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Die Untermieter der Mondmuschel#

Die rund 500 Arten der marinen Mondmuschel leben seit 400 Millionen Jahren in Symbiose mit Bakterien. Wie die Mondmuscheln ihre Bakterien "aussuchen" und anschließend unter Kontrolle halten, untersucht die Mikrobiologin Jillian Petersen in ihrem aktuellen ERC-Projekt an der Uni Wien.#

Anhand von Mondmuscheln untersucht Jillian Petersen eine Symbiose, die 'älter ist als Dinosaurier'. Im Bild das Aquarium im Petersen Lab an der Uni Wien
Anhand von Mondmuscheln untersucht Jillian Petersen eine Symbiose, die "älter ist als Dinosaurier". Im Bild das Aquarium im Petersen Lab an der Uni Wien
Foto: © Sarah Zauner

"Meine Muscheln gab es schon vor den Dinosauriern", sagt Jillian Petersen lachend und nicht ganz ohne Stolz. Mit "ihren" Muscheln meint die Mikrobiologin marine Mondmuscheln, die mit ihren 500 Arten unglaublich vielfältig in Größe und Form sind und sich im Laufe ihrer Jahrmillionen alten Geschichte weltweit verbreitet haben. Das Besondere an der Lebensweise dieser Meerestiere ist ihre Symbiose mit Bakterien, die zu den ältesten bekannten Symbiosen zählt – die Bakterien ernähren sich von organischem Abfall, die Muscheln wiederum von den Bakterien. Dieses Zusammenleben erforscht die gebürtige Australierin in ihrem aktuellen ERC-Projekt an der Uni Wien.

Die Guten und die Bösen#

Ganz allgemein bezeichnet eine Symbiose das Zusammenleben zweier unterschiedlicher Organismen – und sie ist ein evolutionäres Erfolgsmodell: Fast alle Arten auf der Erde leben auf die eine oder andere Weise mit anderen zusammen. So findet sich zum Beispiel im menschlichen Darm – der Mensch kommt ohne Bakterien auf die Welt und nimmt diese dann über die Umwelt auf – eine Vielzahl an Mikroorganismen, die eine positive Wirkung auf die Darmflora haben. Aber auch "schlechte" Bakterien können sich ansiedeln, dann versucht unser Immunsystem, sie abzuwehren. "Pathogene, also Krankheitserreger, sind bereits relativ gut erforscht, aber wie wir, beziehungsweise unser Organismus, die guten Bakterien erkennt, ist weniger bekannt", so Petersen.

Seegraswiesen im Mittelmeer sind Hot Spots für die bis zu zwei Zentimeter großen Mondmuscheln
Seegraswiesen im Mittelmeer sind Hot Spots für die bis zu zwei Zentimeter großen Mondmuscheln, die mit rund 4.000 Tieren pro Quadratmeter eine sehr hohe Populationsdichte erreichen können. Im Bild ein Mitglied von Jillian Petersens Forschungsgruppe beim Sammeln von Mondmuscheln vor der Küste der Insel Elba.
Foto: © Benedict Yuen

Suchen, um zu finden#

Die Wissenschafterin hat als Modellorganismus für diese "gute Art" der Symbiose die marine Mondmuschel gewählt, weil sie über ein sehr einfaches symbiotisches System verfügt und auf eine lange Evolution zurückblickt. "Das wirklich Faszinierende daran ist, dass jede Muschelart auch mit einer jeweils anderen Bakterienart zusammenlebt", so die Mikrobiologin.

Wie auch beim Menschen kommt die Mondmuschel ohne Bakterien auf die Welt. Dann sucht sie sich "ihr" Bakterium aus – "sie kennen sich, haben eine gemeinsame Evolutionsgeschichte", wie es Jillian Petersen ausdrückt. Diese gemeinsame Geschichte geht sogar so weit, dass die Kiemen von Mondmuscheln – der Unterschlupf der Bakterien – rund ein Drittel der Körpergröße mancher Arten ausmachen – "das war sicherlich nicht immer so, sondern die Mondmuscheln haben sich evolutionär an diese Symbiose angepasst."

Comic zur Forschung von Jillian Petersen
Comic zur Forschung von Jillian Petersen. Jillian Petersen untersucht die "geheimnisvolle Symbiose" zwischen Mondmuschel und Bakterien auch im Rahmen einer hochdotierten "Young Investigator"-Förderung des Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds WWTF (2015-2023). Erfahren Sie mehr darüber im aktuellen Comic der Reihe "Wissensblick"!

Problemlöser Kaffee#

Im Rahmen ihres ERC-Projekts wird Jillian Petersen, die 2015 vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen an die Universität Wien wechselte, auch mit selbst gezüchteten Mondmuscheln im Labor arbeiten. Das ist gar nicht so einfach, da Mondmuscheln am Meeresboden, oft in Seegraswiesen, leben und sich ihre Bakterien von Schwefelwasserstoff ernähren. Dieser entsteht, wenn organisches Material, z.B. das Seegras, abstirbt.

"Wir haben eine Methode entwickelt, die das natürliche Umfeld für Muschel und Bakterium auch im Labor herstellen kann. Die Lösung lautet: Kaffeesatz", freut sich Petersen: "Wenn dieser abgebaut wird, entsteht ebenso Schwefelwasserstoff, also die Nahrung für die Bakterien, die ihrerseits wieder die Hauptnahrungsquelle der Mondmuscheln sind."

Hier katalogisiert Jillian Petersen gerade frische Proben aus dem Meer
Hier katalogisiert Jillian Petersen gerade frische Proben aus dem Meer, die dann im Labor an der Uni Wien weiter analysiert werden. Dort ist es den ForscherInnen gelungen, die Muscheln auch selbst zu züchten: mit Hilfe von Kaffeesatz.
Foto: © SOI/Mary Lide Parker

Fragen über Fragen#

Im Labor möchte die Mikrobiologin der Frage nachgehen, wie die Mondmuscheln "ihre" Bakterien aus unzähligen anderen erkennen. Dabei wird Petersen auch Tests mit Pathogenen machen, um zu beobachten, wie die Muscheln diese abwehren. Hier wird auch untersucht, wie sich die Mondmuscheln entwickeln, wenn sie keine Bakterien bekommen: "Wir werden sie also etwas hungern lassen. Aus der Natur wissen wir, dass sie dann krank werden, sich aber bei Nahrungszufuhr wieder erholen können. Diesen Vorgang möchten wir genauer verstehen."

Findet die Mondmuschel nun die richtige Bakterienart, vermehren sich diese automatisch in den Kiemen der Muscheln. "Bis heute wissen wir nicht, wie es die Muscheln schaffen, dieses Bakterienwachstum wieder zu stoppen bzw. im Zaum zu halten", so Petersen: "Eine Vermutung ist, dass sie natürliche Antibiotika einsetzen."

In Vielfalt geeint#

Im Hauptteil des ERC-Projekts erforscht die Mikrobiologin diese besondere Symbiose, ein Teilaspekt ist jedoch auch der generellen Vielfalt der Mondmuscheln gewidmet – hier geht es Petersen darum, die Evolution besser nachzuvollziehen. Dabei kommen auch alte Proben von der Challenger-Expedition 1872-1876 (Anm.: berühmte britische Forschungsreise mit dem Expeditionsschiff Challenger) zum Einsatz.

Auch wenn es auf den ersten Blick recht weit weg erscheint, ist ein Verständnis der Funktion und Evolution von Symbiosen insgesamt essenziell, um "gute" Bakterien in zukünftigen Technologien und Therapien für medizinische Zwecke einzusetzen. "Wenn wir einmal dieses recht einfach aufgebaute System von Mondmuschel und Bakterium verstanden haben, können wir uns an komplexere wenden", so Petersen abschließend. (td)

Jillian M. Petersen, in Australien geboren, machte ihren ersten akademischen Abschluss 2004 an der University of Queensland, Australien. Als MSc-Studentin und später Doktorandin und Postdoc ging sie ans Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie und wechselte 2015 als "WWTF Vienna Research Group Leader" mit dem Projekt "Understanding molecular host-microbe interactions in nature", das noch bis 2023 läuft, an die Universität Wien. Ihr Projekt "400 Million Years of Symbiosis: Host-Microbe Interactions in Marine Lucinid Clams from Past to Present" realisiert sie seit 2018 im Rahmen eines mit 1,5 Mio. Euro dotierten ERC Starting Grant. 2019 erhielt sie eine doc.funds-Förderung des FWF für das von ihr gemeinsam mit Matthias Horn geleitete Doktoratsprogramm "Mikrobielle Symbiosen in dynamischen Ökosystemen (MAINTAIN)".


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