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primitive teleologische Geschlechtsnatur aufhebt —
am umfassendsten dann, wenn es auch die erotische
Eigenart des Individuums durchdringt.
Übrigens sollte man sich hüten, die Qualität des
Geschlechtswesens an sich als Wertmesser der Per-
sönlichkeit zu benützen. In Dingen der Weiblich-
keit werden Geschmacksfragen zu Prinzipienfragen
gemacht. Es ist ganz müßig, darüber zu debattieren,
welche Art der Weiblichkeit die echte und rechte
sei. „Was soll man von einem Weibe denken, die
nur vollkommen Weib sein wollte?" hat Max Stirner
gesagt. „Das ist nicht jeder gegeben und manche
würde sich damit ein unerreichbares Ziel setzen.
Weiblich dagegen ist sie ohnehin, von Natur, die
Weiblichkeit ist ihre Eigenschaft, und sie braucht
der ,echten' Weiblichkeit nicht." Für das Leben
jedes Individuums ist die erotische Anziehung, die
es ausübt, und die Instinktsicherheit, mit der es seine
Wahl trifft, das Ausschlaggebende. Dabei kommt das
allgemein Weibliche nicht in Betracht. Regiert hier
nicht ein ganz persönlicher und privater Maßstab?
Nicht ein Gesetz, das sich in jedem Fall einzig und
allein auf die individuelle Natur der beiden Beteiligten
gründet? Hineingebannt in die Schranken einer be-
stimmten Individualität, können wir die geheimnisvolle
Basis, auf der unser Fühlen und Wollen sich schick-
salsmächtig erhebt, nicht wählen und nicht ändern.
Und vergeblich wäre es, eine Übereinstimmung und
Gemeinschaft dort herstellen zu wollen, wo das
Trennende und Gegensätzliche in den Urgrund unseres
Wesens hinabreicht. Weib und Weib ist nicht das
gleiche, so wie Mann und Mann nicht das gleiche
ist — ohne diese Fundamentalerkenntnis wird die
Geschlechtspsychologie immer ein Labyrinth unlös-
barer Widersprüche bleiben.
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Zur Kritik der Weiblichkeit
- Title
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Author
- Rosa Mayreder
- Publisher
- Eugen Diederichs Verlag
- Location
- Jena
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 10.5 x 16.5 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299