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Tagebuch 1925
lens, stieg über den für d. Spalierobst gespannten Draht, blieb mit d. Fuß hängen u.
stürzte. Da kein Arzt hier zu erreichen war, telephonierte man an Prof. Luithlen, der
den Spezialisten seiner Nachbarschaft dann gleich mit dem Auto herausbrachte. Sie
bekam gleich den definitiven Verband – diesmal mit Blaubinde, Sägespänen, 5 Bret-
teln u. wurde uns fix u. fertig von Prof. Luithlen ins Haus gestellt. Hans u. ich gingen
dann am Abend zu ihm, um uns zu bedanken, nach d. Arzt zu erkundigen u. s. w. Er
erzählte, wie tapfer sie sich gehalten hatte. Als er sie dann brachte, hatte er ein sehr
unbehagliches Gefühl, wie wir erschrecken würden ; Therese machte die Türe auf und
sagte, als sie von dem Malheur erfuhr : „Du bist eine Patzerin* !“ Das hat ihn dann
beruhigt. Ja, man verliert bei 4 Kindern das laute Pathos. Ich war gerade spazieren ;
als ich heimkehrte, rief ich zum Fenster hinein, ob Hans schon zuhause sei und Fe-
lix u. Hertha, die wir auch für den Abend erwarteten. „Nein“, sagte der Toni, „noch
niemand ist da, nur die Burgel u. die Vroni sind zurückgekommen, die Vroni hat sich
wieder den Arm gebrochen.“ Mir fuhr der Schrecken in die Glieder, aber ich hab
mich doch schnell wieder daran gewöhnt
…
18.VII.
Ich habe meinen Besuch im Zsolnayverlag am Dienstag nicht beschrieben. Der „Di-
rektor“, ein Herr Costa, wiederholte nur, was er geschrieben, nur vielleicht noch nach-
drücklicher, wie gut er d. Gedichte fände. Aber er sei noch nicht entschlossen (obwohl
sie einen Gedichtband bringen wollten) ob sie sich für einen Namen etwa R.
M.
Rilke
entschließen sollten
– oder („oder“ bin ich.) Er fragte mich auch, ob ich als Lyrikerin
einen Namen hätte. Ich sagte, nein. Erzählte ihm dann, wie kurz ich überhaupt dabei
bin. Er sprach u. a. auch von der sozialdemokratischen Tendenz der Gedichte
… Herr
v. Zsolnay nimmt sie jetzt auf eine Reise mit, er würde es entscheiden – in längstens
14 Tagen würde ich d. Antwort haben. Ich wollte ihm eine Publikation zusammen mit
Graphik von G. E. nahelegen, er lehnte es aber ab. Kunstbuch zieht nicht mehr, man
würde entweder d. Gedichte oder die Graphik als unnötige Beigabe ansehen u. s. w.
…
Am Mittwoch waren wir abends bei Steiners u. fuhren dann mit d. neuen elek-
tr[ischen] Bahn Hütteldorf – Gürtellinie heim. Sie rattert mehr als in Paris. Anderl
wurde heute bei seiner 3. Schwimmlektion schon auf zwei Blechblasen gelegt u. an
eine Eventualitätsleine genommen. Burgel anerkennt es sehr u. kränkt sich wirklich
nur ganz obenhin, daß sie das Fußtempo u. d. Handtempo „zugleich“ noch nicht
kapiert, obwohl es ihre 5. Stunde schon war. Lili schickte schon den ersten Bericht
von Stoffel u. Heinzens Faltbootfahrt, die am 15. begonnen hat. Ich habe schubweise
Angstanfälle um ihn – aber meistens denk ich nicht dran, weil ich arbeiten muß. Ich
halte jetzt beim 10. Vortrag, das ital[ienische] Tre- u. Quattrocento in einer halben
Stunde ! Heut ist meine Vronili beim ersten Verbandswechsel.28
* Tollpatsch
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien