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Tagebuch 1925
von 10 Tagen sein ! Ich seh schon, mit der Büste komm ich nicht weiter. Ich war so
wunderbar im Zug –“ Da hielt ich mich doch nicht zurück : „Du bist doch sonst so
abergläubisch
– warum bringst du es hier über dich, von einem Termin von 10 Tagen
zu sprechen noch bevor sie operiert wird.“ Als Nirenst[ein] dann kam, und „Ware“
nahm für 19 Millionen und seinen Beitrag mit 100 Sch für nächstes Jahr fortzuset-
zen erklärte, stieg seine Stimmung. Nachher eilten wir zu Rothberger, wo Georg den
von seinem Onkel geerbten Smoking brachte, der ihm dort auf enger umgearbeitet
wird. Georg war glänzender Laune. Am Weg erzählte er mir, daß er 100 Sch der
Gerda borgen mußte ; er weiß nicht, ob er’s zurückbekommt, der Vater schickt ihr
zwar ziemlich viel, aber die Geschäfte gingen jetzt so miserabel, daß sie nicht um
Geld schreiben könne. Alle diese Andeutungen in Verbindung mit der besonders
guten Laune legen d. Vermutung nahe, daß die beiden durch diese „Operation“ ein
lastendes Gewicht losgeworden sind. Ich war eigentlich ganz harmlos, bis mir diese
Überzeugung kam.
–69
Heute kam ein Brief von Zahnarzt Tischler, daß er der Gruppe „Ehrlichfreunde“
beitritt (30
mon[atlich]).
28. XII.
Die Pausen werden immer größer. Der Grund ist, daß ich keine Sammlung habe,
daß es mich nicht zum Dichten kommen läßt u. daß die Tage so belegt sind mit
dem Vielerlei von Tätigkeiten – ich hab nicht einen Abend einen freien Kopf. Und
im Jänner wird das noch viel ärger werden. Weihnachtsbesorgungen waren schnell
erledigt. Das Fest selbst „gelungen“. Angesagter Weise waren Lili, Lutz u. Heinz da,
überraschenderweise Georg, Gerda u. Gaby. Gerda gefällt mir lang nicht mehr so
gut wie am Anfang, sie ist eigentlich das was man ein affektiertes Mädel im banalen
Sprachgebrauch nennt. Am Anfang ist das bezaubernd, dann aber wird man unge-
duldig. Ich liebe die Hilde Lampl, die Gaby … Frische natürliche Menschen. Gute
Menschen, die Opfer bringen können oder stolze Menschen, die nicht zeigen, wie
sie sich sehnen (Gaby). Aber äußerlich ist sie ungemein anziehend und das versöhnt
mich wieder
…
Die Abende bei den Schwestern Berger sind tanzfreudig u. ungesprächig. Mich
regen sie so auf, daß ich nachher nie einschlafen kann u. der nächste Tag ganz ver-
patzt ist. Gestern waren Lili u. Lutz mit, er ist ein großes Kind u. war selig wieder
einmal jung sein zu dürfen. Zu Weihnachten hab ich furchtbar viel bekommen ; einen
lang gewünschten Strohkoffer für Spanien ! ! ! Die Tintenfeder mit der ich schreibe.
Bücher. Bonbons. Datteln. Ich glaub, am meisten Freud gehabt hab ich doch mit den
Graphiken. Vor allem ein Blatt vom Stefferl, das seit meinem Geburtstag (zu dem
mir es Hans eigentlich bescheren sollte) immerfort ausgestellt werden mußte (Ber-
lin) u. das ich jetzt also endlich bekam, ein Pferdebild, wirklich schon ein Bild – ist
herrlich. Floch brachte Zeichnungen u. ließ mich wählen. Drei Blätter von Frankl hat
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien