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der Wesenlosigkeit entgegenhob, daß ich fühlte, nein, daß ich wußte, wie
jedes dieser Dinge, dieser Geschöpfe aus einem fürchterlichen Zweifel an der
Welt heraus geboren war und nun mit seinem Dasein einen gräßlichen
Schlund, gähnendes Nichts, für immer verdeckte! Wie kann ich es Dir nur zur
Hälfte nahebringen, wie mir diese Sprache in die Seele redete, die mir die
gigantische Rechtfertigung der seltsamsten unauflösbarsten Zustände meines
Innern hinwarf, mich mit eins begreifen machte, was ich in unerträglicher
Dumpfheit zu fühlen kaum ertragen konnte, und was ich doch, wie sehr fühlte
ich das, aus mir nicht mehr herausreißen konnte – und hier gab eine
unbekannte Seele von unfaßbarer Stärke mir Antwort, mit einer Welt mir
Antwort! Mir war zumut wie einem, der nach ungemessenem Taumel festen
Boden unter den Füßen fühlt und um den ein Sturm rast, in dessen Rasen
hinein er jauchzen möchte. In einem Sturm gebaren sich vor meinen Augen,
gebaren sich mir zuliebe diese Bäume, mit den Wurzeln starrend in der Erde,
mit den Zweigen starrend gegen die Wolken, in einem Sturm gaben diese
Erdrisse, diese Täler zwischen Hügeln sich preis, noch im Wuchten der
Felsblöcke war erstarrter Sturm. Und nun konnte ich, von Bild zu Bild, ein
Etwas fühlen, konnte das Untereinander, das Miteinander der Gebilde fühlen,
wie ihr innerstes Leben in der Farbe vorbrach und wie die Farben eine um der
andern willen lebten und wie eine, geheimnisvollmächtig, die andern alle
trug, und konnte in dem allem ein Herz spüren, die Seele dessen, der das
gemacht hatte, der mit dieser Vision sich selbst antwortete auf den
Starrkrampf der fürchterlichsten Zweifel, konnte fühlen, konnte wissen,
konnte durchblicken, konnte genießen Abgründe und Gipfel, Außen und
Innen, eins und alles im zehntausendsten Teil der Zeit als ich da die Worte
hinschreiben und war wie doppelt, war Herr über mein Leben zugleich, Herr
über meine Kräfte, meinen Verstand, fühlte die Zeit vergehen, wußte, nun
bleiben nur noch zwanzig Minuten, noch zehn, noch fünf, und stand draußen,
rief einen Wagen, fuhr hin.
Konferenzen von der Art, wo die Größe der Ziffern an die Phantasie
appelliert und das Vielerlei, das Auseinander der Kräfte, die ins Spiel
kommen, eine Gabe des Zusammensehens fordert, entscheidet nicht die
Intelligenz, sondern es entscheidet sie eine geheimnisvolle Kraft, für die ich
keinen Namen weiß. Sie ist manchmal bei den Klügeren, nicht immer. Sie war
in dieser Stunde bei mir, so wie noch nie, und wie sie es vielleicht nicht
wieder sein wird. Ich konnte für meine Gesellschaft mehr erreichen, als das
Direktorium mir für den denkbar günstigsten Fall aufgelegt hatte, und ich
erreichte es, wie man im Traum von einer kahlen Mauer Blumen abpflückt.
Die Gesichter der Herren, mit denen ich verhandelte, kamen mir merkwürdig
nahe. Ich könnte dir einiges über sie sagen, das mit dem Gegenstand unserer
Geschäfte auch nicht im fernsten Zusammenhang steht. Ich merke nun, daß
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Die Briefe des Zurückgekehrten
- Title
- Die Briefe des Zurückgekehrten
- Author
- Hugo von Hofmannsthal
- Location
- Berlin
- Date
- 1907
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 27
- Keywords
- Briefnovelle
- Categories
- Weiteres Belletristik