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körperlicher. Ich konnte dann ans Fenster treten und ganz dasselbe mit drei
oder vier Droschken erleben, die an der andern Straßenseite standen und
warteten. Sie waren Gespenster von Droschken. Es verursachte eine fast
dauerlose leise Übelkeit, sie anzusehen: es war wie ein momentanes
Schweben über dem Bodenlosen, dem Ewig-Leeren. Etwas Ähnliches – Du
kannst denken, daß ich auf diese vorbeizuckenden Regungen nicht stark
achtete – konnte der Anblick eines Hauses herbeiführen, oder einer ganzen
Straße: Du darfst aber nicht etwa an verfallene traurige Häuser denken,
sondern das Allertrivialste von heutigen oder gestrigen Fassaden. Oder auch
ein paar Bäume, diese dürftigen, aber sorgfältig gepflegten paar Bäume, die
sie hier und da auf ihren Squares zwischen dem Asphalt, geschützt mit
Gittern, stehen haben. Ich konnte sie ansehen und wußte, daß sie mich an
Bäume erinnerten – keine Bäume waren –, und zugleich zitterte etwas durch
mich hin, etwas, das mir die Brust entzwei teilte wie ein Hauch, ein so
unbeschreibliches Anwehen des ewigen Nichts, des ewigen Nirgends, ein
Atem nicht des Todes, sondern des Nicht-Lebens, unbeschreiblich. Dann kam
es auf der Eisenbahn, öfter und öfter. Ich fuhr in diesen vier Monaten sehr viel
Eisenbahn, von Berlin an den Rhein, von Bremen nach Schlesien und kreuz
und quer. Da konnte es sich einstellen, in der trivialsten Beleuchtung, um
3 Uhr nachmittags, wann immer: kleine Stadt links oder rechts vom Gleis,
oder Dorf oder Fabrik, oder die ganze Landschaft, Hügel, Felder,
Apfelbäume, verstreute Häuser, alles in allem; das nahm ein Gesicht an, eine
eigene zweideutige Miene so voll innerer Unsicherheit, bösartiger
Unwirklichkeit: so nichtig lag es da – so gespensterhaft nichtig – Mein
Lieber, ich habe dritthalb Monate meines Lebens in einem Käfig verbracht,
der keine andere Aussicht hatte als auf einen leeren Pferch mit mannshoch
aufgespeichertem halbgetrocknetem Büffelmist, zwischen dem eine kranke
Büffelkuh sich herumschleppte, bis sie endlich nicht mehr herumgehen
konnte und zwischen Leben und Sterben dalag: aber dennoch, in dem Pferch,
in dem gelbgrauen Haufen von Mist und dem gelbgrauen sterbenden Vieh,
wenn ich da hinaussah, und wenn ich daran zurückdenke – es wohnte doch
immer noch das Leben dort, das gleiche, das in meiner Brust auch wohnt –,
und in der Welt, in die ich da momentweise aus dem Eisenbahnfenster
hineinschauen kann, da wohnt etwas – mich hat nie vor dem Tod gegraut,
aber vor dem, was da wohnt, vor solchem Nichtleben grauts mich. Aber es ist
sicherlich nichts weiter, als daß ich manchmal ein wenig den bösen Blick
habe, eine Art leiser Vergiftung, eine verborgene und schleichende Infektion,
die in der europäischen Luft für den bereitzuliegen scheint, der von weither
zurückkommt, nachdem er sehr lange, vielleicht zu lange, fort war. Daß mein
Übel europäischer Natur war, dessen wurde ich mir – es ist in diesen Dingen
alles die unerklärlichste plötzlichste Intuition – im gleichen Augenblick
bewußt, als ich innewurde, daß es sich mir nun aufs innere geschlagen hatte,
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Die Briefe des Zurückgekehrten
- Title
- Die Briefe des Zurückgekehrten
- Author
- Hugo von Hofmannsthal
- Location
- Berlin
- Date
- 1907
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 27
- Keywords
- Briefnovelle
- Categories
- Weiteres Belletristik