Page - 15 - in Vertragsrecht in der Coronakrise
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recht führt mit diesen Vorschriften dagegen in der Regel nicht zu vermit-
telnden Lösungen, die das Risiko etwa hälftig auf die Parteien verteilen.
Die Covid-19-Pandemie ist allerdings keine typische Leistungsstörung,
die einzelne Schuldner betrifft, die ihre Pflichten verletzt haben, weil sie
etwa nicht hinreichend vorgesorgt haben. Vielmehr betrifft die Pandemie
alle Personen gleichermaßen; es handelt sich um eine gesamtgesellschaftli-
che Störung. Mithin ist auch ihre Bewältigung eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe. Ausgehend von dieser Prämisse dürften die „Alles-oder-Nichts“-
Lösungen der erwähnten leistungsstörungsrechtlichen Vorschriften nicht
ausreichen, um die durch die Covid-19-Pandemie ausgelösten vertrags-
rechtlichen Probleme zufriedenstellend zu lösen. Denn nach diesen müss-
te jeweils eine Partei vollständig das Risiko eines Leistungsausfalls (ihres
eigenen oder desjenigen ihres Vertragspartners) tragen; eine andere Risiko-
verteilung als „Alles oder Nichts“ kommt grundsätzlich nicht in Betracht.
Aus gesamtökonomischer Sicht werden dadurch Ergebnisse produziert,
die beinahe zufällig wirken, weil die Normen, welche die Risikoverteilung
im allgemeinen Leistungsstörungsrecht regeln, nicht auf derart globale
und breit einwirkende Störungen ausgerichtet sind. Diese Risikoverteilung
kann zu Risikoakkumulationen bei einzelnen Akteuren führen, die dann
die Pandemiefolgen vollständig selbst tragen müssten, obwohl die anzu-
wendenden leistungsstörungsrechtlichen Vorschriften und Grundsätze
(wie etwa das Beschaffungsrisiko bei Gattungsschuldnern) nicht auf Fälle
wie diese zugeschnitten sind. Ein solches Ergebnis wäre allenfalls tragbar,
wenn auch die staatlichen Hilfen zielgenau bei diesen Akteuren ankom-
men würden; dafür gibt es bisher aber keine Anhaltspunkte.
Daher ist es wichtig zu ergänzen, dass alle Ergebnisse des Allgemeinen
Leistungsstörungsrechts unter dem Vorbehalt einer Korrektur wegen des
Wegfalls der Geschäftsgrundlage gem. §313 BGB stehen. Zwar ist §313
BGB grundsätzlich insofern subsidiär gegenüber dem Allgemeinen Leis-
tungsstörungsrecht, als die Norm nur greift, wenn keine vorrangige ver-
tragliche oder gesetzliche Risikoverteilung besteht.11 Allerdings dürfte bei
einer derart schwerwiegenden Beeinträchtigung des globalen Wirtschafts-
lebens, wie sie durch die Covid-19-Pandemie eingetreten ist, ein Fall vor-
liegen, der die gesetzliche und vertragliche Risikoverteilung in vielen Fäl-
len überschreitet. Die betroffenen Risiken sind dann als außerhalb der ge-
setzlichen Risikoverteilung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts lie-
gend anzusehen, und werden auch von vielen vertraglichen Regelungen
11 S. Lorenz, in: H. G. Bamberger/H. Roth/W. Hau/R. Poseck (Hrsg.), Beck'scher
Online-Kommentar zum BGB, 1.2.2020, §313 Rn.25ff.
Corona und das Allgemeine Leistungsstörungsrecht
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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book Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Title
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Author
- Daniel Effer-Uhe
- Editor
- Alica Mohnert
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 258
- Categories
- Coronavirus
- Recht und Politik
Table of contents
- Corona und das Allgemeine Leistungsstörungsrecht 11
- Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf krisenbedingte Vertragsstörungen? - Systemerwägungen zu §313 BGB und sachgerechter Einsatz in der Praxis - 47
- Verbraucher- und Gläubigerrechte in der Corona-Krise –Ausweitung oder Einschränkung? 73
- Die vertragsrechtlichen Regelungen in Art.240 EGBGB: Voraussetzungen, Rechtsfolgen, offene Fragen 95
- Niemand zahlt mehr Miete!? ‑ Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen auf die Pflicht zur Mietzahlung 147
- Aktuelle Probleme im Reiserecht durch die Corona-Krise 175
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- Das Arbeitsvertragsrecht in der Coronakrise 223
- Vertragsrecht in der Corona-KriseCOVInsAG: Auswirkungen auf die Insolvenzantragspflicht und die Haftung der Organe 245