"Ihr Jungen schließt die Reihen gut ..."#
Kampflieder, nach der Nationalhymne zu singen#
Nach einer brieflichen Mitteilung des Schriftstellers Rudolf Henz (1897-1987) an den Verfasser wurde Henz von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg beauftragt, ein Kampflied zu verfassen, das als „Gegenhymne" zum Horst-Wessel-Lied und als „zweite Hymne der Jugend" eingesetzt werden sollte. Es ist kein Geheimnis, daß sich der autoritäre Ständestaat, vor allem dessen dominierende Kraft, die Vaterländische Front, zur Bekämpfung des Nationalsozialismus eines diesem ähnlichen Symbolkatalogs bediente. Die Idee der damaligen Führungsschicht war es, als die „besseren Deutschen" zu gelten. Daher schuf man wie im „Reich" eine Einheitsbewegung, uniformierte (Wehr-)Verbände und eine uniformierte Staatsjugend. Zentrales Staatssymbol war das Kruckenkreuz (s. d.), als Hymne passte die 1930 eingeführte Haydn-Kernstock-Hymne (s.d.) durchaus in die Ideologie des "christlich-deutschen Ständestaates" (traditionell/deutsch-österreichisch).
Rudolf Henz war Leiter des Kulturreferats der Vaterländischen Front, verbrachte den Krieg als Glasmaler und war von 1945 bis 1957 Programmdirektor der RAVAG, des österreichischen Rundfunks während der Besatzungszeit.
So wie in Deutschland das 1922 offiziell als Nationalhymne eingeführte Deutschlandlied nach faschistischem Vorbild zusammen mit dem „Kampflied der Bewegung", dem Horst-Wessel-Lied („Die Fahne hoch"), gesungen wurde (in Italien war seit 1932 das Parteilied „La Giovinezza" im Anschluss an die Staatshymne zu singen), sollte in Österreich die Bundeshymne zusammen mit dem Dollfußlied erklingen. Dass sich dabei gedankliche, textliche und musikalische Parallelen ergeben mußten, liegt auf der Hand.
Das Horst-Wessel-Lied#
Das Lied „Die Fahne hoch!" geht auf den 1907 in Bielefeld geborenen Horst Wessel, eine eher zwielichtige Gestalt, zurück. Wessel trat neunzehnjährig in die Berliner SA ein, hielt sich aber auch mehrere Monate in Wien auf, wo er 1928 das Amt eines Kreisführers der Hitlerjugend bekleidete. In Friedrichshain entstand unter seiner Führung eine örtliche SA-Gruppe, der SA-Sturm 5. Sturmführer Horst Wessel hatte sich in die Prostituierte Erna Jaenike verliebt. Deren Zuhälter, der Kommunist Albrecht „Ali" Höhler, eben aus dem Gefängnis entlassen, spürte zusammen mit einigen Genossen aus dem Rotfrontkämpferbund Horst und Erna am 14. Jänner 1930 aufgrund eines Hinweises ihrer Vermieterin auf. Horst Wessel öffnete die Wohnungstür. Als Höhler seine „Braut" in der Wohnung sah, jagte er Wessel mit den Worten „Du weißt, wofür" eine Revolverkugel in den Mund. Politische Motive sind neben dem auf der Hand liegenden Eifersuchtsmotiv nicht völlig auszuschließen. Horst Wessel starb erst einige Wochen später, am 23. Februar 1930. Siehe hiezu den Essay in der Wiener Zeitung vom 9.1.2009
Das Berliner SA-Blatt „Der Angriff" berichtete bis zu Horst Wessels Tod laufend über den Zustand des den Nazis äußerst willkommenen „Märtyrers", dem von Joseph Goebbels eine Art „Staatsbegräbnis" bereitet wurde. In der für die Rituale des Nationalsozialismus so typischen Form übersteigerten Kitsches rief Goebbels zu einem „letzten Appell" auf:
„Der Tote, der mit uns ist, hebt seine müde Hand und weist in die dämmernde Ferne: Über Gräber vorwärts, am Ende liegt Deutschland!" Hier wurde - wie später im Dollfuß-Lied - suggeriert, dass ein Toter die Reihen seiner Kameraden anführe.
Anmerkung: Engelbert Dollfuß starb am 25. Juli 1934 unter gänzlich anderen Umständen und als ein tatsächlicher Märtyrer für sein Land, aber ebenfalls durch Mörderkugeln: sie stammten aus der Waffe des illegalen Nationalsozialisten Otto Planetta.
Schon am 23. September 1929 hatte der „Angriff" ein Gedicht des jungen Sturmführers Wessel veröffentlicht: „Die Fahne hoch". Der Ursprung der Melodie ist ungeklärt, vielleicht stammt sie von einem alten Soldatenlied, in dessen Marschtakten es hieß: „Zum letzten Mal wird zum Appell geblasen, zum letzten Mal die Hängematt' gezupft". Ihr Ursprung kann aber auch in einem Seemannslied oder einem böhmischen Scherzlied liegen. Hermann Kurzke hingegen führt Text und Melodie auf ein Arbeiterlied zurück.
Hermann Kurzke, Hymnen und Lieder der Deutschen. Mainz 1990, 129 f.
Das Horst Wessel-Lied über YouTube abspielen
Das Lied hatte zusammen mit seiner Inszenierung einen für die Massen sehr verführerischen Charakter.
Beachte daher die Distanzierung des Autors von nationalsozialistischem Gedankengut am Fuß dieser Seite.
Nach dem Tod von Horst Wessel wurde mit allen propagandistischen Mitteln der NSDAP aus seinem Lied eine Hymne der Partei und das zweite musikalische Staatssymbol des „Dritten Reiches" kreiiert. Dagegen musste das Dollfuß-Lied als ein eher bescheidener Versuch wirken. Eine synoptische Gegenüberstellung der beiden Texte zeigt die vielen textlichen Parallelen:
Das Dollfuß-Lied#
Es ist keine Frage, dass sich das Ethos der Henzschen Dichtung vom Inhalt des Horst-Wessel-Liedes trotz der deutlichen formalen Parallelen grundlegend unterscheidet: es enthält mehr defensive Elemente und ist in seinen politischen Utopien geistvoller, während das Gedicht des Studenten Horst Wessel mehr die praktische Kampfsituation der „braunen Bataillone" im Auge hatte. Dennoch muß man klar sehen, dass auch im Henzschen Symbollied der Teufel mit Beelzebub ausgetrieben werden sollte - so wie mit dem Kruckenkreuz, der Vaterländischen Front, ihren Uniformen und dem Gruß „Heil Österreich!", der mit den (zwei) Schwurfingern geleistet wurde. Die Melodie des Dollfuß-Liedes stammt übrigens nicht von Hermann Leopoldi (Pseudonym für Ferdinand Kohn, geboren 1888 in Wien, Komponist, Schauspieler und Humorist, der viele Wienerlieder und Schlager z.B In einem kleinen Café in Hernals' schuf).
Dollfußlied 1. Strophe abspielen
Dollfuß-Lied 3 Strophen abspielen(Original-Schellackplatte der Vaterländischen Front)
Vollständiges Notenblatt und Marschversion
Hinter dem Pseudonym „Austriacus" verbarg sich vielmehr neben Rudolf Henz der RAVAG-Komponist und Dirigent Alois Dostal (1878-1953). Wie Rudolf Henz selbst berichtet, schrieb Alois Dostal die Melodie, nachdem er „eine Nacht hindurch Giovinezzaplatten laufen ließ". Henz selbst hatte das Horst-Wessel-Lied im Ohr, nach einer „mir aus der alten Moritat vom Schneider in Czaslau aus der Kindheit bekannten Melodie".
Der aus Wien stammende israelische Journalist Ari Rath erinnert sich:
"Am 1. Mai 1935 mussten sämtliche Haupt- und Mittelschüler Wiens, auch die der "Judenklassen", im großen Stadion im Prater zu einer riesigen Solidaritätskundgebung antreten. Etliche Wochen vorher übten wir in jeder Klasse das neue Dollfußlied ein, das dann aus vielen tausend Kehlen im Stadion erklang." sowie:
"Gegen halb acht ertönte die Stimme von Bundeskanzler Schuschnigg. Mit leicht zittriger Stimme verlas er seine erzwungene Abdankungserklärung 'So verabschiede ich mich in dieser Stundes von dem österreichischen Volke mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich.' Mir traten die Tränen in die Augen. Gleich darauf ergriff der neu eingesetzte Bundeskanzler Arthur Seyß-Inquart das Wort. Er forderte seine Landsleute auf, die deutschen Truppen, die in der Nacht einmarschierten, freundlich zu empfangen. Wenig später spielte Radio Wien zum ersten Mal das Horst-Wessel-Lied, die heimliche Hymne der NSDAP."
Aus: Ari Rath: Ari heißt Löwe - Erinnerungen, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2012, Seite 25 und 32.
Siehe auch den Beitrag "Giovinezza"!
Rudolf Henz, Fügung und Widerstand. Eine Autobiographie. Graz 1981, 181 ff.
