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bensideal. Das pauHnische Wort: „Hier ist weder
Jude noch Grieche, weder Herr noch Knecht, weder
Mann noch Weib, sondern ihr seid allesamt eins in
Jesu Christo", ist die bündigste Formel dafür, daß
ein Allgemein-menschliches, jenseits von Rasse, Stand
und Geschlecht, das christliche Wesen begründet. In
Ansehung ihrer höchsten sittlichen Werte kennt die
christliche Weltanschauung, solange sie konsequent
bleibt, keinen Unterschied der Geschlechter, weil sie
von ihren vollendeten Bekennern ein Hinaussein über
alles Geschlechtliche fordert. Innerhalb dieser Welt-
anschauung haben Männlichkeit und Weiblichkeit als
sittliche Werte gar keinen Raum. Oder, wenn man
die Auffassung Hartpole Leckys teilen will, daß der
Übergang von der antiken Lebensauffassung zur christ-
lichen der Übergang von einem männlichen zu einem
weiblichen Lebensideal war, so mußte zum mindesten
der Mann alles Spezifische seiner Geschlechtsnatur
aufgeben. Die Geschlechtstugenden fehlen in der
geistigen Erscheinung der Heiligen gänzlich; beide
Geschlechter unterscheiden sich in Wandel und Ge-
sinnung nicht voneinander. Vorzüge spezifisch ge-
schlechtlicher Art gehören dem profanen, also dem
niedrigen Leben an; und wenn die christlichen Vor-
schriften keineswegs immer von dem Standpunkt, daß
es in der christlichen Gemeinde „weder Mann noch
Weib" gebe, ausgehen, so äußert sich darin nur jener
Abstand zwischen Theorie und Praxis, der für alle
höheren menschlichen Bestrebungen bezeichnend ist.
Aber auch außerhalb der religiösen Vorstellungen
und der asketischen Verneinung der Geschlechts-
bestimmung lassen sich Symptome erkennen, die auf
ein Streben nach Gemeinsamkeit jenseits des Ge-
schlechtes deuten. Hatte das Christentum die Mensch-
heit auf eine höhere Stufe zu heben gesucht, indem es
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Zur Kritik der Weiblichkeit
- Title
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Author
- Rosa Mayreder
- Publisher
- Eugen Diederichs Verlag
- Location
- Jena
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 10.5 x 16.5 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299