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712.
Herkunft und Ausbildung
gewesen war. Er blieb aber nicht lange in Paris und ich sah ihn dann in Wien
als Schwerkranken. Wiethe hatte übrigens nicht mich erwartet. Ich stieg zuerst
wegen des billigen Preises in einem der Studentenhotels in der Rue des écoles
im Quartier latin ab. Jeder der Studenten hatte sein Mädchen bei sich wohnen
und diese Mädchen, gewöhnlich Näherinnen und dergleichen, speisten auch
immer bei der Table d’ hôte mit. Dies hätte mich wohl nicht geniert, wohl
aber der entsetzliche Schmutz im Hotel, der mich dasselbe nach einigen Tagen
verlassen ließ. Ich fand ein hübsches Mansardenzimmer in einer benachbarten
Straße bei einer Witwe. Entlang dem obersten Stockwerk geht bei den Pariser
Häusern ein Balkon, auf den sich die Glastüren der Mansarden, welche keine
Fenster, sondern nur Türen haben, öff nen. Der zu jedem Zimmer gehörige
Teil des Balkons war von den Nachbarbezirken nur durch ein paar leicht zu
überschreitende Blumenstöcke abgegrenzt und so entwickelte sich des Abends
immer eine lebhafte Promenade auf dem Balkon, wahrscheinlich mit Austausch
der Mädchen. Als zu mir keine einzog, fragte mich die Witwe sehr erstaunt,
warum ich allein bleibe.
Ich machte dann an einer der Kliniken die Bekanntschaft des Dr. Oeller 312,
der auch zu Studienzwecken nach Paris gekommen war. Er wurde später
Professor in Erlangen. Wenn die Franzosen hörten, daß er ein Bayer sei, waren
sie wenig liebenswürdig, da sich im Jahre 1870-71, während des Krieges, die
bayrischen Regimenter besonders gefürchtet gemacht hatten, während sie mich als
Österreicher herausstrichen.
Es gab damals in Paris noch keine Universitäts-Augenklinik, nur Privat-
kliniken, welche alle klein, eng und schmutzig waren. Die von Wecker, einem
Frankfurter Juden, der noch immer sein Frankfurter Französisch sprach, war die
besuchteste. Er hatte ein großes Ambulatorium und ließ die operierten Katarakten
nach der Operation im Omnibus in ihre Wohnung fahren. Eines Tages empfahl
er einem Kranken, der eine noch ganz unreife Katarakt an einem Auge hatte,
während das andere noch gut war, dringend die Operation. Auf meine Frage auf
deutsch, warum er nicht lieber damit noch warte, sagte er: „Nun, weil sonst mein
Kollege sie operieren würde.“
Einmal operierte er einen Jungen mit Tenotomie 313, ohne Narkose und
natürlich auch ohne Kokain, das noch nicht bekannt war. Der Junge schrie
jämmerlich. Es war Hochsommer, die Fenster nach der Straße waren off en
(die Klinik war zur ebenen Erde) und das Geschrei ließ allmählich eine
Menschenmenge ansammeln, welche die Straße blockierte. Ich fragte Wecker,
ob ich nicht das Fenster schließen solle, damit man das Schreien weniger höre,
worauf er erwiderte: „Im Gegenteil, das Schreien ist die beste Reklame für mich,
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Ernst Fuchs (1851-1930)
und die Weltgeltung der Wiener Ophthalmologischen Schule um 1900
Eine biografische Dokumentation mit Ergänzungen und Erläuterungen
- Title
- Ernst Fuchs (1851-1930)
- Subtitle
- und die Weltgeltung der Wiener Ophthalmologischen Schule um 1900
- Author
- Gabriela Schmidt-Wyklicky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8602-1
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 696
- Category
- Biographien
Table of contents
- Biografi sches Selbstzeugnis 19
- Herkunft und Ausbildung 41
- Professor an der Universität Lüttich/Liège 1881-1885 129
- Die Gründung der II. Universitäts-Augenklinik in Wien 1883 und die Berufung von Ernst Fuchs 1885 175
- Klinikaufbau, Lehr-und Forschungstätigkeit als Ordinarius an der Wiener Medizinischen Fakultät 1885 bis 1915 219
- Das Lehrbuch von 1889. 18 Aufl agen in deutscher Sprache bis 1945. Übersetzungen und weltweite Verbreitung 263
- Die Beschreibung neuer anatomischer Strukturen und Krankheitsbilder durch Ernst Fuchs und ihre histologische Fundierung anhand seiner Präparatesammlung 295
- Die „Fuchs-Bibliothek“ 403
- Akademische Feiern, Würdigungen und Ehrungen zum 70. Geburtstag von Ernst Fuchs am 14. Juni 1921 415
- Ernst Fuchs als innovativer Ophthalmochirurg und Erfi nder neuer Instrumente 445
- Schwerpunkte seiner internationalen Lehrtätigkeit – Itinerarium academicum in Auswahl: USA, Japan, China 473
- Lebensausklang, Vermächtnis und Nachruhm 525
- Verzeichnis der gedruckten Arbeiten 541
- Helmut Wyklicky†: Ernst Fuchs und seine Zeit (bisher nicht publizierter Vortrag, Salzburg 1981) 565
- I Literaturverzeichnis 577
- II Chronologische Bibliografi e zu Ernst Fuchs 645
- III Verzeichnis der Abbildungen, Bildlegenden und Bildnachweis 653
- IV Personenregister 663