Wir erfahren also aus authentischer Quelle: Text und Melodie des Dollfuß-Liedes orientierten sich bewusst am faschistischen und am nationalsozialistischen Vorbild. Wie Henz weiter berichtet, wurde Hermann Leopoldi aufgrund der Vermutung des illegalen „Völkischen Beobachters", er verberge sich als Jude hinter dem Pseudonym „Austriacus", im Mai 1938 verhaftet und in das KZ Dachau gebracht. Dort beschwerte er sich und erklärte, nichts mit dem Lied zu tun zu haben. Ein Anruf der Gestapo bei Henz klärte den Sachverhalt: Leopoldi wurde enthaftet und zur legalen Auswanderung freigegeben. Henz und Dostal bekannten sich als Autoren des Liedes und gaben gleichzeitig ihre „arische" Abstammung bekannt. So erhielt Henz 1938 sogar noch 900 RM Schallplattentantiemen für das „Lied der Jugend". Nach Berichten von Zeitgenossen ist die tatsächliche Wirkung des Dollfuß-Liedes infolge der Kürze seines Einsatzes wohl auf die Schuljugend beschränkt geblieben. Leider ist uns noch keine historische Tonaufnahme zugänglich geworden.
Fritz Molden, Fepolinski und Waschlapski auf dem berstenden Stern. Wien 1976, 115
Eckart Früh, Gott erhalte? Gott bewahre! In: Österreich in Geschichte und Literatur, Heft 5/1988,298 f.
Besonders eifrig gesungen wurde es einmal auf der Ringstraße anläßlich der Rede von Bundeskanler Kurt Schuschniggs vor der Bundesversammlung am 24. Februar 1938 („Bis in den Tod - rot-weiß-rot!").
Als unmittelbar nach der letzten Rundfunkansprache Kurt Schuschniggs am 11. März 1938 einige im Hintergrund Anwesende das Deutschlandlied anstimmten, blendete Schuschniggs Bruder, damals in der Rundfunktechnik der RAVAG tätig, geistesgegenwärtig das (textlose) „Kaiserquartett" ein.
Beachte: Das Dollfußlied muss im Zusammenang mit den politischen Kampfliedern seiner Zeit gesehen werden:#
"Hakenkeuzler", "Hahnenschwanzler" und ihre Kampflieder #
Besonders fleißig marschiert wurde in der Ersten Republik unter den weiß-grünen Wimpeln der Heimwehr und den schwarz-weiß-roten Hakenkreuzfahnen, solange diese erlaubt waren.
Die Anhänger der illegalen Nazi-Bewegung konnten auf ein reiches Liedgut der NSDAP zurückgreifen. So z. B. auf das berüchtigte Lied des
deutschen HJ-Schriftstellers Hans Baumann:
Es zittern die morschen Knochen
der Welt vor dem roten Krieg,
wir haben den Schrecken gebrochen,
für uns wars ein großer Sieg.
Wir werden weiter marschieren,
wenn alles in Scherben fällt -
denn heute da hört uns Deutschland
und morgen die ganze Welt.
(Sehr oft wurde im Refrain falsch gesungen "denn heute gehört uns Deutschland". Laut Hermann Polz /"Die Presse" vom 13.6.2009 sangen die Burschen auch "Es zittern am Oasch die Knochen")
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Ein offizielles Heimwehrlied gab es nicht, beliebt war jedoch der fünfstrophige Text des Heimatschutzjournalisten Dr. Bodo Kaltenboeck, der zur Melodie „Vom Barette schwankt die Feder" gesungen wurde. Seine erste Strophe ist auf den von den Tiroler Landesschützen übernommenen „Spielhahnstoß" (waidmännischer Ausdruck für die Schwanzfedern des Birkhahns) gemünzt.
An Verhaltensforschung interessierte Leser mögen die Definition über das Balzverhalten des Birkhahns aus dem Großen Meyer-Lexikon ruhig in Beziehung zu den Auftritten der bürgerlichen Wehrverbände, zum Beispiel zum Pfrimer-Putsch (Nacht vom 12. auf den 13. September 1931), setzen.
Sie lautet: „Mit ausgebreitetem Schwanzgefieder vollführt der balzende Birkhahn heftige Luftsprünge und unternimmt mit lautem Kollern Scheinangriffe auf Konkurrenten, die oft zu mehreren eine Henne umwerben." Hier der Liedtext:
Auf dem Hut die Spielhahnfeder
Grün der Rock und deutsch der Mut
Für die Heimat kämpft ein jeder
Österreich mit Gut und Blut.
Starhemberg führt das Werk
und wir woll'n ihm folgen.
Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. Wien 1985, 260.
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