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9Kapitel
Im Dom
K. bekam den Auftrag, einem italienischen Geschäftsfreund der Bank, der für
sie sehr wichtig war und sich zum erstenmal in dieser Stadt aufhielt, einige
Kunstdenkmäler zu zeigen. Es war ein Auftrag, den er zu anderer Zeit gewiß
für ehrend gehalten hätte, den er aber jetzt, da er nur mit großer Anstrengung
sein Ansehen in der Bank noch wahren konnte, widerwillig übernahm. Jede
Stunde, die er dem Büro entzogen wurde, machte ihm Kummer; er konnte
zwar die Bürozeit bei weitem nicht mehr so ausnutzen wie früher, er brachte
manche Stunden nur unter dem notdürftigsten Anschein wirklicher Arbeit hin,
aber desto größer waren seine Sorgen, wenn er nicht im Büro war. Er glaubte
dann zu sehen, wie der Direktor-Stellvertreter, der ja immer auf der Lauer
gewesen war, von Zeit zu Zeit in sein Büro kam, sich an seinen Schreibtisch
setzte, seine Schriftstücke durchsuchte, Parteien, mit denen K. seit Jahren fast
befreundet gewesen war, empfing und ihm abspenstig machte, ja vielleicht
sogar Fehler aufdeckte, von denen sich K. während der Arbeit jetzt immer aus
tausend Richtungen bedroht sah und die er nicht mehr vermeiden konnte.
Wurde er daher einmal, sei es in noch so auszeichnender Weise, zu einem
Geschäftsweg oder gar zu einer kleinen Reise beauftragt - solche Aufträge
hatten sich in der letzten Zeit ganz zufällig gehäuft -, dann lag immerhin die
Vermutung nahe, daß man ihn für ein Weilchen aus dem Büro entfernen und
seine Arbeit überprüfen wolle oder wenigstens, daß man im Büro ihn für
leicht entbehrlich halte. Die meisten dieser Aufträge hätte er ohne
Schwierigkeit ablehnen können, aber er wagte es nicht, denn, wenn seine
Befürchtung auch nur im geringsten begründet war, bedeutete die Ablehnung
des Auftrags Geständnis seiner Angst. Aus diesem Grunde nahm er solche
Aufträge scheinbar gleichmütig hin und verschwieg sogar, als er eine
anstrengende zweitägige Geschäftsreise machen sollte, eine ernstliche
Verkühlung, um sich nur nicht der Gefahr auszusetzen, mit Berufung auf das
gerade herrschende regnerische Herbstwetter von der Reise abgehalten zu
werden. Als er von dieser Reise mit wütenden Kopfschmerzen zurückkehrte,
erfuhr er, daß er dazu bestimmt sei, am nächsten Tag den italienischen
Geschäftsfreund zu begleiten. Die Verlockung, sich wenigstens dieses eine
Mal zu weigern, war sehr groß, vor allem war das, was man ihm hier
zugedacht hatte, keine unmittelbar mit dem Geschäft zusammenhängende
Arbeit, aber die Erfüllung dieser gesellschaftlichen Pflicht gegenüber dem
Geschäftsfreund war an sich zweifellos wichtig genug, nur nicht für K., der
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155