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Die Wahrnehmung Möbel
Das Möbel ist kulturgeschichtlich, wenn nicht als Teilbereich der Architektur so doch in Zusammenhang
damit zu sehen. Im Laufe der Menschheitsgeschichte waren somit auch Möbel Ausdruck der jeweiligen
Kultur und dem damit verbundenen Lebensstil. Die Möbel der sogenannten einfachen Leute unterschieden
sich grundsätzlich von denen der herrschenden Schichten in ihrer Zweckbestimmung. Die Reduktion auf das
Wesentliche im Sinne einer universellen Gebrauchsfähigkeit zeichnete das Möbel des ‚einfachen Volkes‘ aus.
Es gab Behälter, Sitzgelegenheit, Tisch und Liegestätte und von diesen wenige Varianten, wie etwa Schrank,
Schubladenkasten, Bank, Stuhl, Eßtisch und Bett.
Entsprechend den Fertigungsmöglichkeiten und den material- und funktionsbedingten Gesetzmäßigkeiten
entwickelte sich die Form eines Möbels. Dennoch findet man trotz dieser Reduziertheit auch bei diesen
einfachen Möbeln immer wieder schmückende Elemente. Der reine Gebrauchsgegenstand wurde auf Grund
solcher Zierelemente (Schnitzereien, Bemalungen, Gedrechseltes, …) im Sinne einer ästhetischen Wahrneh-
mung für den Benutzer zu einem besonderen, sinnlich erfahrbaren Stück.
Die Beschränkung auf das Wesentliche, die hier auf Grund von Lebensumständen erfolgte, machten die
Shaker zu ihrem Lebensprinzip, das sich in ihrer Architektur, ihren Möbeln und Gebrauchsgegenständen
manifestierte. Entsprechend diesen Prämissen sind unter anderem ihre Möbel ausschließlich von deren
Nützlichkeit bestimmt. Ein reichhaltiges Wissen über das Material Holz, die entsprechenden Verarbeitungs-
techniken und der bewußte Umgang damit, sowie die genaue Beobachtung von alltäglichen Lebens-
abläufen, spiegelt sich in den einzelnen Möbel wieder. Die geistige wie handwerkliche Sensibilität aus
der diese Möbel entstanden, generiert ihre ästhetische Qualität.
Funktionalität und wirtschaftliche Konstruktionstechnik in Verbindung mit industrieller Fertigung sind
Entwurfskriterien der Moderne. Die Auseinandersetzung mit ‚modernen Wohnformen‘ für die Allgemeinheit,
brachte eine Reihe von ‚Typenmöbel‘ hervor. Das propagierte Lebensgefühl von Freiheit, Licht und Luft wird
trotz der funktionsorientierten Ideologie über eine ästhetische Ebene vermittelt. Glänzende Metallrohre und
Glas, deutlich vom Boden abgehobene Korpusmöbel, glatte, meist helle Oberflächen, leichte Beweglichkeit,
etc. sind gestalterische Mittel zur Vermittlung sinnlicher Wahrnehmung. Der Versuch der Moderne durch die
Architektur eine Lebenshaltung zu vermitteln, die Allgemeingültigkeit hat, ist jedoch gescheitert. Gescheitert
vor allem im Sinne einer Auflösung sozialer Hierarchien durch die moderne Architektur. Anstelle dessen
beobachten wir das Phänomen, dass heute sowohl der Geldadel als auch die Arbeiter- und Mittelschicht ihre
ästhetischen Bilder vornehmlich in einer monarchistischen Vergangenheit suchen.
Die elementaren Grundbedürfnisse des Menschen – Essen, Lieben, Schlafen – sind verwurzelt in archaischen
Tiefen des Bewusstseins und damit eng verknüpft mit überlieferten Werten und Wertigkeiten. Die Verschie-
bung dieser Wertigkeiten geschieht langsam und minimal. Im sozialen Kontext sind meist tradierte, bürger-
liche Wertvorstellungen ausschlaggebend, wie man wohnt oder zu wohnen hat. Die dennoch vorhandene
Heterogenität und Meinungsvielfalt entsteht durch projizierte Wunschvorstellungen, verschiedene Lebens-
haltungen oder soziales Prestige.
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book AMM ArchitektInnen machen Möbel"
AMM ArchitektInnen machen Möbel
- Title
- AMM ArchitektInnen machen Möbel
- Author
- Judith Augustinovic
- Publisher
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-681-9
- Size
- 14.8 x 25.0 cm
- Pages
- 104
- Keywords
- Architektur, Möbel, Sessel, Tische, Stühle, Holz, Nachhaltigkeit
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort | Irmgard Frank 7
- amm ist gestalterische Haltung und Bekenntnis zu Qualität | Judith Augustinovic 8
- Lilli Hollein 11
- Eva Guttmann 12
- Eberhard Schrempf 13
- Gebhart Blazek 14
- Marion Kuzmany 15
- Thomas Benz 16
- Marina Hämmerle 17
- Ursula Diefenbach und Christoph Adametz 19
- Die Wahrnehmung Möbel | Irmgard Frank 20
- Entwurf und Werkstück 27
- ‚Der Baum wächst nach oben.‘ 31
- Wintersemester 2018|19 . Anna-Lülja Praun Möbelwettbewerb 32
- Eugen Gross 33
- Antje Senarclens de Grancy 34
- Markus Bogensberger 35
- KARLI und Eugen Gross 37
- amm Möbel 38
- Austrian Interior Design Award 2018 57
- Präsentationen – Ausstellungen – Messen 58
- Positionen der Studierenden 64
- An den Hobelbänken 68
- Sommersemester 2019 . Handwerk trifft Design 72
- Paul Streit 76
- Margret Rausch 78
- Johannes Wohofsky 79
- TeilnehmerInnen seit 2017 91
- Chronologie 101
- Impressum 102