Page - 30 - in Vertragsrecht in der Coronakrise
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nach §275 Abs.2 BGB zweifeln könnte;48 der Zweck der „Suspendierung“
der Lieferpflicht wegen des vorübergehenden Hindernisses steht einer ent-
sprechenden Anwendung des §323 BGB jedoch nicht entgegen.49 Dement-
sprechend kann der Käufer dem Verkäufer eine angemessene Nachfrist zur
Lieferung setzen und nach deren fruchtlosem Ablauf vom Vertrag zurück-
treten. Bei der Bemessung der Angemessenheit der Frist ist, solange ein
Ende des Leistungshindernisses nicht absehbar ist, vorrangig auf das Ver-
wendungsinteresse des Käufers abzustellen, d.h. darauf, wie dringend er
die Ware benötigt. Nach §323 Abs.4 BGB besteht das Rücktrittsrecht so-
gar schon vor Fälligkeit, wenn absehbar ist, dass die pandemiebedingten
Leistungshindernisse auch am Fälligkeitstag noch bestehen werden.
In der Literatur wird zudem befürwortet, die vorübergehende Unmög-
lichkeit bzw. die vorübergehenden Leistungserschwerungen dann der
„echten“ (dauernden) Unmöglichkeit gem. §242 BGB gleichzustellen,
wenn das weitere Zuwarten dem Käufer nicht mehr zumutbar sei, und
wenn auch dem Schuldner nicht mehr zugemutet werden könne, den Ver-
trag nach Beseitigung des Hindernisses noch zu erfüllen.50 Danach würden
sich die Rechtsfolgen aus den §§283, 326 ergeben, sobald die Unmöglich-
keit gem. §242 BGB als dauernde zu behandeln wäre. Allerdings führen
diese Vorschriften zu einem automatischen Übergang vom Erfüllungsan-
spruch auf die Sekundärrechte, ohne dass es einer entsprechenden Gestal-
tungserklärung des Gläubigers bedürfte. Das führt zu erheblicher Rechts-
unsicherheit, weil erst ex post vom Gericht feststellbar ist, ob die Vorausset-
zungen für diese einschneidenden Rechtsfolgen vorlagen. Zudem bewirkt
sie eine Bevormundung des Gläubigers, weil dieser nicht mehr selbst da-
rüber entscheiden kann, ob er noch an den Vertrag gebunden sein will
oder nicht. Vorzugswürdig ist demgegenüber eine Anwendung der Grund-
sätze des §323 Abs.2 Nr.3 BGB,51 wonach dem Käufer ein Rücktrittsrecht
ohne vorhergehende Fristsetzung zusteht, wenn ihm das Zuwarten bis
48 So etwa Kaiser, Zeitweilige Unmöglichkeit (Fn.39), S.136f.
49 Näher Riehm (Fn.20), §275 Rn.165, 161f.
50 So Bacher, Corona-Pandemie (Fn.7), S.517; Lorenz (Fn.12), §1 Rn.14; Caspers
(Fn.22), §275 Rn.53ff.; R. Schwarze, Das Recht der Leistungsstörungen, 2.Aufl.
2017, §4 Rn.24; Westermann (Fn.45), §275 Rn.12; B. Gsell, in: T. Soergel (Hrsg.),
Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13.Aufl.
2013, §311a Rn.30; D. Medicus, Bemerkungen zur „vorübergehenden Unmög-
lichkeit“, in: S. Lorenz et al. (Hrsg.), FS Heldrich (Fn.39), S.347 (351, 354ff.);
Faust (Fn.31), Kap. 8 Rn.9.
51 Die Beschränkung des §323 Abs.2 Nr.3 auf Schlechtleistungen hat insoweit – au-
ßerhalb des Anwendungsbereichs der Verbraucherrechterichtlinie – keine prakti-
schen Auswirkungen, vgl. D. Looschelders, in: beck-online.Großkommentar zum
Thomas Riehm
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Vertragsrecht in der Coronakrise
- Title
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Author
- Daniel Effer-Uhe
- Editor
- Alica Mohnert
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 258
- Categories
- Coronavirus
- Recht und Politik
Table of contents
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