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216 C Gesellschaft
von „Intelligenz“. In der Diskussion über lernende und selbstständig handelnde
Maschinen wird Intelligenz oftmals als zutiefst menschliche Eigenschaft beschrieben.
Der Einbruch technischer Artefakte in diese Domäne hat noch immer etwas Unerhör-
tes, das das menschliche Selbstverständnis in Frage stellt. Wenn der Mensch die
Krone der Schöpfung ist, muss er selbstverständlich auch die Krone der Intelligenz
sein. Dabei zeigt sich, dass es der Mensch aufgrund seiner Entstehungsgeschichte
gewohnt ist, sich zu anderen intelligenten Wesen zu verhalten. So sind bestimmte
Lebewesen dem Menschen in spezifischen neuronalen Aufgaben, z. B. der Verarbei-
tung visueller Reize, ebenbürtig oder sogar überlegen. Und jede dieser Formen der
Intelligenz hat ihre Daseinsberechtigung und verschwindet nicht angesichts einer
höheren Entwicklungsstufe. Es existiert ein kontinuierlicher Wandel, der von horizon-
taler und vertikaler Vielfalt und Ko-Existenz geprägt ist. Der Mensch schafft sich
somit auch durch die „Entfesselung der KI“ nicht selber ab, sondern verändert sich,
wie er es bereits während seines gesamten Daseins im Wechselverhältnis mit seiner
Umwelt getan hat. Die Intelligenz wandelt sich ebenfalls, sie wechselt das Substrat
von in vivo zu in silica, von Analytik zur Kreativität und so weiter.
So inspirierend dieser Ansatz auch ist, so stößt er hinsichtlich der Analyse von KI und
Gesellschaft auch an Grenzen. Soziale Fragestellungen, wie diejenigen nach Macht-
verhältnissen unter den unterschiedlichen Akteuren innerhalb des Innovationsge-
schehens KI, fallen unter den Tisch. Für eine analytische Beschreibung der Beziehun-
gen zwischen Mensch und KI reicht das Vokabular dieser von der Biologie und ihren
Evolutionsprinzipien inspirierten Perspektive nicht. Zudem verleitet diese Sichtweise
auch zu einem gewissen Fatalismus, der die Geschichte der KI sich selbst überlassen
würde. Wann immer die Rolle der KI in der Gesellschaft, in der Arbeitswelt etc. the-
matisiert wird, ist ein Vergleich mit der Einzigartigkeit des Menschen nicht fern. Tat-
sächlich jedoch ist die meiste KI bei alltäglichen Aufgaben – ohne ihren Wert in
irgendeiner Weise mindern zu wollen – viele Stufen darunter angesiedelt. Es handelt
sich um kleine, beschränkte Aufgaben („tasks“), die keine Singularität, also ein tech-
nisches System mit Bewusstsein, benötigen und folglich auch gar nicht darauf abzie-
len, eine solche zu entwickeln. Es geht vielmehr um ein „Mitdenken“ bei diesen
Aufgaben – also darum, eine Aufgabenstellung zu erkennen, das Vorher und Nach-
her vorausschauend zu vergleichen, sowie Lösungsmöglichkeiten wie Werkzeuge
und Material oder eigene Fähigkeiten, zu überprüfen. Der Anspruch, der universellen
Intelligenz des Menschen zu gleichen, wird dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit eher
selten gefordert sein. Intelligente Maschinen müssen vielmehr Bauteile richtig aus-
wählen und platzieren, Systemparameter in Abhängigkeit von internen und externen
Einflussfaktoren einstellen und Situationen anhand von Indikatoren wie Verkehr oder
Krankheiten erfassen können. Gegenwärtig besteht also weniger die Gefahr, dass
uns die KI in den kommenden Jahren überfordert und überflügelt, sondern vielmehr
darin, dass wir unerfüllbare Erwartungen an die technischen Systeme haben.
Künstliche Intelligenz
Technologie | Anwendung | Gesellschaft
- Title
- Künstliche Intelligenz
- Subtitle
- Technologie | Anwendung | Gesellschaft
- Editor
- Volker Wittpahl
- Publisher
- Springer Vieweg
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-662-58042-4
- Size
- 16.8 x 24.0 cm
- Pages
- 286
- Keywords
- Elektrische Antriebssysteme, Intelligentes Gesamtmaschinenmanagement, Künstliche Intelligenz, Data Mining, Maschinelles Lernen, Deep Learning, artificial intelligence, data mining, machine learning, deep learning
- Category
- Technik
Table of contents
- Vorwort 7
- Inhaltsverzeichnis 15
- A Technologie 18
- B Anwendung 92
- Einleitung: KI ohne Grenzen? 95
- 5. Neue Möglichkeiten für die Servicerobotik durch KI 99
- 6. E-Governance: Digitalisierung und KI in der öffentlichen Verwaltung 122
- 7. Learning Analytics an Hochschulen 142
- 8. Perspektiven der KI in der Medizin 161
- 9. Die Rolle der KI beim automatisierten Fahren 176
- 10. Maschinelle Übersetzung 194
- C Gesellschaft 212
- Ausblick 273
- Anhang 277
- Autorinnen und Autoren 277
- Abkürzungsverzeichnis 286