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Die Briefe des Zurückgekehrten
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Laufbrunnen in Gebhartsstetten zurückzaubern konnte, so war ich in Deutschland alle die Male, wo in Uruguay oder in Kanton oder zuletzt auf den Inseln mir irgend etwas die Seele traf, es brauchte nur der Blick eines der unglaublich schönen Mädchen zu sein, wie sie auf den einsamen Gehöften der Gauchos aufwachsen, oder die rührende Genügsamkeit eines alten Chinesen, oder kleine gelbbraune nackte Kinder im Teich vor dem Dorf. Denn man erlebt viel, aber das meiste tun die Sinne ab, oder die Nerven und der Wille, oder der Verstand, aber was die Seele treffen wird, das läßt sich nicht vorausahnen, es kann der einsame schwingende Flug eines tropischen Vogels sein über einem ganz leeren, leierförmig geöffneten Bergtal, oder das Arbeiten eines guten Schiffes unter einer schweren See, oder der Blick eines sterbenden Affen, oder ein braver kurzer Händedruck. Diese Dinge alle, wenn sie kamen und ins Innre des Innern trafen, redeten von Deutschland mit einer Deutlichkeit und Kraft, die weit über dieser ist, mit der diese Schriftzeichen Dir von mir reden. Vielmehr, wenn ein solches mich traf, so war ich in Deutschland. Das alles ist, wie es ist, und es ist nichts von Träumerei dabei. Jedennoch – in zwei Wochen fahre ich nach Gebhartsstetten und kann so ziemlich sicher sein, den Laufbrunnen wiederzufinden mit der friedlichen Jahreszahl 1776 in verschnörkelten theresianischen Chiffern – da wird er stehen und mich anrauschen, und der alte, schiefe, vom Blitz gespaltene Nußbaum, der immer am spätesten von allen Bäumen seine Blätter bekam und am unwilligsten von allen sie dem Winter preisgab, der wird in all seiner Schiefheit und seinem Alter irgendwie ein Zeichen geben, daß er mich erkennt und daß ich nun wieder da bin und er da ist, wie immer –, aber da bin ich nun vier Monate in Deutschland, und kein Haus, kein Fleck Erde, kein geredetes Wort, kein menschliches Gesicht, wenn ich ehrlich sein soll, keines, hat mir dies kleine Zeichen gegeben. Dies Deutschland, in dem ich herumfahre, handle, abwickle, mit Leuten esse, den kosmopolitischen Geschäftsmann, den fremden, welterfahrenen Herrn agiere – wo war ich jedesmal, wenn ich in dem Land zu sein meinte, das man durch den Spiegel der Erinnerung betritt, wo war ich in den Augenblicken, wo nur mein Leib unter den Gauchos oder unter den Maoris herumwandelte? Wo war ich? Nun da dies Deutschland ist, so war ich nicht in Deutschland. Und dennoch, ich nannte es in mir Deutschland. Es war geradewegs der Spiegel der wehmütigen Erinnerung, durch den ich es betrat – wenn ich es betreten durfte. Es war – es waren Männer und Frauen, Mädchen, Greise und Jünglinge. Es war mehr eine Ahnung als eine Gegenwart, wie das Herüberwehen des Seelenhaftesten, des Wesenhaftesten und des Ungreifbarsten. Es war der geistigste Reflex – wie nichtssagend ist das Wort für ein Erlebnis, eine innere Krise, die jedesmal stärker war als Wollust und reiner, zarter, begrenzt und bestimmt als ein einfaches, der Erhörung sicheres kindliches Gebet –, der Reflex zahlloser ineinander verflochtener Lebensmöglichkeiten. Es war der 8
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Die Briefe des Zurückgekehrten
Title
Die Briefe des Zurückgekehrten
Author
Hugo von Hofmannsthal
Location
Berlin
Date
1907
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
27
Keywords
Briefnovelle
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Der Erste 5
  2. Der Zweite 10
  3. Der Dritte 14
  4. Der Vierte 18
  5. Der Fünfte 24
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