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Tagebuch 1923
ganz konstruiertes Stück – aber einige witzige Situationen im 2. u. 3. Akt. Mäßig
gespielt
– aber ein Kind von etwa 10 Jahren, in d. Bewegungen wie die kleine Gropius,
auch in der Sprache
– glänzend.142
24.XI.
Mein Sketch ist fertig. Ich glaub, der Schluß ist verhaut. Jetzt will ich aber erst ein
bisserl Distanz gewinnen. Frau Conrad-Billroth leiht unter den von mir (d. h. Haber-
ditzl) vorgeschlagenen Bedingungen den Krüger ins obere Belvedere.143
25.XI.
Gestern nachmittag bei Ehrlich, der statt meine Zeichnung auszubessern eine Ra-
dierung (auf Kupfer) machte und dann eine Zeichnung, die aber nicht fertig wurde,
da ich zu Frapparts zur Stunde mußte. Hans hat gestern dem Minister einen Brief
geschrieben, er ist doch seit 6 Wochen zur Ladung gemeldet u. d. Minister braucht
immer Ausreden u. empfängt ihn nicht. Das muß den Grund haben „daß d. Minister
mit d. Amtsführung nicht zufrieden“ ist ; daß Anschuldigungen gegen ihn vorlie-
gen – er ersucht, ihm Gelegenheit zu einer Rechtfertigung zu geben. Am Abend
zeigt Hans uns (Stoffel u. mir) das Buch Alt-Wien, dessen erstes Exemplar er gestern
bei Schroll bekam. Anderl erzählte mir unlängst : Das ist so schön, wenn ich in der
Früh lang im Bett liege, da hör ich immer zu, wie die Vögel in der Veitsch hin- u. her
schlüpfen. Das rieselt so nett
…
–144
Und heut sagt er : Wieso kommt es : wenn in einer Klasse voll Buben ein einziges
Mädel ist, so wird es verehrt – u. wenn in einer Klasse voll Mädeln ein einziger Bub
ist, so wird er ausgelacht ? !
–
26.XI.1923
Also gestern war Stoffels 2. großes Fest mit Minka u. Giserl – u. Frau Prof. Dvorak,
die wir dann gegen 6h zu Fannina Halle mitnahmen. Dort war Riesengesellschaft,
Kieslers, Neurath, Eidlitz, Csokor, Menczel, Steiners, Laske, Ehrlich, Wallerstein
(Berlin), Strnad etc. Fannina wollte immer eine kunstschmuserische Diskussion* he-
raufbeschwören
– anschließend an Hans’ letzten Vortrag
– Hans hat sich aber gewei-
gert – Sie wollte aber doch immer „zusammenfassen“ u. so mußte erst Csokor vorle-
sen (Rote Straße
– dann zwei Bilder aus einem neuen Stück) u. dann Eidlitz eine sehr
schöne Novelle „Wladimir“. Ich habe dann mit Eidlitz gesprochen u. ihm erzählt,
daß ich vor ein paar Tagen dem Bach eine Novelle mit einem verwandten Problem
(Rückkehr vom Tode
– ich meine die Legende vom Jüngling, der vom Tode gekostet)
geschickt habe. Eidlitz : „Sind sie die Erica Tietze ?“ (Ich sag ja) „Ich habe Bach vor 3
Tagen gesprochen, er hat mich angepackt und mir von der Novelle vorgeschwärmt –
* intimes Gerede über Kunst
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien