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6Kapitel
Der Onkel - Leni
Eines Nachmittags - K. war gerade vor dem Postabschluß sehr beschäftigt -
drängte sich zwischen zwei Dienern, die Schriftstücke hineintrugen, K.s
Onkel Karl, ein kleiner Grundbesitzer vom Lande, ins Zimmer. K. erschrak
bei dem Anblick weniger, als er schon vor längerer Zeit bei der Vorstellung
vom Kommen des Onkels erschrocken war. Der Onkel mußte kommen, das
stand bei K. schon etwa einen Monat lang fest. Schon damals hatte er ihn zu
sehen geglaubt, wie er, ein wenig gebückt, den eingedrückten Panamahut in
der Linken, die Rechte schon von weitem ihm entgegenstreckte und sie mit
rücksichtsloser Eile über den Schreibtisch hinreichte, alles umstoßend, was
ihm im Wege war. Der Onkel befand sich immer in Eile, denn er war von dem
unglücklichen Gedanken verfolgt, bei seinem immer nur eintägigen
Aufenthalt in der Hauptstadt müsse er alles erledigen können, was er sich
vorgenommen hatte, und dürfe überdies auch kein gelegentlich sich
darbietendes Gespräch oder Geschäft oder Vergnügen sich entgehen lassen.
Dabei mußte ihm K., der ihm als seinem gewesenen Vormund besonders
verpflichtet war, in allem möglichen behilflich sein und ihn außerdem bei sich
übernachten lassen. »Das Gespenst vom Lande« pflegte er ihn zu nennen.
Gleich nach der Begrüßung - sich in den Fauteuil zu setzen, wozu ihn K.
einlud, hatte er keine Zeit - bat er K. um ein kurzes Gespräch unter vier
Augen. »Es ist notwendig«, sagte er, mühselig schluckend, »zu meiner
Beruhigung ist es notwendig.« K. schickte sofort die Diener aus dem Zimmer,
mit der Weisung, niemand einzulassen. »Was habe ich gehört, Josef?« rief der
Onkel, als sie allein waren, setzte sich auf den Tisch und stopfte unter sich,
ohne hinzusehen, verschiedene Papiere, um besser zu sitzen. K. schwieg, er
wußte, was kommen würde, aber, plötzlich von der anstrengenden Arbeit
entspannt, wie er war, gab er sich zunächst einer angenehmen Mattigkeit hin
und sah durch das Fenster auf die gegenüberliegende Straßenseite, von der
von seinem Sitz aus nur ein kleiner, dreieckiger Ausschnitt zu sehen war, ein
Stück leerer Häusermauer zwischen zwei Geschäftsauslagen. »Du schaust aus
dem Fenster!« rief der Onkel mit erhobenen Armen, »um Himmels willen,
Josef, antworte mir doch! Ist es wahr, kann es denn wahr sein?« »Lieber
Onkel«, sagte K. und riß sich von seiner Zerstreutheit los, »ich weiß ja gar
nicht, was du von mir willst.« »Josef«, sagte der Onkel warnend, »die
Wahrheit hast du immer gesagt, soviel ich weiß. Soll ich deine letzten Worte
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155