Die Farbe Rot#
von Peter DiemDas konverse Symbol - die waagrechte Linie - finden wir im Beitrag über Blau, das Ausdruck des weiblichen Prinzips ist.
(Eisenoxid - Rötel - war schon dem Urmenschen zugänglich, während die Farbe Blau erst viel später, mit dem pflanzlichen Indigo, verbreitet wurde.) Die Farbe Rot muss natürlich in erster Linie im Zusammenhang mit dem Symbol des Blutes gesehen werden.
Gerade bei der Analyse der staatlichen und politischen Symbolik Österreichs muss dem Symbol des Blutes nachgegangen werden, wird doch die Entstehung der rot-weiß-roten Farben gerne mit einer blutigen Legende (Schlacht von Akkon, 1191) verbunden (siehe dazu den Beitrag über "Rot-Weiß-Rot).
Blut gilt von altersher als Sitz des Lebens bzw. der Seele, als Lebensprinzip schlechthin. So ließen die Griechen Blut in die Gräber tropfen, um den Schatten der Toten neue Lebenskraft zuzuführen. Der antike Seher versetzte sich in Ekstase, indem er Blut trank. Im germanischen Mythos wurden die Runen durch rote Farbe magisch belebt (altangelsächsisch teafor = Mennige: rotes Bleioxid wie es in Rostschutzmitteln verwendet wird. Davon kommt das deutsche Wort „Zauber").
Nach 2 Moses 12,7-13 sollte das von den Juden in Ägypten an die Türpfosten gestrichene Blut des Paschalammes den Bund mit Gott erneuern. In 3 Moses 17,11-12 wird ebenfalls auf die Bedeutung des Blutes als Opferzeichen verwiesen. Die Farbe des eingetrockneten Blutes wurde später von Homer und Plinius zum Symbol „höchsten Ruhms" hochstilisiert. Durch den Kreuzestod Christi erlangte Blut in Lehre und Praxis des Christentums eine besondere Bedeutung: austauschbar mit dem - ursprünglich wohl roten - Wein der Eucharistie, wurde es zum Symbol der Erlösung. In der griechisch-orthodxen Tradition ist Rot die Osterfarbe. Auch im Begriff der Blutsbrüderschaft kommt die symbolische Kraft des Blutes zum Ausdruck. Bis heute lebt das Symbol des Blutes als Träger ewigen Lebens in der Dracula-Legende fort.
Negativ besetzt ist das Blut menstruierender Frauen - sie waren bei vielen Naturvölkern bestimmten Absonderungs- und Reinigungsvorschriften unterworfen. Zu großer verführerischer und zerstörerischer Wirkung führte das Blutsymbol im Nationalsozialismus; einerseits als symbolische Basis des Rassenwahns: jüdisches Blut und Erbgut wurden als minderwertig erklärt, Verkehr zwischen „Ariern" und „Nicht-Ariern" galt als „Rassenschande". „Blut und Boden" waren Sinnbilder für den Expansionsdrang und die Mythologie des NS-Regimes. Andererseits spielte das Blutsymbol in der Aufbauphase der NSDAP und im gesamten Hitler-Militarismus eine entscheidende Rolle (vgl. dazu den Beitrag über die Fahne und den Mythos der „Blutfahne").
Rot symbolisiert Aggression und Krieg, aber auch Organisation und Ordnung - daher wohl auch die Beliebtheit dieser „männlichen" Farbe im politischen Bereich. Als Farbe urtümlicher Vitalität steht Rot auch für das materiell-stoffliche Prinzip. Rot bezeichnet in der Wappenkunde Dienst am Vaterland, militärische Tapferkeit und Großmut, aber auch das Opfer des Märtyrers. Die roten Zahlen in unseren Kalendern gehen ebenso darauf zurück wie der Kardinalspurpur. Der Zusammenhang mit dem schon beschriebenen Blutsymbol ist nicht zu übersehen. Schon seit der Antike ist Rot aber ebenso auch die Farbe des Lebens, der Leidenschaft und der Liebe; diese Bedeutung hat Rot heute noch, im roten Muttertagsherz und im Strauß roter Rosen, die man der Geliebten bringt. Vor allem aber ist es die Farbe des Herrschens und der Macht - in einer patriarchalisch bestimmten Geschichte natürliches Symbol des Männlichen.
Vergegenwärtigen wir uns anhand des schon erwähnten Purpurmantels den leichten Übergang vom Herrschersymbol zum Symbol für die blutigen Strafen an Leib und Leben: Gott Vater trägt in der christlichen Ikonographie einen roten Überwurf als Zeichen seiner universellen Machtausübung und Liebe; der rote Mantel zierte aber auch die römischen Kaiser, Konsuln und Feldherren (Rot ist in der mittelalterlichen Kunst damit auch zur Farbe Roms geworden). In der Passion Christi ist ein Purpurmantel das Zeichen für die Verspottung Jesu als „König der Juden". Auch der Mantel des mittelalterlichen Henkers war blutrot. Bis auf den heutigen Tag ist der Talar des Staatsanwaltes mit einem roten Saum versehen, ebenso sind die Roben der Höchstrichter in manchen Staaten rot, so etwa in der Bundesrepublik Deutschland alles - Hinweise auf die zumindest früher in der Blutgerichtsbarkeit gipfelnde Macht des Staates. Im Mittelalter signalisierte das Rot die Blutgerichtsbarkeit - die Stempelfarbe des Todesurteils war deshalb ebenfalls rot. In der Neuzeit kündigten die roten Mützen der Jakobiner die Revolution an.
Rot musste so auch zum Signal für „Gefahr" werden, was sich ja bei jeder Verkehrsampel und bei jedem Eisenbahnsignal beobachten lässt. In durchaus ambivalenter Konnotation tritt uns Rot als Farbe der Prostitution entgegen - schon in der Bibel ist Rot Symbol der Sünde. Die große Hure Babylon (Offenbarung 17,4) ist in Purpur und Scharlach gekleidet und reitet auf einem „scharlachroten Tier voll Lästerungen". Auch heute noch zeigt die rote Laterne den Weg ins Bordell. Rot ist auch die Farbe des Teufels oder - in gemilderter Form - der Krampusfeier.
Rot kann also vom gerechten/brutalen Herrschen bis zur aufopferungsvollen/unbändigen Liebe reichen. Es ist in jedem Falle eine aktive und aggressive Farbe. Daher ist Rot auch zur Farbe der proletarischen Revolution, der Arbeiterbewegung und zur Farbe von Sozialismus und Kommunismus geworden, deren Strahlkraft sich dann auch der Nationalsozialismus bediente, wie wir an anderer Stelle dokumentiert haben.
Wir haben uns sehr ausführlich mit dem Ursymbol „Rot" und seinem offensichtlichen Zusammenhang mit dem Ursymbol „Blut" auseinandergesetzt. Doch gebietet die äußerst wichtige Rolle, die diese Farbe im politischen Bereich spielt, eine weitere Konkretisierung. Die rote Farbe überragt alle anderen durch ihren aggressiven und Aufmerksamkeit heischenden Charakter. Sie ist deshalb seit der Antike gerade im politischen Bereich von besonderer Bedeutung gewesen. Die Edda berichtet davon, dass das Aufziehen eines roten Schildes an einem Mast als Kriegserklärung aufzufassen war. (Wenn heute auf einem Truppenübungsplatz scharf geschossen wird, wird ebenfalls ein warnendes Zeichen hochgezogen - in Österreich ein rot-weiß-roter Korb.)
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Rot zur Farbe der Arbeiterbewegung. Die Kommunisten nannten sich selbst „Rote" und trugen bei ihren Aufmärschen rote Fahnen. Im russischen Bürgerkrieg konnten die „Roten" symbolstrategisch darauf zurückgreifen, dass „krassnij" (rot) denselben Stamm wie „prekrassnij" (schön) oder „krassiwij" (hübsch) hat, während ihre Gegner, die „Weißen", wohl eher Blässe oder den allgegenwärtigen Schnee als Assoziation ins Treffen führen konnten. Die „Rote Armee" hat durch ihren Blutzoll im Zweiten Weltkrieg ihrem Namen alle Ehre gemacht. Das Kampfblatt sowohl der deutschen als auch der österreichischen Kommunisten der Vorkriegszeit hieß „Rote Fahne". Umgekehrt wurde „Rot" zur angstvollen Bezeichnung des Gegners bei der Bourgeoisie. Der behauptete „Sturm auf die roten Rathäuser" hat der CDU bzw. der ÖVP bei mancher Kommunalwahl symbolpublizistisch Schützenhilfe geleistet. Vom demokratischen Sozialismus wurde die rote Farbe ursprünglich genauso verwendet wie von den Kommunisten: die Sozialdemokraten hatten sich allerdings nach und nach von der Tradition der roten Farbe losgesagt, um etwa mit dem "gemäßigteren" Orange zu werben. Doch kam nach einiger Zeit wieder das Kommando "zurück" und Rot war wieder "in".
Im allgemeinen politischen Sprachgebrauch hat sich nicht viel verändert: weiterhin ist die Bezeichnung „die Roten" - als Auto- und Heterostereotyp - gang und gäbe. Und in der Traditionspflege der Sozialdemokraten wird die rote Fahne wohl noch viele Jahrzehnte ihre Bedeutung behalten, zumindest in Wien, beim jährlichen Aufmarsch am 1. Mai siehe links).
Video des Liedes "Rote Fahne" abspielen
Rot spielte aber auch im Nationalsozialismus eine bedeutende Rolle. Adolf Hitler war selbst von der Wirksamkeit der roten Farbe und der roten Fahne sehr beeindruckt. So schreibt er in „Mein Kampf":
"Ja, wie oft sind sie damals buchstäblich in Kolonnen hereingeführt worden, unsere Freunde von der roten Farbe... Schon die rote Farbe unserer Plakate zog sie in unsere Versammlungssäle. Das normale Bürgertum war ja ganz entsetzt darüber, dass auch wir zum Rot der Bolschewiken gegriffen hatten, und man sah darin eine sehr zweideutige Sache... Wir haben die rote Farbe unserer Plakate nach genauem und gründlichen Überlegen gewählt..." (Mein Kampf, München 1938, 541 f. )
Hitler befasste sich auch mit den diversen Farbkombinationen, die für die Fahne der NSDAP und ihr Parteiabzeichen in Erwägung gezogen wurden. Wir legen an anderer Stelle dar, dass in der Realität nicht alles genau so ablief, wie es Hitler in seinem Buch darstellt (vgl. den Beitrag über das Hakenkreuz), doch ist es ein Faktum, dass die Farbe Rot bewusst betont wurde:
"Als nationale Sozialisten sehen wir in unserer Flagge unser Programm. Im Rot sehen wir den sozialen Gedanken unserer Bewegung, im Weiß den nationalistischen, im Hakenkreuz die Mission des Kampfes für den Sieg des arischen Menschen und zugleich mit ihm auch den Sieg des Gedankens der schaffenden Arbeit, die selbst ewig antisemitisch war und antisemitisch sein wird." (a. a. O., 557)
Durch die Verbindung mit Weiß und Schwarz ergaben sich dabei gleichzeitig die Reichsfarben der wilhelminischen Zeit, womit die Nationalsozialisten auch die deutschnationale Wählerschaft, allen voran die ehemaligen Kriegsteilnehmer, in der Zeit nach Versailles anzusprechen vermochten.
In der österreichischen Symbolgeschichte spielt Rot nicht nur eine bedeutsame Rolle als Ursprung der Nationalfarben Rot-Weiß-Rot, sondern auch eine ebenso wichtige Rolle im Aufeinandertreffen der großen weltanschaulichen Lager, insbesondere in der Ersten Republik.