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Tagebuch 1925
21. Oktober
Gestern vor einer Woche ist der Hans, nachdem er noch am Abend vorher in d. Ura-
nia einen wunderbaren Vortrag über „Das ewige Rom“ gehalten hat, nach Köln ab-
gereist und hat seither schon in Duisburg-Krefeld, Dortmund u. ich weiß nicht wo
noch gesprochen, 9 Vorträge innerhalb 16 Tagen (die Reisetage mitgezählt). Ich hab
in dieser Zeit nicht geschrieben, weil ich auch nicht gedacht, geträumt, gedichtet hab,
sondern nur den zahlreichen Aufforderungen des Tages gelebt
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Jeder Tag ein Vortrag (das Radio mußte ich übernehmen, jeden Mittwoch u. Frei-
tag), Führungen, dazu die Vorbereitungen. Ich sehe auch kaum einen Menschen, der
mir Freud macht. Am Sonntag war (von Georg geschickt) die Dolnitzka bei mir, ein
Mensch mit Glauben u. Willen
– ob das Talent ausreicht weiß ich nicht ; ich hab nur
paar Buntstiftbilder gesehen (sehr unter Einfluß Müller-Hofmanns) und nicht die
Emails, die ihre Hauptforce sind. Nirenstein teleph[oniert] mir, daß er die Grafeschen
Zeichnungen G. E.’s für mich erworben hat. Die Dolnitzka erzählt mir, dass G. E.
sich am Donnerstag einen zweiten Kanarivogel gekauft hat – und gestern fragt G.
E. telephonisch an, ob er diesen den Kindern schenken könne. Fast jeden Tag wird
bei mir wegen Kunstgesch[ichte] Stunden angefragt, aber bisher ist nichts zustande
gekommen (wegen d. Summe, die ich verlange, glaub ich). Am Montag hab ich bei
d. Piaristenbuben angefangen, ich führe sie am Samstag ins „Gesicht d. Zeit“. Mir
macht das Schreiben heut keine Freud
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4. November 1925
Ich mach jetzt immer so lange Pausen ; äußerer Grund : ich habe meinen neuen Block
nicht bei der Hand gehabt. Innere Gründe : viel zu tun, unerfreuliche Kleinigkeiten,
ich schreib am Roman – hab keine Gedichte gemacht, die ich ins Tagebuch eintra-
gen möchte. Dafür eines gestern, das mich durch seine befreiende Stimmung weiter
gebracht hat.
… Und leise starbst du mir.
Die schmale Brust ward eine
Durchsonnte Rasenbank,
Auf die ich meine Träume weine ;
Der Arm, in dem ich ruhen konnte,
Der gütig mich umschlang,
Zur Wurzel sank ;
Die Schultern blühten in ein Blumenbeet,
Den Duft von deinen Haaren,
Den ich liebte,
Der Wind
Mir aus dem Klee
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien