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Tagebuch 1924
außerordentlich finde, aber die gelbe Frau doch eine
gewaltsame Lösung. Ehrlich war ganz begeistert,
„versteht jeden Strich“, Floch sprach so viel von ma-
lerischen Qualitäten, bis ich es kaum mehr aushielt.
Dann war ich in der Miniaturenausstellung (entsetz-
lich gleichgültig u. ermüdend) u. schließlich Mittag
bei Halles. Während d. Mittagessens kamen mit ei-
nem Empfehlungsbrief und einem Packerl Blättern
Zülow und Ernst Huber „anbieten“. Furchtbar. Wie
diese Leute geplagt sind. Halle kaufte jedem 1 Blatt
ohne zu handeln u. sie hatten nur so wenig verlangt !
Abends waren Steiners da u. sie sprach sich noch
einmal mit Hans aus wegen seines Briefes. Sie hatte
ihm geantwortet, 12 Seiten lang, lauter persönl[iche]
Dinge – und der Brief ist verlorengegangen ! Ehr-
lich kann ein Atelier für 8 Millionen Ablöse haben.
Da Hans vom Kirstein 1000 M Vorschuß bekommt,
kann er dem E[hrlich] gleich die Summe vorstrecken.
Morgen soll er sich das Geld abholen. Für heute
abends soll ich eine Freikarte zum Bergnergastspiel
(Je t’aime) bekommen. Nachmittag hat mir G. E.
teleph[oniert], der Hagenbund hat mein Porträt und
die Landschaft von Halle abgelehnt. Schwarz-Waldegg hat Protest erhoben, es kam
noch einmal zur Abstimmung u. wurde überstimmt. Er war während der andern
Jury anwesend u. ist empört über das Biertischniveau dieser Leute. Außer Tischler,
Schwarz-W[aldegg], Floch sind doch alle Sumper*. Am empörtesten war er über
die Art, wie sie sich zum Plakat gestellt hatten. „Als hätten sie es gar nicht bestellt.“
Seine Stimme am Apparat war markig, wie die eines starken Mannes. Er wird sich
jetzt d. Ausstellung, wenn sie gehängt ist, noch einmal anschauen, dann wenn er
keinen bessern Eindruck haben sollte als von dem ersten Überblick jetzt, wird er aus
d. Hagenbund austreten. „Denn wenn diese beiden Bilder nicht hängen dürfen, darf
überhaupt kein Bild hängen.“ (Ich freu mich sehr, daß er auf diese Weise wenigs-
tens das Vereinsmeiertum losgeworden ist.) Mein Teleph[on] war abgelaufen, er ruft
noch einmal an : „Ich bitte sie, sagen sie aber ihrem Mann nur die reine Tatsache –
nicht das alles, was ich dazu gesagt habe.“ Es ist wundervoll, wie Hans immer nur
durch seine bloße Existenz beispielgebend, vermännlichend auf seine Umgebung
wirkt.
–86
* Banausen Abb. 49 : Heinrich Wölfflin, Das Erklären von
Kunstwerken, 1921 – Nummer 1 in Hans Tietzes
„Bibliothek der Kunstgeschichte“.
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien