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Zur Kritik der Weiblichkeit
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Es ist klar, daß eine Erziehung, die das weibliche Geschlecht einfach zu seiner natürlichen Bestimmung tauglich machen wollte, es in erster Linie körperlich und geistig für die Aufgabe der Mutterschaft vorbe- reiten müßte. Durch die Mutterschaft hat die Natur dem weiblichen Organismus die wichtigste und ver- antwortungsvollste Rolle im Leben der Gattung zu- geteilt, eine schwere Pflicht, die vor allem Abhärtung des Leibes und der Seele verlangt, Unerschrockenheit, innerliche Tapferkeit und eine mutige Verachtung körperlicher Leiden. Aber vergeblich werden wir nach diesen Eigenschaften im Kanon der schönen Weiblichkeit suchen. Die Treibhauskultur der Wohl- erzogenheit, die aus dem Weibe ein Luxusgeschöpf macht, hypertrophiert gerade diejenigen Neigungen und Instinkte, die der Mutterschaft abhold sind; sie ist ein System der Verweichlichung und Verzärtelung an Leib und Seele. Wie wenig physische Tauglich- keit zur Mutterschaft die Frauen der wohlhabenden Klassen, die „geschützten" Frauen besitzen, beweist am deutlichsten der Umstand, daß so viele unter ihnen ihr erstes Kind nicht ohne operativen Eingriff zur Welt bringen können, daß ein Vorgang, der unter natürlichen Verhältnissen ein Leiden von wenigen Stunden mit sich bringt, für sie zu einem tagelangen Martyrium wird. Noch schlechter aber sind sie seelisch für das aus- gerüstet, was den Hauptinhalt ihres Lebens zu bilden bestimmt ist. Die Unwissenheit, das geistige Korrelat der physischen Jungfräulichkeit— alles Wissen, das selbständige Wünsche oder selbständige Urteile er- wecken, oder auch nur schlechtweg „erwecken" könnte, muß ja für die Integrität der V/ohlerzogenheit bedenklich erscheinen— die Unwissenheit über die natürlichen Vorgänge erzeugt ein dunkles Grauen, 207
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Zur Kritik der Weiblichkeit
Title
Zur Kritik der Weiblichkeit
Author
Rosa Mayreder
Publisher
Eugen Diederichs Verlag
Location
Jena
Date
1922
Language
German
License
PD
Size
10.5 x 16.5 cm
Pages
316
Keywords
Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorwort 1
  2. Grundzüge 7
  3. Mutterschaft und Kultur 48
  4. Die Tyrannei der Norm 85
  5. Von der Männlichkeit 102
  6. Das Weib als Dame 139
  7. Frauen und Frauentypen 157
  8. Familienliteratur 187
  9. Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
  10. Einiges über die starke Faust 210
  11. Das subjektive Geschlechtsidol 244
  12. Perspektiven der Individualität 261
  13. Nachwort 299
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