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gen wurde oder beim Unternehmer liegt. Ist ohnehin eine Abrechnung
nach dem tatsächlichen Materialaufwand vereinbart, so stellt sich die Frage
eines Leistungsverweigerungsrechts des Unternehmers nicht, weil er die
erhöhten Kosten schlicht an den Käufer durchreichen kann; lediglich aus
dessen Sicht kommt eine Vertragsanpassung oder sogar ein Rücktritt vom
Vertrag wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht, wenn exorbi-
tant gestiegene Kosten dazu führen, dass aus seiner Sicht das Äquivalenz-
verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht mehr gewahrt ist. Trägt
allerdings der Unternehmer das Risiko einer Kostensteigerung beim Mate-
rial (z.B. bei einem Pauschalpreisvertrag), so ist der Maßstab für die ge-
schuldeten Mehraufwendungen des Unternehmers §275 Abs.2 BGB. Bei
allgemein steigenden Materialkosten wird allerdings typischerweise auch
das Leistungsinteresse des Bestellers parallel zu den steigenden Kosten des
Unternehmers wachsen, sodass §275 Abs.2 BGB nicht einschlägig ist.67
Auch diese Fälle sind allenfalls als Äquivalenzstörungen über §313 Abs.1
BGB zu lösen (bzw. ggfs. vorrangig über §2 Abs.7 VOB/B), wobei zu be-
rücksichtigen ist, dass der Unternehmer das Risiko üblicher Kostensteige-
rungen im Pauschalpreisvertrag gerade vertraglich übernommen hatte, so-
dass ein Wegfall der Geschäftsgrundlage allenfalls in Betracht kommt,
wenn die Kostensteigerungen so exorbitant sind, dass sie jenseits der er-
wartbaren Preisschwankungen liegen und ein Festhalten am unveränder-
ten Vertrag dem Unternehmer schlechterdings nicht mehr zugemutet wer-
den kann.68
Anders liegt es in dem oben zitierten Fall, dass der Unternehmer wegen
des pandemiebedingten Ausfalls von Kinderbetreuungseinrichtungen sei-
ne Leistung nur erbringen kann, wenn er gegen zusätzliche Kosten eine
anderweitige Betreuung sicherstellen kann. Hier steht dem erhöhten Leis-
tungsaufwand des Unternehmers kein parallel erhöhtes Leistungsinteresse
des Bestellers gegenüber, sodass eine Berufung auf §275 Abs.2 BGB durch-
aus möglich erscheint, wenn die Mehrkosten für die anderweitige Betreu-
ung dazu führen, dass der Gesamtaufwand des Künstlers völlig außer Ver-
hältnis zum Leistungsinteresse des Auftraggebers steht. Dieses Leistungsin-
teresse kann allerdings weit über das vereinbarte Honorar hinausgehen,
weil es auch sonstige zwecklos gewordene Aufwendungen des Auftragge-
bers (§284 BGB) und sogar die Erstattung etwaiger Eintrittsgelder umfasst,
67 S. dazu oben D.I.2.
68 S. etwa BGH WM 1964, 1253 zu gestiegenen Lohnkosten beim Pauschalpreisver-
trag.
Thomas Riehm
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Vertragsrecht in der Coronakrise
- Title
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Author
- Daniel Effer-Uhe
- Editor
- Alica Mohnert
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 258
- Categories
- Coronavirus
- Recht und Politik
Table of contents
- Corona und das Allgemeine Leistungsstörungsrecht 11
- Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf krisenbedingte Vertragsstörungen? - Systemerwägungen zu §313 BGB und sachgerechter Einsatz in der Praxis - 47
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