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die große Meinung, die wir baben. Wenigstens
wird Tpeneer in seiner Grabschrift tke prines ot
poetz in Ins tvm« genauut, Ta nun «vcneer im
Jahre 1596, nach einigen 1583 starb, so war er
unzweifelhaft ein Zeitgenosse von Shakespeare,
^'s mnsüe nnr ieiu, dan mau damals iib«>>aupt
^ie Ticltter fürs Tlieatcr nicht uutcr die eig.'nt'
lichen Poeten zählte (was mir sehr wahrscheinlich
ist'!, da sie doch anch inituutcr für den Pöbel
schrieben, uieslialb deuu wohl anch Sbaleiveare
seine beiden, nicht sehr empfehlenswerten ^riulnii
^iediclite schrieb, um doch auch eineu Rang in
der gebildeten Welt zu liabeu, Anch seine Sonette
erklären fiel, teils ans diesem Gesichtspunkte, teils
als Äusdriick iuneren Bcdüifnifses, aus sis) felbst.
Um Sbatcsveare zu rechtfertigen, da doch ein
großer Tci! seiner Sonette an ein männliches
Individuum gerichtet sind, sührc» die Ansleger
riele Stelleu aus seinen Tranieu an, wo das
Wort Liebhaber (lover) von Mann zn Mau»,
nir Freund, loohlgencigt, ergeben gebrnucbl iliid,
^n alle» diese» fallen ist aber nie die Schön-
heit der Grund des Wohlwollens,
Tie letzten dieser Suuette (sowie die sechs
oder acht ersten) sind wieder nn ein Fiaueu-
,-immer gerichtet, Tie sind aber nnch die
,'chlechtesten, spitzig und lalt. Man merkt ans
iliueu, daß das Frauenzimmer nichtsuuyig !var
uud ^datefpeare alt^ also auch wieder einl'
ividerlichc Empfindung, Man sollte überhaupt
diese Soiiette ans sich beruhen lassen, Sie!l>u,!l'u
2>,akespeares Ruhm nichts beifüge,! und, aufs
beste gedeutet, nnr Vedaucrn erwecken.
Vor allem soll man sie nicht übersetzen. Man
überlasse sie den Literaturen, dcreu Straußeu-
magen alles verdaut.
Es ist immer nur die Nede von den Ver-
unglimpfungen, die sich Voltaire gegen Tdake«
speare erlaubt hatte. Er war aber selir empfäng-
lich gegen seine Vorzüge, und erst, als ein frau«
zösischer Schriftsteller sich erlaubt hatte, Racine
gegen ihn herabzusetzen, brach sein Unmnt aus.
In dem Artitel Int,olel2nee (viotionnaire
pililcizopkiquß 1. III) setzt er ihn in die Ncihc der
llaren Köpfe, welche die Intoleranz nicht
tanntcn, unter die Newton, Friedrich den Großeu,
Locke, Shakefpcare, Leibnitz, Und diefc L^ute
gelten nicht wenig bei ihm.
Unsere Theater-Entrepreneurs machen es mit
öen Schauspiele» wie der bekannte Räuber Pro-
lrustes mit den Reisenden, Sie haben eiu enges
Bette, in dies legen sie jedes Stück, und was
zn grosj ist und nicht hineinpaßt, wird zu beiden
Enden abgeschnitten, Naher sehen wir Shake-
speare, so oft auf unsern Theatern lahm uud
ohne Kopf,
Hamlet.
Man hat so viel über die Grundidee des
Hamlet gesagt, mich hat nichts befriedigt. Viel-
leicht liegt die Ursache von der unglaublichen, Iimrüälücheu Vnimili du'!>> ?IU,!>^ gerade
Labyrinth geht, fo nufichtbar bleibt, Tadui,l,
wird es zu einem getreuen Vildc der 3v>'itt>>
gebeuhcitcu uud wirlt ebenso uugcl^u,',, >!> >
diese. Ein Geist erscheint und foro^n inr >^ach>-
iU>.'n beiliegenden oerstlilag^n. gn'nlnl'e Tinge
gefchehcu fast olnie ^ioell^ der ^iclrunlt d.s
fich das Geschick, alles mit sich forneisiend und
,,'elc-erbend. Shakespeare ist ,;u dieser scheinbareu
Plaulofigkeit offenbar dadnr>h getonunen, das;
er sciner Gewohnheit unch di,' nn,s>>^ >'i>il!^>!,,',
Schritt vor Schritt, verfolgte. ?er ^nstinlt
obgleich losen Zusaninienliang !nne,u, der nn
gleich wirksamer ist, als die ^tnvn, die in den
-itilileü der nenesten Mache ans »osten der Hand-
lung, wie Gespenster am hellen Tage, sicblbnr
uud greifbar spulen. Aber freilich darf niemaud
wagen, das Shakespeare nachzumachen,
?^'nn Tieck beliauptet, ^olouius liabe an-
fangs die Liebe Hamlets zu ^plielieu begüustigt,
>i >>,,,!>!et habe Ophelieus le>,i>' ^ninst >,
so bleibt unch dieser VorausseNnng unbegveislich,
oerai,stallen kann, die er den >l0ni>, ainiordelt.
zri behorchen. Mußte der Vater nicht fürchten,
^lk't, dem die Anwcfeuhcit des ^v
ubetannt war, durch ein oder die ander,
rnng dem Könige das doppelte Spiel seine?
Ministers verraten könnte? Würde sich fermr
jemals Ophelia zn dieser Szene hergegeben
habe», wenn sie fürchten mußte, daß eiu einiges
^ort des vormals begünstigten Liebhabers ihre,
Schande dem Vater uud dem Könige betannt
machte? Wenn sie den Prinzen jemals in l,>
terem Grade begünstigte uud sich »uu, auf Ge>
heiß des Vaters, vou ihm zurückzog, war es
icht natürlich, daß bei erster Gelegenheit, da
er sie allein traf, ihr Hamlet das Vergangene in
den bestimmte/teu Ausdrücken vorwarf?
Ich beneide Tieck als Mcnfch uud bedaure ilm
als Dichter, wenn er die Wirkungen der c^hn>> i
„int, des Ierfallenscins mit sich nnd der Welt
so wenig kennt, daß er das Betragen Hamlets
gegen Ophelia nur dadurch erklären zu können
glaubt, daß er einen bestimmten Grund der Ver»
achtuug gegen sie in dem Prinzen voran
Im Vrüte» über seinem dunkeln VoNiaben
ucrsnnkeu, ist für ihn die ganze übrige Welt
nicht da, uud wcuu er fich ihrer eriuuert, so
gcfchieht es mit dem innersten Ekel gegen s>>
uud alle ihre Verhältnisse, Seine Empfindung
für Ophelien war gewiß nie viel mehr, als ihr
Vater uud Vruder gleich aufaugs vermuten, nur
daß das arme Mädcheu leichte ^ignng mit
warmer Leidenschaft erwiderte, Tic Erfcheiuung
des Geistes verwischte jede Spur jenes Eindruckes
in dem Prinzen, Zu furchtbarcu Tiugcn be-
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Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
- Title
- Grillparzers sämtliche Werke
- Subtitle
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Volume
- II
- Editor
- Rudolf von Gottschall
- Publisher
- Hansa-Verlag
- Location
- Hamburg
- Date
- 1906
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.2 x 15.9 cm
- Pages
- 552
- Keywords
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Categories
- Weiteres Belletristik