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unter Mitgliedern desselben Grades, aber er versagt,
wo es sich um gröĂere AbstĂ€nde handelt, um Unter-
schiede in dem, was ein Mensch als den Kern seiner
Persönlichkeit, als das Mysterium seines besonderen
Wesens empfindet.
Jeder Mensch von Eigenart weiĂ, daĂ es eine Art
von Personen gibt, die zu ihm gehören, denen er
sich verstÀndlich machen kann, mit denen er etwas
gemeinsam hat, und eine andere Art, die ungeheuere
Mehrzahl, zu der er keinen Zugang besitzt, die seine
Sprache nicht versteht, wie deutlich er auch rede,
fĂŒr die er in alle Ewigkeit ein verschlossenes Buch
bleiben wird. Die Trennungslinie lÀuft keineswegs
immer mit dem Geschlechte parallel. Namentlich
geistig hervorragende Frauen finden ihre Wahl-
verwandten eher unter MĂ€nnern. Und nicht allein
intellektueller Momente wegen; sie haben in viel
tieferen Dingen mehr BerĂŒhrungspunkte mit ihnen
als mit den Angehörigen ihres eigenen Geschlechts.
II
JENER innerste Kern, der die Menschen scheidet
oder nÀhert, ist wahrscheinlich in der erotischen
Eigenart zu suchen. Alle AbstÀnde, die durch das
Temperament, durch die intellektuelle Stufe, durch
die Willensrichtung, kurz durch alle unbegrenzbaren
Variationen in der Zusammensetzung der Persönlich-
keit zwischen den einzelnen Individuen geschaffen
werden, reichen weniger tief hinab. Ja, selbst der
Unterschied des Geschlechtes nicht!
Bourget, der in seiner âPhysiologie der modernen
Liebe" ein Buch der vorurteilslosesten Beobachtung
geschrieben hat, nennt unter den LĂŒgen, welche die
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Zur Kritik der Weiblichkeit
- Title
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Author
- Rosa Mayreder
- Publisher
- Eugen Diederichs Verlag
- Location
- Jena
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 10.5 x 16.5 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Feminismus, Soziologie, MachtverhÀltnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorwort 1
- GrundzĂŒge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der MĂ€nnlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges ĂŒber die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der IndividualitÀt 261
- Nachwort 299