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Tagebuch 1925
Hier steh ich oben
– doch
– ich steh allein.
Und möchte so gerne
Den Frieden, den ich schau,
Zu dir zu dir hin tragen
–
Und nur
Zu dir
–
Und darf es nicht.
Die schlanken Hunde jagen
Die alte Spur,
Bis sie zerbricht
–
Verschwunden ist der Garten,
Für immer zu die Tür.
Bei Georg Halle dann ; der Sohn hat plötzlich in sich den Juden entdeckt, eine tiefe
Frömmigkeit. Er hat den Eltern zum Neujahr seinen „ersten Roman“ überreicht, ein
unglaublich interessantes Produkt einer geängstigten Knabenseele – und zum Ver-
söhnungstag ein ergreifendes „Reuegebet“.56
8.X.
Gestern – anscheinend den letzten blitzblauen einzigschönen Tag – hab ich wunder-
voll ausgenützt. Mit Gaby über den Tag weggewesen : Sommerhaidenweg, Hameau
–
am Schluß in unserm alten Haus in Dornbach, wo ich aber nur bis zum Eisengitter
(oben) vordrang. Es lag drinnen traumhaft – fast schon tot. Und niemand hörte auf
ein Läuten. Abends war Frankl da u. leistete sich in Größenwahnsinn das Uner-
quicklichste „Wiegele, Böckl und meine Wenigkeit“ sind die einzigen, die auf dem
richtigen Weg sind. Schließlich haben wir seinerzeit dieselben Dinge von OK gehört ;
OK hat sogar immer nur sich selbst genannt. Ihm hat man es aber nicht übelgenom-
men, er war ein Bahnbrecher, ein Niederreißer u. da gestattet man auch in d. Diktion
eine größere Hemmungslosigkeit. Aber dieser gewissenhaft arbeitende Maler, der nie
danebenhaut, weil sein Ziel immer vernünftig abgesteckt ist
– dieser immerhin doch
intellektuelle Jude, der sollte die Gedanken (die natürlich jeder Künstler von sich
haben muß) besser im Zaum halten
…57
Frau Merkel war beim Hans im Bureau hinter dem Rücken des Mannes, der noch
in Frankreich ist ; der Dalles ist wieder bei ihm eingezogen, der polnische Enthusiast
schickt nichts mehr. Sie bittet den Hans um seinen Rat, er ist doch ihr bester Freund,
ihr einziger Freund immer gewesen – (Hans sehr peinlich berührt, weil ihm doch
beide so grenzenlos antipathisch sind.) Dienstag war Dr. Parker aus London da (Vo-
lontär bei Dodgson) ; ich habe ihm d. Sachen von Ehrlich gezeigt ; auf seine Verant-
wortung hin soll ich an Dodgson wieder eine Probesendung schicken
…58
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien