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Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, verdient
die moderne Frauenbewegung eine andere WĂĽrdigung,
als man ihr vielfach zuteil werden läßt. Denn in
diesen Vorstellungen der Gemeinsamkeit trägt sie
den wertvollsten Bestandteil einer neuen Ordnung
zwischen Mann und Weib mit sich; indem sie etwas,
das sich vielleicht als Unterströmung schon lange in
den Beziehungen der Geschlechter vorbereitet hat,
zum System erhebt und eine Lehre daraus macht,
bringt sie es erst zum allgemeinen BewuĂźtsein und
verleiht ihm die suggestive Kraft, durch die es vor-
bildlich weiterwirken kann.
Schon Mary Wolstonecraft beleuchtet in ihrer „Ver-
teidigung derRechte der Frau* (1792)— einem Buche,
das alle Richtungslinien der späteren Frauenbewegung
enthält— die Mängel, die aus der Erziehung zur
Dame entspringen, und kommt zu dem Schluß, „daß
es gut wäre, wenn die Frauen nur angenehme, ver-
nünftige Kameraden wären, ausgenommen ihrem Ge-
liebten gegenüber". Diese „Ausnahme" bedeutet je-
doch eine bloß subjektive Einschränkung. Zugleich
mit der beginnenden Umwandlung in der sozialen
Stellung des weiblichen Geschlechtes vollzieht sich
eine Umwandlung des erotischen Verkehrs. Als eine
geistig-körperliche Gemeinschaft auf der Basis indi-
vidueller Anziehung und Ergänzung ist der kamerad-
schaftliche Typus des Geschlechtsverhältnisses zu
einem neuen Ideal der Liebe geworden.
Die Voraussetzung dafĂĽr ist allerdings eine Ver-
änderung auch in der Natur des Mannes. Nur die
männlichen Individualitäten, aus deren psychosexueller
Beschaffenheit das BedĂĽrfnis entspringt, sich in der
Liebe an ein ebenbĂĽrtiges Wesen zu wenden, werden
die Vorstellung der Gemeinsamkeit an die Stelle
setzen, die in dem primitiven Verhältnis die Vor-
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Zur Kritik der Weiblichkeit
- Title
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Author
- Rosa Mayreder
- Publisher
- Eugen Diederichs Verlag
- Location
- Jena
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 10.5 x 16.5 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorwort 1
- GrundzĂĽge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges ĂĽber die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299