Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Weiteres
Belletristik
Die Briefe des Zurückgekehrten
Page - 16 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 16 - in Die Briefe des Zurückgekehrten

Image of the Page - 16 -

Image of the Page - 16 - in Die Briefe des Zurückgekehrten

Text of the Page - 16 -

Kirche selber, und die immer dämmernden Ecken in den großen Stuben der großen Bauernhöfe, wo die Urgroßmutter oder ein gelähmter Alter saßen, oder noch zu sitzen schienen, wenn wir sie auch im vergangenen Herbst begraben hatten und Asternkränze, weiß, lila und rot, auf den Sarg geworfen. Das Gehaben jener mit den überstarken Gebärden, die nicht mehr da waren, ging doch zusammen mit dem Gehaben derer, mit denen ich aß und trank und in den Birnbaum stieg und die Pferde schwemmte und zur Kirche ging, so wie die alten Geschichten von Räubern, Einsiedlern und Bären zusammengingen mit der Landschaft, so wie die Legende von der Pfalzgräfin Genovefa in mir zusammenging mit dem blonden Engelsgesicht der schönen Fleischhauerstochter Amalie. Es war alles anders in den alten Bildern als in der Wirklichkeit vor meinen Augen: aber es klaffte kein Riß dazwischen. Jene alte Welt war frommer, erhabener, milder, kühner, einsamer. Aber im Wald, in der Sternennacht, in der Kirche führten Wege zu ihr. Die Geräte waren nicht die gleichen, die Trachten waren sonderbar und die Gebärden waren über die Wirklichkeit. Aber ich weiß nicht welches Tiefste im Gehaben, das noch hinter den Gebärden ist: das Verhältnis zur Natur, daß ich es mit einem solchen dürren Worte sage, das Verhältnis zum Leben: wieweit es Entgegenstemmen ist und wieweit Sichfügen, wo Auflehnung hingehört und wo Ergebung, wo Gleichmut am Platze ist und eine trockene Rede und wo Übermut und Lustbarkeit: dies Wesentliche, dies Wirkliche hinter dem Alltäglichen, dies was die schlichten Handlungen des Tages aus dem Menschen heraustreibt, wie es aus dem Baum sein Rauhes und sein Süßes hervortreibt, Rinde und Blatt und Apfel – dies, dies hat meine Welt, wie jene Blätter es wissen, das weiß ich heute und wußte es damals: denn es lag in mir, daß ich das Wirkliche an etwas in mir messen mußte, und fast bewußtlos maß ich an jener schreckhaft erhabenen schwarzen Zauberwelt und strich alles an diesem Probierstein, ob es Gold wäre oder ein schlechter gelblicher Glimmer. Und vor den Richterstuhl dieser Kindereien, von denen ich im Innersten nicht loskann, schleppe ich das große Deutschland und die Deutschen des heutigen Tages, und sehe, daß sie mir nicht bestehen, und komme nicht darüber hinweg. Ich meinte, heimzufahren, und für immer, und nun weiß ich nicht, ob ich bleiben werde. Hättest Du noch Deinen überseeischen Posten und nicht London, wo ich nicht sein möchte – kann sein, ich käme zu Dir, mein Lieber. Denn ich habe wenig Menschen auf der Welt – »wenig« ist eine Beschönigung, ich habe niemanden. Es ist das erstemal eigentlich, daß mir dies so auf die Seele fällt. Und ich möchte in diesem Deutschland nicht sterben. ich weiß, ich bin nicht alt und bin nicht krank – aber wo man nicht 16
back to the  book Die Briefe des Zurückgekehrten"
Die Briefe des Zurückgekehrten
Title
Die Briefe des Zurückgekehrten
Author
Hugo von Hofmannsthal
Location
Berlin
Date
1907
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
27
Keywords
Briefnovelle
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Der Erste 5
  2. Der Zweite 10
  3. Der Dritte 14
  4. Der Vierte 18
  5. Der Fünfte 24
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Die Briefe des Zurückgekehrten