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september 1893 39
will nichts zeigen; er will nichts schildern; er will nichts beweisen
– das schöne Lügen ist seine Lust. Er ist weder Naturalist noch
Psychologe und ist, wenn man will, doch beides: er ist der Erzäh-
ler,derAlles thut,wasdieErzählungbrauchen,undAlles läßt,was
50 sie entbehren kann – das Bedürfniß der Erzählung allein ist immer
seineinzigesGesetz.ErhatunvergeßlicheProfilegezeichnet.Erhat
Documente des Lebens gegeben. Er hat in der Juckercomtesse eine
weibliche Psychologie geschaffen, die ihm Bourget neiden könnte.
Aberdasläuftsonebenbeimit.Waserwill, istnurdieErzählung,der
55 üppige Reiz von vollen, bunten, wunderbaren Stoffen. Die Erzäh-
lung ist ihmAnfangundEnde.Sohater,was ichsonstvonKeinem
in dieser ganzen breiten Zeit der Literatur weiß: er hat den stillen,
guten Zauber der naiven Kunst, wie er an den alten Märchen des
Volkes ist. Man kann sagen, daß es niemals ein rechter Roman ist.
60 Mankannzweifeln,obesnachdenNormenderSchulenüberhaupt
etwas ist. Aber mankannnicht leugnen,daßes sehr schön ist.
Arthur Schnitzler3 ist anders. Er ist ein großer Virtuose, aber
einer kleinen Note. Torresani streut aus reichen Krügen, ohne die
einzelne Gabe zu achten. Schnitzler darf nicht verschwenden. Er
65 muß sparen. Er hat wenig. So will er es denn mit der zärtlichsten
Sorge,miterfinderischerMühe,mitgeduldigemGeizeschleifen,bis
das Geringe durch seine unermüdlichen Künste Adel und Würde
verdient.Waserbringt, istnichtig.Aberwieeresbringt,darfgelten.
Die großen Züge der Zeit, Leidenschaften, Stürme, Erschütterun-
70 gen der Menschen, die ungestüme Pracht der Welt an Farben und
anKlängen ist ihmversagt.Erweiß immernureineneinzigenMen-
schen, ja nur ein einziges Gefühl zu gestalten. Aber dieser Gestalt
gibt er Vollkommenheit, Vollendung. So ist er recht der artiste
nachdemHerzendes»Parnasses«, jenerFranzosen,welcheumden
75 Werth an Gehalt nicht bekümmert, nur in der Fassung Pflicht und
Verdienst der Kunst erkennen und als eitel verachten, was nicht sel-
teneNuance, malendesAdjectiv, gesuchteMetapher ist.
DerMenschdesSchnitzler istderösterreichischeLebemann.Nicht
dergroßeViveur,der international istunddemPariserMusterfolgt,
80 sonderndiewienerischbürgerlicheAusgabezufünfhundertGulden
monatlich, mit dem Gefolge jener gemüthlichen und lieben Weib-
lichkeit, die auf dem Wege von der Grisette zur Cocotte ist, nicht
mehrdasErste,unddasZweitenochnicht.DiesenWinkeldesWie-
nerLebensmit seinenbesonderenSensationen,wosichwunderlich
85 die feinstenSchrulleneiner sehrkünstlichenCulturunddieewigen
Instincte des menschlichen Thieres vermischen, hat er künstlerisch
3 »Alkandi’sLied.«–»Reichthum.«–»Episode.«–»Anatol.«–»DasMärchen.«
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Buch Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931"
Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Titel
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Untertitel
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Herausgeber
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Abmessungen
- 14.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 1010
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
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- 1892 18
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- 1894 64
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- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
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