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Tagebuch 1924
Besprechung der Bilder bildete und ihre Eingliederung in d. Sammlung. Ehrlich hat
Figdor gezeichnet, 2 Zeichnungen inzwischen und ist entzückt von ihm als Mensch
u. Kopf. Die alte Haushälterin mußte sich auch die Zeichn[ung] anschauen, welche
sie für besser hält. Sie entschied sich für eine, weil der gnä’ Herr da besser ausschaut.
Am Samstag war die (ungeheuer volle) Eröffnung d. Neuerwerbungen im Künstler-
haus mit Hainisch und Kienböck. Nachmittag beim Stefferl Sachen ausgesucht, er
hat aber nur Zeichnungen u. 2 Pastelle, paar Holzschnitte. Hans hat mir am Abend
von d. Privatsammlung eines sehr herzkranken alten Mannes erzählt, der den jüdi-
schen Namen Adler hat, aber seinen Stammbaum bis in das frühe 16. Jh. verfolgen
kann u. auch von Aldegrever ein Ahnenbild eines Vorfahren Adler hat, das ihm sehr
ähnlich sieht. Ganz einfache bürgerliche Verhältnisse, aber ein stolzer Familienkom-
plex wie bei d. Kuefstein oder sonst welcher traditionsstolzen Adligkeit. Heut sprach
ich Kiesler teleph[onisch], er hat d. Tobias u. d. Esther (anonym) der Rosen gegeben,
die davon entzückt sein soll u. die Esther beim Reinhardt spielen will. Gleich nach d.
Premiere will sie es dem Reinhardt zeigen. Ich glaub das alles nicht. Wenn d. Rein-
hardt nicht will, würde sie es d. Mordo geben. Ich machte Kiesler darauf aufmerksam,
daß d. Hock d. Tobias kennt. Lampl teleph[oniert] mich an, beim Architekten Breuer
sei eine Wohltätigkeitsgeschichte am Montag Abend. Es werde Musik gemacht,
ob ich vorlesen wolle, etwa eine halbe Stunde. Ich hab keine Novelle, die ich lesen
könnte, zuhaus
– Drama mag ich nicht. Bleiben also Gedichte.64
Am 25. abends
– das hab ich nachzuholen
– erschien plötzlich der junge Swarzen-
ski
– 19 Jahre, 2. Semester Kunstgeschichte. Sympathisch. Er verlebte ein ungeheuer
frugales Nachtmahl im Kinderzimmer mit uns. Nachher noch Floch, der mir die
endgültigen Lithos seiner Mappe Palästina mitbrachte.65
31.III.1924
Zu diesen Blättern hab ich gestern eine Einleitung geschrieben, die glaub ich, ganz
gut ausgefallen ist. Hans war heut früh beim Arzt, er hat eine verschleppte Grippe ;
da kann man nichts machen. Und ob Burgl, die immer noch unauffällig hustet,
Keuchhusten bekommen wird oder nicht, ist auch nicht zu entscheiden. Dafür würde
sprechen, daß ebenso viele Fälle in d. (gesperrten) Schule sind u. daß ihre Lunge ganz
rein ist.
2. April 1924
Früh bei Würthle, die Bilder (Laske, Funke, Floch, Stefferl) vom Künstlerfonds an-
geschaut u. dabei der Frau Bertha Taussig und Frau Menczel die Honeurs gemacht.
Erstere war ganz auf ihr Seelenleben eingestellt ; der Mann eifersüchtig wie ein
Othello und sie will ihr Leben „vor Torschluß“ noch genießen. Auch Frau Menczel
war nicht disponiert zu kaufen, läßt es sich zusammenkommen, um bei der nächsten
Schau etwas zu wählen. Es sind die kritischen Tage vor d. Unwohlsein u. da hat sie
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien