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Zur Kritik der Weiblichkeit
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sehen der konservativen. Ihnen gewährt die Vor- stellung, daß sie einen neuen Weg eingeschlagen, daß sie ihren Fuß in das Unbekannte gesetzt, daß sie Gefahren und Wagnisse zu bestehen haben, dieselbe sittliche Befriedigung, wie den konservativen Indivi- duen die Vorstellung, daß sie korrekt gehandelt und die Pflicht, die ihnen vorgeschrieben ist, erfüllt haben. Sie wollen nicht einem äußeren Gesetz, nicht einer überlieferten Regel gehorchen, sondern dem innern Gesetz ihres eigenen Wesens. Je nach der Bedeutung ihrer Persönlichkeit bewegt sich das Schicksal dieser „Neuerer", welchem Gebiet geistiger Tätigkeit sie auch angehören, von der bloßen Verkennung und Verspottung, über Mißachtung, Ver- folgung, Elend, Wahnsinn bis zum Opfertod. Sie sind die Märtyrer der menschlichen Gattung. Ihnen ver- dankt sie jeden Schritt, den sie von den Zuständen der Tierheit aufwärts zu veredelter und verfeinerter Kultur gemacht hat. Und sobald ein Volk keine solchen abweichenden Individuen mehr hervorbringt, verfällt es dem Stillstand, der Erstarrung; seine schöpferische Kraft ist abgestorben. Dennoch vollzieht sich auf allen Stufen der Kultur mit der Notwendigkeit eines Naturgesetzes der Kampf zwischen der progressiven und der konservativen Geistigkeit. Solange das abweichende Individuum ein einzelner ist, bleibt es geächtet; erst wenn es um sich eine Nachfolge versammelt, eine genügende An- zahl von Anhängern und Bekennern, weicht die herr- schende Norm vor ihm zurück und gewährt ihm Raum. In der intellektuellen Bewegung des 19. Jahrhunderts hat dieser Gegensatz zwischen progressiver und kon- servativer Geistigkeit unter dem Namen „freier Geist" und „Philister" seinen bekanntesten Ausdruck ge- funden. Aus der studentischen Ausdrucksweise her- 88
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Zur Kritik der Weiblichkeit
Title
Zur Kritik der Weiblichkeit
Author
Rosa Mayreder
Publisher
Eugen Diederichs Verlag
Location
Jena
Date
1922
Language
German
License
PD
Size
10.5 x 16.5 cm
Pages
316
Keywords
Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorwort 1
  2. Grundzüge 7
  3. Mutterschaft und Kultur 48
  4. Die Tyrannei der Norm 85
  5. Von der Männlichkeit 102
  6. Das Weib als Dame 139
  7. Frauen und Frauentypen 157
  8. Familienliteratur 187
  9. Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
  10. Einiges über die starke Faust 210
  11. Das subjektive Geschlechtsidol 244
  12. Perspektiven der Individualität 261
  13. Nachwort 299
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