wohlgesetzt sein. Wer bei welchem Anlass den Vortritt hatte, wer bei Festlichkeiten neben wem stehen und sitzen durfte, wie viele Knickse und Bücklinge man machen musste, wenn man sich einem in der Hierarchie höhergestellten Höfling oder gar dem König näherte, all dies war im Zeremoniell festgeschrieben. Auch der Tagesablauf des Königs lief nach einem strikten Ritual mit monotoner Regelmäßigkeit ab. Punkt acht Uhr morgens wurde Seine Majestät geweckt. Der erste Kammerherr half ihm, aus dem breiten Baldachinbett zu steigen, in dem er die Nacht verbracht hatte.

Strenges Zeremoniell#

Der Herrscher verrichtete zunächst das Morgengebet. Dann folgte das "Lever", die Zeremonie des Ankleidens, bei der jede Handreichung der einzelnen Hofchargen gemäß einem exakten Programm ablief. Nach der Morgenandacht gab es ein üppiges Frühstück. Anschließend führte Ludwig XIV. Fachgespräche mit den Ministern. Er hob nach dem Grundsatz: "Un roi, une lois, une fois" (Ein König, ein Recht, ein Glaube) Gerichtsurteile auf und vertrieb Andersgläubige aus seinem Herrschaftsbereich.

Seine Majestät begab sich sodann zum Mittagessen, zum festlichen "Diner", das er an einer pompösen, üppigen Hoftafel im Beisein der Familienangehörigen und einer schaulustigen Menge einnahm, der zu diesem Spektakel Zutritt gewährt wurde. Am Nachmittag widmete sich der Sonnenkönig dem Vergnügen. An schönen Tagen unternahm er einen Spaziergang im riesigen Schlosspark mit den schnurgeraden Wegen und zurechtgestutzten Alleen oder er brach mit zahlreichem Gefolge zur Jagd auf. Ludwig XIV. war ein ausgezeichneter Reiter. Nach dem Abendessen, dem "Souper", gab es in Versailles Opern- und Theateraufführungen oder pompöse Hofbälle, bei denen der König seine Tanzkünste zur Schau stellte. Auch an Karten- und Glücksspielen fand er Gefallen. Spätabends folgte schließlich das "Coucher", die zeitaufwändige Zeremonie des Ausziehens und Zubettgehens.

Liebhaber der Frauen#

Ludwig XIV. war ein vollendeter Kavalier und ein sexbesessener Frauenliebhaber. Mit dreizehn Jahren wurde er für volljährig erklärt, mit sechzehn in der Kathedrale zu Reims gesalbt und gekrönt. Mit zweiundzwanzig vermählte er sich aus Gründen der Staatsräson mit Maria Theresia, einer Tochter König Philipps IV. von Spanien, die im Verlauf einer 23 Jahre währenden Ehe sechs Kinder zur Welt brachte. Um die monogamen Gebote der katholischen Kirche kümmerte sich der königliche Herzensbrecher allerdings herzlich wenig. Die kleine, reizlose Spanierin musste ganz offiziell das Ehebett mit Mätressen teilen. Eine von ihnen, die öffentlichkeitsscheue Louise de La Valliére, gebar ihm vier Kinder, ihre Nachfolgerin, die extravagante, aufregend schöne Marquise de Montespan, sechs, genau so viele wie die Königin. Aber auch sie musste sich einiger Rivalinnen erwehren, und wurde von der vornehmen Madame de Maintenon abgelöst. Die Maintenon war die ideale Partnerin des Königs in seinen reifen Jahren, die "ungekrönte Königin von Frankreich".

Der liebesbedürftige "Sonnenkönig" betrieb eine expansive, militante Machtpolitik, die an widerrechtlicher Rücksichtslosigkeit und Perfidie nichts zu wünschen übrig ließ. Erklärtes Ziel seiner außenpolitischen Begehrlichkeiten war die Erweiterung des französischen Staatsgebietes nach Osten und Norden hin, sowie die Festigung der Vormachtstellung Frankreichs in Europa.

