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Differenzierung nach den Endpolen der Geschlecht-
lichkeit ein wünschenswertes Ziel sei. Für eine vor-
aussetzungslose,von willkürlichen Annahmen möglichst
freie Untersuchung über das, was das Weib wirklich
ist, wird nur die dritte Methode in Betracht kommen.
II
NACH den grundlegenden Voraussetzungen der
modernen Naturwissenschaft ist jede Bewußt-
seinsäußerung an körperliche Vorgänge gebunden. Es
scheint also, daß von hier aus eine wesentliche geistige
Verschiedenheit der Geschlechter unbedingt zu be-
jahen wäre. Wenn schon der Geschlechtsunterschied
in der Physis des Menschen ein so durchgreifender ist,
daß selbst noch die Haare eine Verschiedenheit nach
dem Geschlecht erkennen lassen, daß „einMann Mann
ist bis in seinen Daumen, und ein Weib Weib bis in
ihre kleine Zehe" (Ellis), steht es da nicht im vor-
hinein außer Zweifel, daß der weibliche Körper der
Träger einer anderen Seele sein muss als der männ-
liche?
Eine alte physiologische Anschauung hat den Satz
aufgestellt: Totus homo semen est; die moderne
Physiologie bestätigte ihn. „Das Weib ist eben nur
Weib durch seine Generationsdrüse; alleEigentümlich-
keiten seines Körpers und Geistes oder seiner Er-
nährung und Nerventätigkeit: die süße Zartheit und
Rundung der Glieder bei der eigentümlichen Aus-
bildung des Beckens, die Entwicklung der Brüste bei
dem Stehenbleiben der Stimmorgane, jener schöne
Schmuck der Kopfhaare bei dem kaum merklichen
weichen Flaum der übrigen Haut, und dann wiederum
diese Tiefe des Gefühls, diese Wahrheit der unmittel-
2 Mayreder, Kritik der Weiblichkeit
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Zur Kritik der Weiblichkeit
- Title
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Author
- Rosa Mayreder
- Publisher
- Eugen Diederichs Verlag
- Location
- Jena
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 10.5 x 16.5 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299