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Krieglacher Abenddämmerung#

Peter Rosegger war nicht nur ein populärer Erzähler, sondern auch ein unbequemer Mahner und Warner. Am 26. Juni jährt sich sein Todestag zum 100. Mal.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 26. Juni 2018

Von

Christian Teissl


Der Poet an seinem Krieglacher Schreibtisch, aufgenommen von seinem ältesten Sohn Sepp., © Landesbibliothek Steiermark
Der Poet an seinem Krieglacher Schreibtisch, aufgenommen von seinem ältesten Sohn Sepp.
© Landesbibliothek Steiermark

Eine Romanfigur aus Graz pilgert im Jahr 1915 zum greisen Peter Rosegger nach Krieglach: ein Student namens Spittaler, cand. phil., ein Schwarmgeist auf der Suche nach der blauen Blume der Romantik, einer der Protagonisten von Ernst Décseys Grazer Künstlerroman "Die Theaterfritzl". (. . .) Zu dieser Zeit hat Rosegger längst den Nimbus einer sagenhaften Figur, gilt als unbestrittener Nestor der steirischen Dichtergilde, als König in seinem eigenen mythischen Reich, in dem die Kindheit nicht zu Ende geht und das zwanzigste Jahrhundert noch nicht begonnen hat.

Seine Anhänger heben ihn in den Himmel, preisen ihn zugleich als Inbegriff von Erdverbundenheit: "Tief im Boden seiner geliebten Heimat wurzelnd, ist er emporgewachsen, höher und höher, eingedenk der Sendung, die er als Dichter zu erfüllen hat, zutiefst durchdrungen von dem Priestertum des Dichtertums. So ist er einer unserer besten Volkserzieher geworden", bemerkt etwa der Wiener Schriftsteller und Rezitator Richard Plattensteiner, einer der vielen Epigonen der Heimatkunst jener Jahre, in einer kleinen Rosegger-Biografie, die rechtzeitig zum siebzigsten Geburtstag des Dichters in dessen Stammverlag Staackmann erscheint.

Seit ihm die Rosegger-Lektüre in einer Phase schwerer Krankheit und tiefer Verzweiflung neuen Lebensmut gab (. . .), sieht Plattensteiner sich dazu berufen, ja nachgerade dazu verpflichtet, seiner Mitwelt Roseggers Wort zu verkünden, das Evangelium nach Peter Kettenfeier (Pseudonym von Peter Rosegger, Anm.) vom einfachen Leben, von der Heimkehr zur Scholle, vom Frieden des Herzens und vom köstlichen Dasein.

Er tut dies unermüdlich ein halbes Jahrhundert lang, unter allen wechselnden Regimen. Stets im Einklang mit sich und seiner Zeit, würdigt er Roseggers Leben und Lehre in Reden, Vorträgen und Büchern. Während des Ersten Weltkriegs hält Plattensteiner zudem regelmäßig "Rosegger-Nachmittage" in Lazaretten des Hinterlandes. (. . .) In allen seinen Schriften pflegt Plattensteiner die Rosegger-Legende, die schon zu Lebzeiten des Dichters entstand und auf der Weigerung beruhte, zwischen Person und Werk zu unterscheiden (. . .) - einer Weigerung, der allerdings Rosegger selbst nach Kräften Vorschub leistete, indem er seine eigene literarische Produtkion immer wieder fiktiven Autoren zuschrieb, zugleich aber seine Person als Romanfigur inszenierte.

Von der Unsterblichkeit hat Rosegger seinerseits recht akkurate Vorstellungen. "Die Unsterblichkeit, die ich meine und wünsche und habe", bekennt er in seiner Essaysammlung "Das Sünder-glöckel", "ist die persönliche Unsterblichkeit, die U n z e r s t ö r b a r k e i t d e s I c h b e w u ß t s e i n s. Ich habe täglich meine Leiden, und doch ist mein Denken, Ahnen und Beten - ewig zu leben. Andere dürsten nach Ruhm, nach Wissen, nach Schönheit - ich dürste nach Leben. Nach ewigem Leben mit gesunden Sinnen und einem reinen Herzen (. . .)."

Mag Rosegger in seinen späten Jahren auch von seiner persönlichen Unsterblichkeit felsenfest überzeugt sein, so hegt er, was den bleibenden Wert seiner Werke anbelangt, durchaus seine Zweifel: "Ich schreibe seit 50 Jahren, aber mich, das, was eigentlich in mir ist, was mich ausmacht, das hab ich noch nicht sagen können (. . .) Ich fühle etwas ganz Besonderes, Eigenartiges in mir, aber ich kann es nicht aussprechen, es läßt sich nicht ausdrücken, und ich kann nicht sagen, worin es besteht (. . .)."

Von der beinahe religiösen Verehrung, die ihm im Alter zuteil wird, lässt Rosegger sich keineswegs blenden. Dem Ehrentitel des "Weisen von Krieglach" begegnet er mit Ironie: "In meinen letzten Jahren jetzt hat meine Harthörigkeit gute Fortschritte gemacht. Von Gesprächen, die um mich geführt wurden, verstand ich sonst ungefähr die Hälfte; und wenn ich dann manchmal eine Bemerkung dazugab, so war sie ungereimt und traf nicht. Das ist jetzt besser, jetzt verstehe ich zum Beispiel von einem Tischgespräch in größerer Gesellschaft nicht die Hälfte, sondern gar nichts. Ich schweige also. Und erst seit ich schweige, bin ich in den Geruch eines Weisen gekommen. Schweigen allerdings, das kann und will der alte Heimgärtner nicht. Er meldet sich zu Wort, spontan und unbeirrt, auch wenn es um Dinge geht, die er nur vom Hörensagen kennt:

Ich kenne dieses neue Glück nicht, das aus irgendeinem Himmel auf uns herabgefallen ist. Der Tango! Man hört viel von ihm und ich halte ihn, offen gestanden, für nichts anderes als für eine der ansteckenden Modekrankheiten, wie sie immer auftauchen, um gewöhnlich in kurzer Zeit wieder zu verschwinden. Schwache Naturen werden von solchen oft recht widerlichen Seuchen befallen, bekommen Fieber und treiben im Delirium oft die unglaublichsten Geschmacklosigkeiten, deren sie sich selbst schämen, wenn der Anfall vorüber ist. (. . .)."

Herz auf der Zunge#

Seine Irrtümer, Vorlieben und Aversionen trägt Rosegger offen zur Schau, in seinen letzten Jahren vor allem in "Heimgärtners Tagebuch", seinem publizistischen Ausgedinge. "Rosegger ist als Autor allzeit der offenherzigste aller Menschen gewesen", wie der Grazer Germanist Anton Schönbach treffend bemerkte. Dass er die Linien seines Lebens offenlegte und sein Herz stets auf der Zunge trug, gab jedem seiner Leser das Gefühl, ihm nahe zu sein und ihn verstanden zu haben. Er selbst wusste es besser:

"Ich bin mein Lebtag recht oft mißverstanden worden. Wahrscheinlich, weil ich zuviel geredet habe. . . . Mein einfältiger Ernst wurde bisweilen für Spott genommen. Aber freilich auch oft meine schalkhafte Ironie für bitteren Ernst", klagt er am Vorabend seines siebzigsten Geburtstags, der eine Flut vom Glückwunschtelegrammen in sein Krieglacher Sommerhaus spült und die heimischen Feuilletonspalten mit Elogen überschwemmt, den Lesern von "Heimgärtners Tagebuch", und als die Glückwunschflut wieder verebbt ist, gesteht er ihnen, halb gerührt, halb fassungslos:

"Als ich nun all diese Bücher und Aufsätze gelesen, all die Ansprachen, Zuschriften und Glückwünsche vernommen hatte, ist auch in mir ein Glückwunsch für mich wach geworden: So, wie dieser Rosegger, den sie da geschildert, so möchte ich sein."

In der "Abenddämmerung" hält er Rückschau auf den Schauplatz seines Lebens, der nicht selten ein Kampfschauplatz war. Er scheute, insbesondere in seiner Tätigkeit als Publizist, als Herausgeber des "Heimgarten", keinen Konflikt, mühte sich redlich, seiner Gegenwart die Stirn zu bieten, und gewann auf diese Weise ein Profil, das ihn nun, im Alter, staunen macht, mitunter auch befremdet.

Popularität zu erlangen war nie sein Ziel. "Um eitel Liebe buhl ich nicht", heißt es bereits in einem Gedicht des Vierzigjährigen, eine Haltung, die er immer wieder aufs Neue bekräftigt und beteuert. Seine Feindschaften pflegt er ebenso beharrlich und verlässlich wie seine Freundschaften, und so ist es nicht verwunderlich, dass sein allerletztes Buch, das er 1917 zusammenstellt, das aber erst nach seinem Tod unter dem Titel "Abenddämmerung" im Druck erscheint, ein Buch der Freunde und der Feinde ist, voll von Zuspruch und Widerspruch; keine gefällige Geschichtensammlung, kein Trostbüchlein, wie es manche seiner Anhänger vielleicht von ihm erwarten, sondern eine Nachlese von geschliffenen Feuilletons, Essays und Dialogen aus vielen Jahren.

Großer Egoismus#

In der Vorrede heißt es: "Der Verfasser hatte die Eigenschaft, sich immer um Dinge zu kümmern, die ihn eigentlich nichts angingen. Hätte er stets die Zeiten - Zeiten, und die Leute - Leute sein lassen, hätte er sich hübsch bescheiden mit dem kleinen Ich begnügt, das in seiner Haut steckt, er würde seine Jahrzehnte mit größerer Ruhe und Behaglichkeit versessen haben. Aber er beschaute und bedachte die Menschheit, er sah die von ihrer Sehnsucht ihr gestellten Ziele und die Schwierigkeit oder gar Unmöglichkeit, sie zu erreichen, und er fühlte allmählich in jedem Menschen sich selber; so war seine Sorge um die Menschheit eine Sorge um sich selber. In diesem großen Egoismus stecken Freuden und Leiden, von denen eine in ihre enge Brust genähte Seele keine Ahnung hat. Nun, so begann unser Mann zu schreiben, und schrieb und schrieb. Er dachte nicht daran, die Leute zu belehren, zu bekehren, war er doch selber noch nicht bekehrt; es war vielmehr ein lyrisches Verlangen, sich durch das Aussprechen seelisch zu befreien. Er wollte sehen, ob ihm die Menschen könnten tragen helfen, oder er ihnen. Er wollte sich mit ihnen verständigen über alles, was wir gemeinsam haben; vielleicht fingen sie dann an nachzudenken. Der Gedanke ist zwar noch lange keine Tat, aber er kann wie eine Fackel die Tat und ihren Weg erleuchten. Aus solchen halb unbewußten Regungen sind die vielen Bücher des Verfassers entstanden."

Bild 'Buchcover'

Eine nüchterne Bilanz. War etwa alles vergebens? Die Frage scheint Rosegger, nicht zuletzt unter dem Eindruck des Krieges, den er zunächst begrüßt, dessen Ende er aber schon bald ersehnt - und nicht mehr erleben wird, umgetrieben und in Atem gehalten zu haben. Davon zeugt ein Gedicht, das wie nebenhin in eine der späten Folgen von "Heimgärtners Tagebuch" eingestreut ist. Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein lyrischer Nekrolog, den er sich selbst gedichtet hat:

,Bei mir ist es Abend, bei euch ist es Morgen.
Ich trachte nach Ruhe, ihr jaget nach Sorgen.
Ich hätte doch - deucht mich - erst angefangen,
Dem Leiden zu trutzen, die Lust zu verlangen.
Tat arbeitend schlafen und träumend wachen,
In Freuden weinen und im Elend lachen.
Jetzt klag’ ich, daß Stunden nicht wollen weichen,
Und jetzt, daß die Jahre so schnell verstreichen.
Was ich gewollt, es war arg vermessen,
Was ich gewußt, es ist längst vergessen,
Was ich gesucht, war nimmer zu finden,
Und was ich fand, war immer im Schwinden.
Was ich gehabt, ward nicht genossen,
Was ich gewesen, ist längst zerflossen.
Ich bin ein Blatt, vom Winde getrieben,
Auf das unser Herrgott ein Nichts geschrieben.
Bin göttlich erleuchtet und menschlich dumm,
Mir selber ein tiefes Mysterium.
- Und dieses Dunkel ist mir Kraft und Ruh’,
Ich bin nichts und alles - bin ich und du.’"

Information#

Der Text ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch

  • "Der langsame Abschied des Peter Rosegger" des Grazer Autors Christian Teissl. Styria, Wien/Graz 2018, 160 Seiten, 22,- Euro.

Anlässlich des 100. Todestages von Peter Rosegger haben Karl Wagner und Daniela Strigl zwei seiner bekanntesten Bücher neu ediert (beide ebenfalls im Styria Verlag, 2018):

  • "Waldheimat". Anekdotisch-pointierte Geschichten aus der bäuerlichen Welt Roseggers. 480 Seiten, 25,- Euro.
  • "Jakob der Letzte". Geschichte eines Modernisierungsverlierers. 384 Seiten, 25,- Euro.

Wiener Zeitung, 6. Juni 2018