Die vielen Kriege, die Ludwig XIV. zu diesem Zweck führte, kosteten unzählige Menschenleben und verschlangen Unsummen Geldes. Die dadurch verursachten Finanzdefizite füllte der absolutistische Staat durch rigorose Steuern wieder auf, die den Bürgern und Bauern abgepresst wurden. Die privilegierten Stände, Klerus und Adel, zahlten keine Abgaben. Der Unmut der Bevölkerung wuchs und nahm immer bedrohlichere Formen an. Als der "Sonnenkönig" am Sonntagmorgen des 1. September 1715 in seinem Märchenschloss den letzten Atemzug tat, waren der Glanz von Versailles und sein persönlicher Glamour längst verblasst.

Bruno Kreisky, der österreichische "Sonnenkönig" von Journalisten Gnaden, war dreizehn Jahre lang Regierungschef eines republikanischen Kleinstaates. Er entstammte einer großbürgerlichen jüdischen Familie und schloss sich bereits in jungen Jahren der Sozialdemokratie an. Seine politische Karriere begann verhältnismäßig spät, führte dann aber rasch nach oben. Bruno Kreisky war von 1959 bis 1966 Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten, übernahm 1967 den Parteivorsitz der SPÖ und errang bei der Nationalratswahl von 1970 mit seiner Partei die relative Mehrheit, die er in den drei folgenden Wahlen zur absoluten Majorität ausbaute.

Kreisky-Interview
Bruno Kreisky im Gespräch mit Journalisten, die ihm – historisch ungerechtfertigt – den Titel "Sonnenkönig" verliehen haben. Denn im Gegensatz zu Ludwig XIV. war bei Kreisky von Luxus keine Spur
© Wiener Zeitung / Foto: apa/Krisitan Bissuti/Kurier

Als Kanzler einer Alleinregierung galt sein Wort zwar viel und seine Überzeugungen und Entschlüsse fielen schwer ins Gewicht, aber er musste dafür auch in der eigenen Partei viel Überzeugungsarbeit leisten und sie mussten in Legislative und Verwaltung umgesetzt werden. Dass das in den meisten Fällen gelang, ist auf sein Charisma zurückzuführen, auf die große Strahlkraft seiner Ideen und Visionen.

Bürgerliche Wohnkultur#

Kreiskys Wohnsitz in der Armbrustergasse 15 in Wien-Grinzing war (und ist noch) eine einstöckige Villa, deren straßenseitige Fassade alles andere als beeindruckend ist. Die Villa, die im Eigentum der "Wiener Städtischen Versicherung" war – Kreisky hatte sie gemietet – wurde nach dem Tod des Kanzlers in ihrem Inneren umgebaut und beherbergt heute das "Kreisky Forum für internationalen Dialog".

Von der ursprünglichen räumlichen Gestaltung und Innenausstattung ist nur das Wohnzimmer im ersten Stock erhalten geblieben – behaglich und unpretiös eingerichtet: zwei Sitzgarnituren, eine davon mit einem auffallend großblumigen, bunten Dekor, die den Blick auf sich zieht, steht inmitten des großen Raumes, dazu Fauteuils, Couchtischchen, Buchregale, Fotos von bekannten Persönlichkeiten, ein paar Bilder an den Wänden.

Von Luxus keine Spur, nichts Sonnenkönigliches, kein Versailleszimmer en miniature. Ein Frühstücks- und ein wenig benütztes Speisezimmer, zwei Schlafzimmer, sein eigenes, spartanisch möbliert, mit Blick auf den schönen Garten mit Altbaumbestand, ein Badezimmer und eine Küche vervollständigten die Beletage des Kanzlerdomizils.

In diesem Ambiente empfing Bruno Kreisky seine Gäste, Staatsmänner, Diplomaten, Industrielle, Freunde und Bekannte zu abendlichen Gesellschaften und (monologisierenden) Gesprächsrunden. Besonders gerne unterhielt sich der vielseitig gebildete, ungeheuer belesene Bücherfreund mit Künstlern und Spitzenjournalisten. Auch sein Haus in Mallorca war Treffpunkt zahlreicher prominenter Persönlichkeiten aus aller Welt. Etikettevorschriften gab es keine, gute Manieren wurden vorausgesetzt.

Kreisky selbst pflegte, nicht uneitel, einen gut bürgerlichen Lebensstil, trug elegante Maßanzüge, maßgefertigte Hemden und Schuhe. Seinen persönlichen Schutz besorgte ein Kriminalbeamter. In der Kanzlervilla fand man mit ein paar Bediensteten, einer Köchin, einer Haushälterin und einem Stubenmädchen das Auslangen.

