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Tagebuch 1924
Und halten’s nicht
–
Und eine Stimme küßt das erste Du.
Erst bei Ehrlich, die Radierung Vronis für Hans’ Amtszimmer abgeholt. Dort Ra-
paport gesprochen, der mir von einer Besprechung meiner Vorlesung in d. Arbeiter-
zeitung Mitteilung machte. Dann die Blätter angesehen, die Hans und Rathe für die
Gesellschaft gewählt hatten. Darunter ein wundervoller Halbakt eines Mädchens. Da
diese in persona aber anwesend war (mit einem Freund) u. wieder gezeichnet werden
sollte, ging ich gleich wieder weg.
–
In einer Stimmung impetuoser Verzweiflung zu Tante Emma Tee trinken gegan-
gen ! Nach zweijähriger, nein, vierjähriger Pause alles unverändert. Christel treibt
noch immer Klavier d. h. Kammermusik ; Christel geht noch immer zeichnen ; sie ist
schon über 34 Jahre alt. Tante Emma hält Lichtbildervorträge über Wiener Musiker-
typen z. B. über Beethoven, aber nur zuhause. Sie prophezeit mir eine Vorlesung der
Frau v. Winter „Memoiren aus einem Wiener Bürgerhause“.
–12
Hans abgeholt u. sein neues Zimmer besichtigt. Er hat sich mit der Vroniradie-
rung gefreut
…
Hans hat ein Gespräch mit Prüger gehabt, der aus Intrigue (gegen Petrin) plötz-
lich sachlichen Gründen zugänglich wird. Wieder elend geschlafen. Um 5h früh das
Fenster aufgemacht, sogar bei uns im Schlafzimmer !13
28.I.
Gestern waren Steiners da ; Einladung zu ihrem Kostümfest : Hagenbeckgalavorstel-
lung – am 23. Febr[uar] (Hans hat nicht viel Lust zu gehen u. ich eigentlich auch
nicht.) Nachher Kiesler, der gerade von Berlin zurück gekehrt ist, u. von seiner Insze-
nierung für die Truppe (Viertel), King Jones, erzählte, die ihm durch die Unzuläng-
lichkeit der Ausführung seiner Ideen vollständig mißglückt ist. Mein Manuskript
vom „Todessprung“ hat er bei S. Fischer, wo niemand davon gewußt hatte, herausge-
holt und via Bergner Granach geben lassen.
–14
Mit Ehrlich teleph[oniert], der sein Atelier im Lauf dieser oder der nächsten Wo-
che endgültig verliert u. darüber sehr unglücklich ist. Heute vormittag war ich lange
in der Gatterburggasse am Steueramt. Der Weg hin (Umweg) durch den frühling-
haften Schneesturm hat mich heiter und leicht gemacht. Freudige Kampfstimmung.
30.I.1924
Mein Tagebuch ist fast schon das Buch, in das ich nichts vom Tage schreibe. Das
macht aber nichts. In meine Elektrische stieg gestern Ehrlich und setzte sich, ohne
daß ich es merkte (ich las) und ohne daß er es merkte, neben mich. Er hatte mich
vergeblich zuhause antelephoniert. Am Tag vorher hatte in seinem großen Atelier-
raum, während er sich im kleinen nach dem Malen ausruhte, das Holz um den Ofen
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien