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Der Walzer als Träger einer gesellschaftlichen Revolution#

Das Revolutionäre des Walzers bestand in der ekstatischen Dynamik, welche alle Tänzer ohne Unterschied nach Rang und Stand im Sog der drehend wirbelnden Masse fortriß. Die Durchsetzung des Walzers als Modetanz an den Höfen Europas demonstrierte die zunehmend brüchiger werdende Machtposition traditioneller Herrschaftsschichten. Im Medium des Tanzes kündigte sich für das Bürgertum und den "vierten Stand" eine gesellschaftliche Entwicklung an, die politisch noch erkämpft werden mußte. Der Walzer wurde zum Inbegriff der Revolution und das Symbol des bürgerlichen Prinzips der "égalité". Der Walzer erforderte außerdem eine enge Tanzhaltung. Zum erstenmal in der Geschichte des europäischen Gesellschaftstanzes standen sich Mann und Frau eng gegenüber, umfaßten einander und drehten sich im ununterbrochenen Wirbel in einen tranceähnlichen Zustand. Diese als unmoralisch angeprangerte Tanzhaltung bedeutete eine sexuelle Revolution im Tanz.

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Das Ausmaß dieser kulturellen Umwälzung kann erst gänzlich in Gegenüberstellung des Walzers mit dem höfischen Modetanz, dem Menuett, verstanden werden, das vor dem Siegeszug des Walzers die Welt des Tanzes seit dem 17. Jahrhundert beherrschte. Mit dem Menuett und seinen höchst komplizierten, detailreichen Figur- und Schrittfolgen war die Trennung zwischen Gesellschaftstanz und den ursprünglicheren Volkstänzen gänzlich vollzogen, die kulturelle Kluft zwischen den sozialen Klassen unüberbrückbar.

Zum Wesen des Menuetts gehören eine strenge Formation von Tänzern, die den kustvollen Tanz in gemessenen Schritten auf exakten geometrischen Linien ausführen, aber ebenso ein Publikum, auf das der Tanz ausgerichtet ist. Wer in welcher Reihenfolge zum Tanz einzog, war von größter Bedeutung. In der ausgeklügelten Ordnung und abstrakten Uniformität der Tänzer ist der soziale Status ausschlaggebend für die Aufstellung im Tanz; die hierarchische Gesellschaftsordnung wird im Tanz demonstriert.

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Ganz anders ist es nun im Walzer, durch den erstmals in der europäischen Geschichte des Tanzes große Massen von freitanzenden Paaren entstehen; die Betonung liegt nicht auf Uniformität, sondern im individuellen Ausdruck. Kompliziert zu lernende Abfolgen des Menuetts ohne Freiraum für persönliche Ausformung werden durch wenige Grundschritte des Walzers ersetzt, die dem eigenen Temperament Spielraum lassen.

Die Tänzer legen beim Eintritt in eine tanzende Menge ihre soziale Rolle ab, es zählt nur die individuelle Leistung und Begeisterung im Tanz und nicht der Status in der Gesellschaft außerhalb des Ballsaals. Der Walzer ist kein Abbild einer existierenden sozialen Ordnung, noch enthält er wie seine Vorläufer narrative Momente, er ist als Tanz absolut wie die Kreisform an sich.

In dieser Absolutheit als Tanz lag vielleicht auch die Fähigkeit des Walzers letztlich alle sozialen Schichten gleichermaßen zu erfassen. Gleichzeitig wird dieses Phänomen von den geistigen und kulturellen Umwälzungen seit der Französischen Revolution getragen. In der Kunst kommt es zu einer immer stärkeren Loslösung von den traditionellen Auftraggebern, ein Kunstmarkt mit den Komponenten "freier Künstler" und "allgemeiner Geschmack" lösen die Abhängigkeit von Hof und Kirche. Der "individuelle Stil", Emotionalismus und die romantische Zuwendung zur übergeordneten Macht der Natur demonstrierten zunächst die intellektuelle Unabhängigkeit der Mittelschicht, führten aber weiter zu einem sensiblen Kult des Individualismus, dem sich ebenso die Oberschicht anschließen konnte. Der Walzer bot in seiner stürmischen Aufgabe aller Konventionen, dem Eintauchen in eine wogende Masse die Möglichkeit den neuen Individualismus aktiv zu leben. Die doppelte Spiralbewegung, die Drehung um die eigene Achse beim gleichzeitigen Beschreiben eines großen Kreises gleicht den kosmischen Bahnen der Planeten, im Tanz wird der Mensch ein bewegter Teil des Universums.

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