Der Tagesablauf des Bundeskanzlers war keinem Reglement unterworfen und ganz auf die jeweiligen Notwendigkeiten abgestellt. Nach der Morgentoilette – gebetet wurde nicht, Kreisky war Agnostiker von umfassender religiöser Toleranz – nahm der Kanzler das Frühstück ein, bei dem er bereits amtshandelte. Er nahm Telefongespräche von Bürgern entgegen oder gab Anweisungen an seine Mitarbeiter im Kanzleramt. Kreisky regierte (auch) per Telefon. Sein Terminkalender war zum Bersten voll. Staatsempfänge im In-, Staatsbesuche im Ausland, Konferenzen, Besprechungen, Reden, Vorträge, Betriebsbesichtigungen, Interviews, Fernsehauftritte, Dienstreisen und Wahlveranstaltungen wechselten einander ab. Diners und Soupers gab es nur bei besonderen Anlässen, mittags und abends blieb oft nur Zeit für einen Imbiss, notfalls sogar nur bei einem Würstelstand. Spätabends entspannte er sich dann bei einem Spaziergang mit seinen beiden geliebten Boxerhunden. Er spielte in seiner Jugend sogar Fußball. "Also ihr werd’s lachen: I bin natürlich auch beim Fußballspielen ein Linksverbinder g’wesn und a Abstauber", meinte er einmal in einem Gespräch mit Karl Stotz, dem Trainer der österreichischen Fußballnationalmannschaft im breiten Wienerisch und in seinem sprichwörtlich langsamen Sprechduktus.

Höflich und streitbar#

Bruno Kreisky war eine kantige Persönlichkeit. Er war höflich und hilfsbereit, jovial und leutselig, er konnte aber auch streitbar sein, ungeduldig und ungerecht. Im April 1944 heiratete er in der schwedischen Emigration standesamtlich Vera Fürth, die Tochter einer Industriellenfamilie, die nach dem Ersten Weltkrieg nach Schweden ausgewandert war. Sie schenkte ihm zwei Kinder: Sohn Peter und Tochter Suzanne. Vera Kreisky litt in späteren Jahren an schweren Depressionen. Der Ehemann begegnete seiner vielseitig interessierten, sprachenkundigen Gattin mit großer Wärme und liebevoller Zuneigung. Neben ihr – und nicht an ihrer Stelle – spielten die Schauspielerin Senta Wengraf und Marietta Torberg eine größere Rolle in seinem Leben.

Bruno Kreisky war ein Staatsmann von europäischem Format, eine vielschichtige Persönlichkeit mit einem feinen Gespür für Zeitströmungen. Er prägte mit seinen zahlreichen, signifikanten innenpolitischen Reformen eine Ära. Seine große politische Liebe und Leidenschaft gehörte der Außenpolitik. Kreisky, dem man nach einem Aperçu seines Parteifreundes Leopold Gratz beim Denken zuschauen konnte, war ein politischer Visionär. Er dachte in globalen Räumen und Zusammenhängen. Als Außenminister und Regierungschef verschaffte er sich und seinem Land durch seine weit blickende Vermittlerrolle in vielen Konflikten internationale Reputation.

Seine Lösungsvorschläge im Nahostkonflikt (einschließlich der Forderung eines Palästinenserstaats), für die er viel Kritik erntete, stehen noch heute ungelöst auf der Agenda der Weltpolitik. Desgleichen sein Projekt eines "Marshallplanes" für die Dritte Welt.

Bruno Kreisky wurde in seinen letzten Lebensjahren von körperlichen Leiden geplagt, die ihm schwer zu schaffen machten. Sein weltumspannender Geist blieb wach bis zuletzt. Am Sonntagmorgen des 29. Juli 1990 schied er in einem Wiener Krankenhaus aus einer Welt, die er mit aller Kraft im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht hatte, humaner und friedlicher zu gestalten.

F. Weissensteiner
F. Weissensteiner


P.S. : Natürlich wäre es passender gewesen, Ludwig XIV. Kaiser Franz Joseph gegenüberzustellen, Versailles mit der Wiener Hofburg zu vergleichen. Aber Kaiser Franz Joseph war eben kein "Sonnenkönig".

Und er hat auch nicht heuer seinen 100. Geburtstag.


Wiener Zeitung, Samstag, 15. Jänner 2011