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wenigstens diejenigen Kenntnisse, diejenigen Fähig-
keiten vermitteln, die zu einer vernünftigen Selbst-
bestimmung geeignet machen. Die Sitte ist hier auf
einem Punkte angekommen, wo sie geradezu absurd
wird. Sie schreibt den Mädchen eine Unwissenheit
und Weltunkenntnis vor, die vielleicht eine wichtige
Bedingung war, als noch die Eltern die Wahl des
Gatten trafen und das Verhältnis zwischen den Ehe-
leuten weniger eine persönliche als eine bloß soziale
Grundlage hatte. Indessen aber hat im Bewußtsein
der Kulturmenschheit die persönliche Zuneigung und
Liebeswahl zwischen den künftigen Ehegatten den
Wert einer sittlichen Voraussetzung gewonnen, und
zwar in dem Maße, daß sogar die Heiraten fürstlicher
Personen, die ihre Wahl notorisch nach Gründen der
Staatsräson treffen müssen, öffentlich als Neigungs-
heiraten hingestellt werden. Völlige Lebensunkenntnis
einerseits und persönliche Entscheidung zum Zweck
einer Verbindung für Lebenszeit andererseits schließen
jedoch einander aus. Es ist keine Übertreibung,
wenn man der Familienliteratur ein gut Teil der
Schuld an den mißglückten Ehen zuschreibt, obwohl
ja Ehescheidungen in ihrem Gesichtskreis gar nicht
vorkommen dürfen. Aber eine Literatur, die ihrem
Wesen nach heuchlerisch und verlogen ist, die zu
ihrem obersten Gesetz eine lebensfeindliche und
lebensunfähige Prüderie macht, muß die Phantasie
derjenigen, für welche sie die einzig gestattete gei-
stige Nahrung bildet, irreführen und verderben. In
der andauernden Beschäftigung mit „spannenden*
Romanen, das heißt mit solchen, in denen der natür-
liche Gang des Lebens nach einem willkürlichen Ver-
fahren zugunsten äußerlicher Effekte verrenkt wird,
liegt an sich schon ein korrumpierender Einfluß auf
das Verständnis wirklicher Vorgänge und Begeben-
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Zur Kritik der Weiblichkeit
- Title
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Author
- Rosa Mayreder
- Publisher
- Eugen Diederichs Verlag
- Location
- Jena
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 10.5 x 16.5 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299