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Tagebuch 1924
1. Juli
Sonntag hab ich den ganzen Tag an meinem Tizian geschrieben bis zum Loch :
Holzschnitts[…], von dem ich keine Abbild[ung] habe. Gestern vormittag war ich
im Atelier Georg u. hab die Sachen zum Radieren zusammengesucht, die Lampl ihm
mitbringen wird. Ein Brief Georgs, der in d. Früh kam, enthielt kein Wort darüber,
daß er wegen d. Ateliers zurückkommt, im Gegenteil, er bittet noch um Geld, von
dem was ihm Dr. Heller angewiesen hat. Hauer widmete mir ein Exemplar seiner
neugedruckten Hölderlin-Lieder. Am Nachmittag mit den Mäderln beim Zahn-
arzt, Burgl muß doch keine Maschine bekommen, die Zähne richten sich schon ein,
wir sind alle drei fertig geworden ; ich (wenn nichts dazwischen kommt) bis Weih-
nachten, die Mädchen bis September. Hans hat große Unannehmlichkeiten mit der
internat[ionalen] Herbstausstellung, […] ist beleidigt, daß man ihn nur als Kommis-
sionär behandelt, er wollte die Bilder auch auswählen.
–
Vroni legt sich eine von Stoffels Landkarten um den Leib – „aber Vroni, was
machst du denn ?“ – „Nun, es steht doch immer in den Büchern, daß die reichen
Leute ‚Atlaß‘ tragen !“ Anderl hat heute seine Aufnahmsprüfung im Piaris ten gym-
[na sium] ([…] Type), er war sehr heiter u. sich d. Tragweite dieses Schrittes nicht
bewußt. Desto mehr Hans, der ihn hinbrachte u. gerührt ins „mittlere“ Leben ein-
führte. Der arme Stoffel wachte mit einer Augenentzündung auf, das ist kein schöner
Anfang bei d. Reise heute
…
2. Juli
Nachdem ich gestern wegen der Unpünktlichkeit der Professoren u. überhaupt der
Umständlichkeiten die für die andern 2tägige Prüfung an einem Tag zusammenzu-
drängen, diesen sehr wenig angenehm in dem ärarisch duftenden Piaristenkloster
verbracht habe – haben wir abends die Kinder in d. Bahn gesetzt, wo sie ein ganzes
Coupé für sich hatten, dazu noch d. Aussicht, den Stoffel daneben unterzubringen.
Sie waren sehr aufgeregt u. voll Erwartung, jeder anders in seiner Art u. alle mir so so
lieb. Mit Hans dann sehr einsam u. abgespannt nachhaus
…
Nachtrag von Vronis letztem Spaziergang durch die Stadt : „Warum haben nur so
wenig Menschen Denkmäler, wenn sogar die Krankheiten welche haben,
… z. B. die
Pest – ?“ – Heute hab ich einen Artikel über die graph[ische] Ausstellung OK für d.
Münchner Zeitung geschrieben. Manche Blätter haben mir einen sehr starken Ein-
druck gemacht, z. B. Ausblick in eine Gewitternacht, der halb Akt der Russin. Dem
Hauer für seine gewidmeten Hölderlinlieder gedankt
…105
4. Juli
Gestern statt zu liegen, wie ich sollte, lieber am Schreibtisch gearbeitet. Zusammen-
hänge d. Trionfo della Fede mit Michelangelos Karton. Nachmittag hat mich Hilda
Gerhart durch endloses Getratsch belästigt. Nach d. Nachtmahl war Tischler da, er
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien