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zarteste Duft eines ganzen Daseins, des deutschen Daseins. Besser kann ich es
Dir nicht sagen, so gerne ich möchte. Das einzelne, der Anstoß kam von
außen. Ich war nur wie die Klaviatur, auf der eine fremde Hand spielt. Aber in
mir lag etwas, ein Gewoge, ein Chaos, ein Ungeborenes, und daraus konnten
Figuren aufsteigen, und das waren deutsche Figuren. Es war
Mädchenhaftigkeit und alten Mannes Wesen, es war Behagen und
Seßhaftigkeit und wiederum gräßliche Armut ohne ein Strohdach über ihrem
Kopf; es war Jünglingsdasein und grenzenlose Freundschaft, grenzenlose
Hoffnung; starrende Einsamkeit, bleiches Gesicht, aufgedreht zu den
schweigenden Sternen; es war Liebesleben, Bangen, Warten, Wartenlassen,
Einanderquälen, Einanderumschlingen, Jungfräulichkeit und hingegebene
Jungfräulichkeit; es war einen Acker haben, ein Haus haben, Kinder haben,
Kinder badend im Bach, badend unter Pappeln, unter Weiden; es war
Geselligkeit und Einsamkeit, Freundschaft, Zärtlichkeit, Haß, Leid, Glück,
letztes Bette, letztes Daliegen und Sterben. Deutsche Figuren waren es, die
sich zu diesen Zauberbildern zusammenballten – nein, es war mehr ein
Hauch, als daß es Bilder gewesen wären – und gleich wieder
auseinanderflossen, deutsche sparsame Gebärden, ich weiß nicht was vom
innersten Wesen der Heimat. Ihr Starkes und ihr Schwaches, ihr Rauhes und
ihr Sanftes kam gleichzeitig zu mir, und ich konnte es genießen, träumend
vom Verlorenen oder vorahnend, vorwegnehmend Freuden der Wirklichkeit,
vorbehalten, wie ich mir schmeichelte. Und jedes ihrer Geschöpfe, das mir
erschien – nein, denn ich bin kein Visionär und meine Geschäfte gestatteten
mir keine Halluzinationen –, dessen Seelenhauch als eine flüchtigste
Möglichkeit köstlicher zukünftiger Begegnung mich anwehte, jedes
Frauenbild und Bild von Greis und Mann und Jüngling, reichem Mann und
armem Lazarus, jedes war aus einem Guß und vertrug die innere Wahrheit,
daran ich es maß. The whole man must move at once – und so waren sie, ob
es Mädchen waren mit Taubenblick oder unstete Männer, die Augen trunken
von grenzenlosen Gedanken, oder verzeihende Greise und zürnende Richter
mit Brauen des Löwen. Sie waren aus einem Guß. In einer Gebärde
erschienen sie mir, und keiner blieb länger bei mir als die Dauer eines
aufzuckenden und erlöschenden Blitzes, denn ich bin kein Tagträumer und
führe keinen Dialog mit den Ausgeburten meiner Einbildungskraft. Aber in
ihrereinen Gebärde, in der sie an mich heran- und durch mich
hindurchwehten, waren sie ganz. In jedem Blick ihrer Augen, in jedem
Krümmen ihrer Finger waren sie ganz. Sie waren nicht von denen, deren
rechte Hand nicht weiß, was die linke tut. Sie waren eins in sich selber. Und
das – oder es müßte mich seit vier Monaten bei offenen Augen der
bösartigste, vielteiligste, zäheste aller bösen Träume narren –, das sind die
heutigen Deutschen nicht.
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Die Briefe des Zurückgekehrten
- Title
- Die Briefe des Zurückgekehrten
- Author
- Hugo von Hofmannsthal
- Location
- Berlin
- Date
- 1907
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 27
- Keywords
- Briefnovelle
- Categories
- Weiteres Belletristik